30 Jahre Frauenberatungsstelle Mehr Cybergewalt gegen Frauen
Mönchengladbach · Dass Frauen geschlagen und gedemütigt werden, gab es schon immer. Nun wächst die digitale Gewalt. In der Beratungsstelle tauchen immer mehr Frauen auf, die von ihren Partnern per Handy überwacht werden.
Seit 30 Jahren kümmern sich Fachkräfte in der Frauenberatungsstelle an der Kaiserstraße um das Problem "Gewalt in der Beziehung". Das war schon immer sehr facettenreich: Frauen werden geschlagen, vergewaltigt, verhöhnt und gedemütigt. "Und dann gibt es noch die ökonomische Gewalt", sagt die Sozialpädagogin Silvia Henke, "Frauen haben keinen Zugang zum Konto, wissen noch nicht einmal, was ihr Partner verdient oder wie der Kontostand ist." In Zeiten digitaler Medien mussten die Beraterinnen erfahren: Gewalt geht offline und online. "Früher hatten wir in den Beratungsräumen Zettel hängen, auf denen wir darum baten, dass während des Gesprächs die Handys bitte ausgeschaltet blieben sollen", berichtet Sozialarbeiterin Doris Ingenhag, die von der ersten Stunde in der Frauenberatungsstelle Mönchengladbach arbeitet und sie mit aufbaute. Mittlerweile sind die Zettel mit dem Hinweis auf Smartphone-Stummschaltung wieder verschwunden. Ungewollt hatten die Fachberaterinnen die Ratsuchenden unter noch größeren Druck gesetzt. "Ich muss für meinen Mann immer erreichbar sein, sonst gibt es einen Riesenärger." Diesen Satz haben Doris Ingenhag und das Team oft gehört. Mobbing, Stalking, Kontrolle - all das ist per Smartphone möglich. "Uns berichtete eine Frau, dass ihr Partner sie überwache und immer dort auftauche, wo sie sich bewege. Sie sagte zum Beispiel: ,Das ist ganz seltsam. Ich gehe zu einer anderen Bushaltestelle als gewohnt, und er steht schon da.'", sagt Ingenhag. Was die Sozialarbeiterin damals genauso wenig wusste wie die ratsuchende Frau: Ihr Mann ortete sie über ihr Handy. "Dafür gibt es Apps, die ganz leicht zu aktivieren sind", weiß Erziehungsberaterin Susanne Büdenhölzer-Boms. Aber es gibt noch mehr Möglichkeiten, über Smartphones Druck auszuüben. In der Beratungsstelle berichten Frauen von 30 bis 50 SMS, die sie täglich während der Arbeit von ihren kontrollsüchtigen Männern bekommen.
Digitale Gewalt geht aber auch über Facebook und andere Plattformen, über die intime Bilder, böse Unterstellungen und Hetze gleich tausendfach verteilt werden. "Was da passiert und gepostet wird, ist oft sehr beängstigend", sagt Doris Ingenhag.
Bei einem Drittel aller Frauen, die in die Beratungsstelle kommen, sind aktuelle Gewalterfahrungen das Eingangthema. Dazu kommen die Ratsuchenden, die länger zurückliegende Gewalterfahrungen nicht verarbeiten konnten und heute unter Depressionen, Schlaflosigkeit oder Angststörungen leiden, die eine Suchtproblematik haben oder die kein soziales Umfeld mehr besitzen, weil ihr eifersüchtiger Ex-Partner jeden Kontakt unterbunden hat.
In der Frauenberatungsstelle wird Frauen geholfen, wenn sie aus den Partnerschaften heraus wollen. Das ist nicht einfach. "Viele, die keine Gewalterfahrungen haben, sagen, es müsse doch viel leichter sein, sich von einem herrischen Partner zu trennen, der permanent Druck ausübt. Aber das ist nicht so", weiß Doris Ingenhag. Denn oftmals sei das Selbstbewusstsein der Frauen zerstört, wenn sie von ihren Männern, die als einzige Bezugsperson blieben, jahrelang gehört haben: "Das kannst du nicht. Das schaffst du nicht. Wovon willst du überhaupt leben?". Außerdem bedeute ein Auszug oder eine Trennung nicht immer das Ende der Gewalt. "Diese Situationen können durchaus gefährlich werden", sagt die Sozialarbeiterin. Oftmals eskaliere die Gewalt dann erst recht.
Und außerdem: "Am Anfang war es immer Liebe. Es hat nicht mit Schlägen angefangen", sagt Silvia Henke. In solchen Partnerschaften gebe es viele Aufs und Abs: Gewalt, Versöhnung, Entschuldigungen. "Frauen denken zwischendurch oft: Vielleicht wird es ja doch wieder so wie früher."
Doris Ingenhag würde sich wünschen, dass die Situation von Frauen mit Gewalterfahrungen bei Richtern, Anwälten und Jugendamtsmitarbeitern mehr beachtet und berücksichtigt würden. Oft müssten sie monatelang auf Gerichtstermine warten, um den rechtmäßigen Unterhalt einzufordern. "Bei uns ist eine Frau, die wartet nun schon zwei Jahre. Die Anwälte finden immer wieder Tricks, um eine Entscheidung hinauszuzögern. Die Frau geht mittlerweile zur Tafel, damit sie etwas zu essen hat", berichtet Doris Ingenhag. Und natürlich hätten solche Frauen auch nach der Trennung oft noch Angst, sich bei Behörden und Ämtern in Gegenwart ihrer Peiniger zu äußern.