Mönchengladbach Eintauchen in eine fast vergessene Klangwelt

Mönchengladbach · Das berühmte Leipziger Vokalensemble Amarcord gab Spitzenkonzert in Rheindahlens Pfarrkirche.

Es war wie eine Reise in längst vergangene, dem Alltag völlig fremde Klangwelten: ein Eintauchen-Dürfen in eine spannende, aber auch spannungsreiche Zeit: Mit solchem Aufgebot war das Vokalensemble Amarcord zu Gast in der Pfarrkirche St. Helena in Rheindahlen und präsentierte das Programm seiner im April erscheinenden CD "Armarium. Aus dem Notenschrank der Thomaner vom Mittelalter bis Heinrich Schütz".

Die Wahl dieses roten Fadens für das Konzertprogramm lag nahe, haben alle Mitglieder des preisgekrönten, international renommierten Quintetts ihre Ausbildung doch in den altehrwürdigen Hallen der Leipziger Kaderschmiede für Sängerknaben an der Thomaskirche erhalten. Gleichzeitig ist es geradezu erfrischend, dass sie sich ausschließlich desjenigen Werkekanons bedienten, der ihre Schule so attraktiv machte, dass sich im Jahr 1722 unter anderen Johann Friedrich Fasch, Georg Friedrich Telemann und Johann Sebastian Bach auf das Amt des Thomaskantors bewarben. Letzterer erhielt bekanntlich den Zuschlag. Doch bis hierher drang die Reise nicht vor, vielmehr führte sie den Zuhörer in eine Zeit voller Umbrüche und politischer Wirrungen: zum Übergang vom Mittelalter in die Neuzeit, zu Renaissance und Humanismus, in die Kindertage des Protestantismus sowie in den Dreißigjährigen Krieg.

Diese Spannweite zeigten Amarcord mit Sequentien der katholischen Liturgie aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts über venezianisch beeinflusste Motetten von Orlando di Lasso oder Giovanni Battista Stefanini bis hin zu deutschsprachigen - protestantischen - Werken von Johann Hermann Schein und Heinrich Schütz. Dabei sah die Programmdramaturgie keine chronologische Folge, sondern einen steten Wechsel der verschiedenen klanglichen Stationen innerhalb dieser musikgeschichtlich reizvollen Zeit vor.

Dies gab den Sängern die Möglichkeit, ihre Stärken immer wieder neu auszuloten: Erwies sich in den homophonen Sätzen ihr erster Tenor Wolfram Lattke als starkes Zugpferd, das den Gleichklang des Ensembles durch klare Vokalfärbung und treffsichere Intonation bestimmte, konnten in den später entstandenen Kompositionen alle Mitglieder des Ausnahmeklangkörpers ihre solistischen Fähigkeiten in der filigran geführten frühbarocken Polyphonie zeigen. Zentral war hierbei die Vertonung der sieben letzten Worte Jesu Christi von Johann Hermann Schein, die auch thematisch wie ein Fingerzeig vom ersten Passionssonntag zu den Geschehnissen der kommenden Karwoche wirkte und mit der Amarcord in beeindruckender Perfektion seine Zuhörer in der voll besetzten Pfarrkirche St. Helena auf den Weg zur Osterliturgie vorbereitete. Das löste große Begeisterung aus.

(chr)
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