Mönchengladbach Rio Reiser - ein Blick zurück in Wehmut

Mönchengladbach · Es ist die Zeit der Rebellion, der Hausbesetzungen, der Anarchie. Es ist die Zeit der Kommunen, der internationalen Solidarität, es ist die Zeit von Rio Reiser, die Zeit von "Ton Steine Scherben". Im Theater lebte sie wieder auf - diese Zeit.

 Adrian Linke ist Rio Reiser, hinter ihm auf der erhöhten Bühne die herausragende Band um Heiner Kondschak (links an der Gitarre).

Adrian Linke ist Rio Reiser, hinter ihm auf der erhöhten Bühne die herausragende Band um Heiner Kondschak (links an der Gitarre).

Foto: Matthias Stutte

Es wird viel Bier getrunken auf der Bühne. Es wird geraucht, Joints machen die Runde. Es ist immer was los in der Wohngemeinschaft in Berlin-Kreuzberg. Nachdem sie 79 Namensideen verworfen haben, entscheiden sich Rio Reiser und seine Musikerfreunde, ihre Band "VEB Ton Steine Scherben" zu nennen. Das VEB - das für Volkseigene Betriebe steht - lassen sie dann doch weg. Und dann beginnt die Geschichte dieser einzigartigen Band, die bis heute - auch 30 Jahre nach der Auflösung der "Scherben" und 20 Jahre nach dem frühen Tod Reisers - Kultstatus hat. "Rio Reiser - König von Deutschland", das Stück, das der Ausnahmemusiker, Autor, Regisseur und Schauspieler Heiner Kondschak 2004 für das Landestheater Tübingen schrieb, feierte jetzt in Mönchengladbach Premiere. Und was für eine!

"Macht kaputt, was euch kaputt macht", "Keine Macht für Niemand", "Krieg den Hütten, Paläste für alle": Diese Parolen haben die Zeit überdauert, jeder kennt sie - auch heute noch. Die Revolte der frühen 1970er Jahre, sie wurde befeuert von den Scherben, die zu Hausbesetzungen aufriefen, gerngesehen und gehört waren auf Demonstrationen und Protestveranstaltungen. Sie sind sicher, dass die Revolution nur noch eine Frage der Zeit ist. "Zehn Jahre, dann ist es geschafft", heißt es in dem Stück, "nur absolute Kulturpessimisten zweifeln daran, sie meinen, es könnte noch 15 Jahre dauern."

Geld verdienen die Scherben nicht, sie sind permanent pleite, und irgendwann wird ihnen auch der Rummel in ihrer Altbauwohnung in Kreuzberg zuviel. Die Scherben ziehen aufs Land. Die Idylle auf dem Bauernhof im nordfriesischen Fresenhagen hält nicht lange, einer nach dem anderen haut ab, die Band löst sich auf, Rio Reiser startet seine Solokarriere, wird mit seinem Lied "Der König von Deutschland" berühmt. Und verdient endlich Geld. Das Leben auf der Überholspur bleibt nicht ohne Folgen. Rio Reiser stirbt 1996 mit nur 46 Jahren.

Adrian Linke spielt Rio Reiser, er ist Rio Reiser. Er ist der immer ein wenig in sich gekehrte junge Mann, der inmitten der Unordnung und dem Chaos der Berliner Wohnung Texte ersinnt, er ist charismatisch, er ist kämpferisch, er ist sympathisch, er singt mit Reibeisenstimme, wirkt dabei so sanft, so verletzlich. Seine Mitbewohner - stilecht in 70er-Jahre Klamotten und selbstverständlich mit langen, ungepflegten Haaren - sind Cornelius Gebert, Paul Steinbach, Bruno Winzen und die herrlich überdrehten Reporterinnen/Groupies Lena Eickenbusch und Eva Spott. Die herausragende Band um Heiner Kondschak spielt erhöht und stilecht in Eierkarton-Kulisse. So sahen die Probenräume der Bands in den 70er Jahren aus, meist im Keller des Elternhauses, lärmdämmende Eierkartons an Decken und Wänden, damit Mutter und Vater nicht vom Sofa fielen.

Für fast drei Stunden werden die Zuschauer im Theater aufs Unterhaltsamste entführt in eine Zeit, in der alles erlaubt, alles machbar schien. Um dann wieder aufzutauchen im Jetzt. Mit einem wehmütigen Gefühl: Was ist aus all dem geworden? Wo ist das Rebellentum hin, wo die Wut, die Lust auf Veränderung? Die Anarchie?

Weitere Vorstellungen am 6., 15., 20., 27. Mai. Karten: 02166 6151-100 und online: www.theater-kr-mg. de

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort