Mönchengladbach Zwischen Wahnsinn und Zärtlichkeit

Mönchengladbach · Drei Mitglieder der Theatergruppe der Hochschule Niederrhein präsentieren im Kulturzentrum BIS ihr selbstverfasstes Stück "Weder du noch sonst wer - oder wie ich lernte, Falco zu lieben". Das Publikum dankt mit Ovationen.

 Kaum ist Jeanny in Harveys Wohnung hereingeplatzt, fühlt sie sich auch schon wie zu Hause: Michelle Blase in einer Szene der Inszenierung von Leonie Hackländer bei der Aufführung im BIS-Zentrum.

Kaum ist Jeanny in Harveys Wohnung hereingeplatzt, fühlt sie sich auch schon wie zu Hause: Michelle Blase in einer Szene der Inszenierung von Leonie Hackländer bei der Aufführung im BIS-Zentrum.

Foto: Detlef Ilgner

Harvey sitzt an seinem Schreibtisch, blättert in einem Lehrbuch für Ingenieurwissenschaften, kratzt sich am Kopf und kalkuliert. Beim Betreten des Theatersaals im BIS-Zentrum sind die Besucher gleich mittendrin im Geschehen. Mittendrin im Alltag des eigenbrötlerischen, adrett gekleideten Harvey (Jacob Matthias), der Zahlen mehr liebt als Menschen. "Manche Menschen sind einsam und merken es nicht" - diese Worte tauchen plötzlich als Schriftzug auf Kleidungsstücken auf, die an einer mobilen Wäscheleine ins Bühnenbild rücken. Und kurz darauf hüpft die quirlige Jeanny (Michelle Blase) in Harveys Leben - buchstäblich, eingestiegen durch ein kaputtes Fenster. Sie hängt seine Wäsche ab und beschließt zu bleiben. Während sie sich gleich wie zu Hause fühlt, ist Harvey überfordert. Verlegen bietet er ihr ein Glas Wasser an - und muss dafür erst einmal die Stifte herausnehmen. Auf Gäste ist er nicht eingestellt. Unterschiedlicher könnten die beiden nicht sein: Während Harvey verzweifelt versucht, sich auf seine Prüfungsvorbereitungen zu konzentrieren, spielt Jeanny mit einem Flummi und versucht ihn davon zu überzeugen, sein Leben nicht an Kalkulationen zu verschwenden.

"Weder du noch sonst wer - oder wie ich lernte, Falco zu lieben" ist ein Stück über zwei von Grund auf verschiedene Menschen, die sich gegenseitig in den Wahnsinn treiben und einander zugleich immer mehr annähern. Schnelle Dialoge, intensive tragikomische Momente voller Wut, Trauer, Zärtlichkeit und Witz. Michelle Blase und Jacob Matthias überzeugen nicht nur durch ihre schauspielerische Leistung, sondern auch durch die Tanz-, Gesangs- und Musikeinlagen. Die verschiedenen Szenen wechseln sich ab mit Schattentheater, Musikstücken und dem originellen Einsatz der beschrifteten Kleidungsstücke an der Wäscheleine: Sie fungieren als eine Art allwissender Erzähler und schaffen so eine übergeordnete Kommunikationsebene. Die Einspielung verschiedener Videos über das Paarungsverhalten von Pinguinen, Tiefseefischen und Ameisen verweist auf skurrile Art auf die vielfältigen Aspekte der Beziehung von Harvey und Jeanny. Ebenso wie die immer wieder vorkommenden fiktiven Momente - Szenen, die Träume, Sehnsüchte und zeitliches Zurückspulen widerspiegeln.

Es ist ein multimediales Stück, selbst geschrieben und großartig inszeniert von Leonie Hackländer. Und wer ist nun Falco? Das ergibt sich erst auf den zweiten Blick: Als Jeanny einwirft, dass sie vor Jahren in einem Popsong gestorben sei, verweist sie damit auf das gleichnamige Lied des Musikers Falco. Die Figuren von Jeanny und Harvey spuken Hackländer schon seit ihrer Schulzeit im Kopf herum. Aber lebendig geworden sind sie erst in den letzten Monaten.

Die drei Studierenden der Kulturpädagogik und Mitglieder der Theatergruppe der Hochschule Niederrhein haben sich zusammengetan, um ein Zwei-Personen-Stück zu produzieren. "Ich hatte Lust, intensiv Theater zu spielen", erzählt Michelle Blase. Zuerst recherchierten sie nach vorhandenen Stücken, aber richtig fündig wurden sie nicht. Also beschloss Leonie Hackländer, aus den Figuren in ihrem Kopf ein eigenes Theaterstück zu entwickeln.

Seit April proben die drei daran: im Theaterlabor der Hochschule, zu Hause, im Park und schließlich auch im BIS. Dem Publikum gefällt's: Es gibt viele Lacher und Tränen und zum Abschluss tosenden Applaus mit Standing Ovations.

(sofir)
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