Mönchengladbach "Lohengrin" war meine erste

Mönchengladbach · Der erste Opernbesuch hat Höhen und Tiefen. Er ist emotional. Besonders, wenn der Komponist Richard Wagner heißt.

Mönchengladbach: "Lohengrin" war meine erste
Foto: Matthias Stutte

Der rote Saum gleitet über den Boden. Elsa und Ortrud verschwinden, der Vorhang schließt sich. Durchatmen. Endlich ist er vorbei. Der zweite Akt. Die 20-minütige Pause wirkt nach gut zweieinhalb Stunden wie ein Befreiungsschlag. Ich finde Lohengrin nicht schlecht oder langweilig. Ganz im Gegenteil. Nach meiner ersten Oper bin ich ohnehin noch nicht fähig, Kritik zu äußern und eine Inszenierung als "schlecht" zu bezeichnen. Nein, es ist einfach zu lang. Richard Wagner ist anstrengend.

Mit 24 Jahren noch nie eine Oper gesehen zu haben, ist nicht ungewöhnlich. Wenn die Eltern sich nicht für diese Art von Kultur interessieren, ist es sogar verständlich. Doch irgendwann kommt der Punkt, an dem es unangenehm wird. Man möchte mitreden können. Nicht unbedingt sein Wissen, aber zumindest seine Erfahrungen in das Gespräch einbringen. Es ist der Punkt, an dem ich für mich entschieden habe: Ich möchte keine Oper-Jungfrau mehr sein.

Der Großteil der Besucher, der sich im Vorsaal des Mönchengladbacher Theaters versammelt hat, hat die 50 deutlich überschritten. Hin und wieder taucht ein junges Gesicht auf. Hin und wieder verirrt sich auch eine Jeans oder ein Pullover in die Menge aus Hemden, Jacketts und Cocktailkleider. Beim Opernbesuch scheint das "Gesehen werden" eine ebenso große Rolle zu spielen wie das Stück selbst. Sich noch einmal richtig aufbrezeln. Teilweise sogar mit antiken Kleidungsstücken wie einer Federboa.

Auf dem Weg zu den Plätzen wandert der Blick auf die beiden Eintrittskarten. Reihe fünf. Platz 17 und 19. "Wir sitzen nicht zusammen?", ärgert sich die Begleitung. Bei der Buchung muss etwas schief gelaufen sein. Dann nehmen wir eben die freien Plätze am Rand. Wenig später die Erleuchtung: Die Sitze sind nur mit ungeraden Nummern beschriftet, die Plätze wären nebeneinander gewesen. Doch es ist zu spät. Das Licht wird dämmrig. Lohengrin beginnt.

Elsa wird des Mordes an ihrem kleinen Bruder Gottfried angeklagt. Der ist nämlich nicht mehr auffindbar. Im Gerichtssaal läuft die Verhandlung. Plötzlich steht er da. Ein nackter Mann. Das Einzige, was er trägt, ist ein Blumenkranz auf seinem Kopf. Mehr nicht. Auf der Bühne scheint es kühl zu sein. Eine Frau mit Brille in Reihe vier wühlt in ihrer Handtasche. Sie zückt ein Fernglas. Und das trotz ihres guten Platzes. Vielleicht sieht sie wirklich schlecht. Vielleicht möchte sie aber auch ganz genau hinsehen.

Obwohl das Ohr genau hinhört, ist es schwer, die gesungenen Worte zu entschlüsseln. Ständig kippt der Kopf nach oben Richtung Decke. Dort über der Bühne läuft der Text auf einer Anzeige mit. Die Augen hängen an den Leuchtbuchstaben, dabei würden sie viel lieber auf das eigentliche Geschehen schauen. Besonders gerne würden sie öfter auf Friedrich von Telramund schauen, wenn er seinen Mund öffnet und diese gewaltige Stimme frei lässt. Sie passt zu seinem dunklen Wesen, zu seinem bösen Charakter. Auch Ortrud, oder "das fürchterliche Weib", wie Lohengrin sie nennt, hält wach. Wie ein Magnet zieht sie den Blick auf sich, wenn sie singt und der Scheinwerfer ihre, sich deutlich abzeichnenden, Halsadern beleuchtet.

Ein Mann in der ersten Reihe, vielleicht Ende 20, lenkt die Aufmerksamkeit auf sich. Er zuckt mit den Armen, schwingt seine Hände von rechts nach links. Hat er eine Art Anfall? Sein Blick geht Richtung Orchestergraben. Er eifert dem Dirigenten nach. Von ihm sind nur einzelne Haarsträhnen zu sehen, die hin und wieder durch die Luft fliegen, wenn die Musik an Tempo und Dynamik zunimmt.

Nach knapp vier Stunden ist der Körper erschöpft. Dabei hat er eigentlich nur gesessen und zweimal den zehn Meter langen Gang in die Pausenhalle auf sich genommen. In der Oper ruft man nicht "Zugabe", sondern "Bravo". Applaudiert wird etwa fünf Minuten, auch Pfiffe der Begeisterung sind erlaubt. Was offensichtlich ebenfalls bei einem Opernbesuch gestattet ist: für die Pausen eigene Leckereien wie kleine Salzbrezeln oder Gummibärchen in Tupperdosen mitzubringen. So macht es zumindest die Frau mit der Federboa vor.

(laha)
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