Mönchengladbach Der Literarische Sommer endet mit einer verborgenen Liebesgeschichte

Mönchengladbach · Der Autor Peter Stamm beschloss die Lesereihe des Literatur-Festivals in Mönchengladbach. Er stellte seinen Roman "Weit über das Land" vor.

 Peter Stamm liest aus seinem Roman "Weit über das Land": Es geht um einen, der weggeht, der Frau und Kinder verlässt, sich wie ein Dieb in der Nacht davonstiehlt.

Peter Stamm liest aus seinem Roman "Weit über das Land": Es geht um einen, der weggeht, der Frau und Kinder verlässt, sich wie ein Dieb in der Nacht davonstiehlt.

Foto: Ilgner

Der Gast aus Winterthur betritt mit Verspätung das Podest in der Stadtteilbibliothek Rheydt. Für diesen Fall haben manche der etwa 80 Besucher vorgesorgt. In der Sitzreihe vor mir nestelt eine Dame das Büchlein "Agnes", den Debütroman des Schweizer Schriftstellers Peter Stamm (53), aus ihrer Handtasche. Und der junge Mann neben mir schlägt das Erzählbändchen "Wir fliegen" auf und überbrückt so die Wartezeit.

Zehn Minuten nach Plan erscheint der Bestsellerautor - doch bevor er mit der Lesung aus seinem aktuellen Roman "Weit über das Land" anheben kann, ergreift Peter Brollik das Wort. Das Mitglied im Förderverein der Stadtbibliothek startet einen "Werbeblog" für das Institut und stellt sodann in gediegener Rede den Autor vor. Kostet nochmals zehn Minuten.

In verknappten Sätzen, die selten mehr als einen Binnen-Nebensatz enthalten, präsentiert Peter Stamm seinen Roman, dessen Faktur an Bertolt Brechts Bauprinzip für sein Episches Theater denken lässt: Der Leser bzw. Zuschauer soll gespannt sein "auf den Gang, nicht auf den Ausgang". Genau so ist es hier: Von einem, der weggeht, der Frau und Kinder verlässt, sich wie ein Dieb in der Nacht davonstiehlt, ist die Rede in "Weit über das Land". Thomas heißt der Mann, der seine Frau Astrid und die Kinder Konrad und Ella von Herzen liebt. Im episodischen Wechsel der Erzählperspektive lässt Stamm mal den Ehemann, der sich davonmacht gemäß dem Klischee des Mal-eben-Zigaretten-holen-Gehenden, mal die Ehefrau zu Wort kommen. In einem lakonisch-versachlichten Stil fädelt der Autor die Gedankenperlen der beiden auf, dabei bleibt stets der Erzähler als Beobachtender, von außen Schildernder im Zentrum. Er lässt vieles in der Schwebe.

Das ist der Kniff, der Zuhörer ebenso fasziniert wie irritiert. Gern hätten einige, wie in der Fragerunde hernach deutlich wurde, erfahren, warum Thomas weggeht, oder auch, ob er auf seiner Wanderung umkommt. Genau das verweigert der Autor, er lässt Fragen offen. Auf eine Spur setzt Stamm die Leser, indem er "die Frau meines Englisch-Übersetzers" zitiert. Die habe festgestellt: "Das ist ja eine Liebesgeschichte!" Freilich eine im Verborgenen. Was der Autor bei der vierten und letzten Lesung des Literarischen Sommers in Mönchengladbach bestätigt. Und so schließt seine Lesung auch mit dem Ausspruch von Astrid: "Ich liebe dich." Er könne die Unterstellung eines Rezensenten nicht auf sich sitzenlassen, so ein Geständnis komme in seinem Buch, das bei S. Fischer erschienen ist, nicht vor. Die naheliegende Frage nach Schuld dagegen habe ihn überhaupt nicht interessiert. Was Peter Brollik bestätigt: "Ich habe bei der Lektüre nie eine Regung von Empörung verspürt."

(ri)
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