Mönchengladbach Die vielen Flüchtlinge sind eine Herausforderung

Mönchengladbach · Monika Bartsch, die Vorsitzende der Gladbacher Tafel, spricht über die Folgen von Zalando, arme Rentner und Kunden, die um Joghurt streiten.

 Die frühere Oberbürgermeisterin Monika Bartsch (linkes Foto) arbeitet ehrenamtlich als Vorsitzende der Gladbacher Tafel. Gestern lud sie alle 100 Hefer, die seit Monaten besondere Belastungen zu tragen haben, zum Sommerfest ein. Der Rheydter Pfarrer Manfred Riethdorf (rechtes Bild, Mitte) zauberte, Petra Wolfahrtstätter und Klaus Thomas Hinsch vom Maria Hilf kochten.

Die frühere Oberbürgermeisterin Monika Bartsch (linkes Foto) arbeitet ehrenamtlich als Vorsitzende der Gladbacher Tafel. Gestern lud sie alle 100 Hefer, die seit Monaten besondere Belastungen zu tragen haben, zum Sommerfest ein. Der Rheydter Pfarrer Manfred Riethdorf (rechtes Bild, Mitte) zauberte, Petra Wolfahrtstätter und Klaus Thomas Hinsch vom Maria Hilf kochten.

Foto: Detlef Ilgner und Jörg Knappe

Frau Bartsch, was bedeutet die Flüchtlingswelle für die Gladbacher Tafel?

Monika Bartsch Eine immense Herausforderung. Und zwar wegen der großen Zahl an neuen Empfängern. Und wegen der Sprachbarriere. In der Unterkunft, die in unserer Nähe ist, leben vor allem Albaner und Kosovaren. Die verstehen, anders als die Syrer, die wir schon länger versorgen, kein Englisch. Da ist es gar nicht so einfach, denen unsere Regeln und Abläufe klar zu machen. Die müssen ja erst mal verstehen, dass es der Reihe nach geht und dass wir kein Supermarkt sind, sondern dass es jedes Mal andere Lebensmittel bei uns gibt.

Wie stemmen Sie das logistisch?

Bartsch Wir haben mit dem Montag einen weiteren Ausgabetag dazu genommen, weil die Belastung für die Mitarbeiter sonst zu groß geworden wäre. Wir sortieren vormittags die Ware, die wir bekommen haben, bereiten das vor, damit es bei der Ausgabe schnell geht. Wenn wir dann um 14 Uhr öffnen, würde es an zwei Tagen bis in den Abend hinein dauern, alle zu versorgen. Das kann ich den Mitarbeitern kaum zumuten.

Was machen Sie für Erfahrungen mit den Flüchtlingen?

Bartsch Genau so unterschiedliche wie mit anderen Kundengruppen. In dem Asylbewerberheim leben viele große Familien. Viele sind dankbar und geduldig, manche gar nicht. Ein Albaner kam zu uns und konnte nur zwei Wörter Deutsch, die er gesagt hat: "Ich helfe." Und das macht er seither. Er packt Kisten, hilft den Älteren beim Tragen. Er war in seiner Heimat Bauarbeiter und kann richtig anpacken. Ein fröhlicher, zuverlässiger Mann.

Sie sprachen gerade von den Älteren unter Ihren Kunden. Sind das viele?

Bartsch Ja, und es werden immer mehr. Viele Senioren kommen mit ihrer kleinen Rente nicht klar und brauchen unsere Hilfe, um über die Runden zu kommen. Früher haben sich viele dafür geschämt und sich nicht getraut zu uns zu kommen. Ich bin froh, dass sich das geändert hat. Es ist aber auch traurig zu sehen, wie viele an ihrem Lebensabend Not leiden.

Wächst Ihre Klientel auch abgesehen vom Flüchtlingsstrom immer weiter?

Bartsch Zuletzt nicht mehr - und das ist eine wirklich gute Nachricht. Abgesehen von den Rentnern steigen die Zahlen nicht mehr so wie früher. Ich bin ja viel in der Stadt unterwegs und treffe manchmal unsere Kunden. Da sind dann einige, die stolz erzählen: Ich muss nicht mehr kommen, ich habe jetzt einen Job.

Merken Sie daran, dass es aufwärts geht in der Stadt?

Bartsch Das gilt zumindest bei den Niedriglohnjobs. Da hat sich unheimlich was getan. Wenn ich dann nämlich frage, bei wem sie ihre Stelle gefunden haben, sagen die meisten: Zalando. Die Ansiedlung der Logistik-Branche hilft aus meiner Sicht spürbar, die Armut in der Stadt zu mildern. Es gibt viele Familien, die deswegen wieder alleine klar kommen.

Wie groß ist die Dankbarkeit, kostenlos Lebensmittel zu bekommen?

Bartsch Ganz kostenlos ist es nicht. Wir verlangen einen Euro pro Monat. Die meisten sind sehr dankbar. Es gibt aber auch andere. Bei denen brauchen meine Mitarbeiter dann schon mal starke Nerven.

Wieso?

Bartsch Es kommen natürlich auch Menschen, die psychisch krank sind und sich deswegen nicht gut benehmen. Es kommt immer wieder vor, dass jemand ausrastet. Es gibt auch immer mal wieder Unruhe, weil jemand findet, er kommt zu kurz, jemand anders bekomme mehr oder besseren Joghurt. Da braucht es viel Fingerspitzengefühl, und man muss manchmal auch rigoros dazwischen gehen. Ich muss dann Leuten auch schon mal sagen, dass sie jetzt vier Wochen Platzsperre haben.

Das ist also schon echte Knochenarbeit für Ihre 100 Ehrenamtler.

Bartsch Auf jeden Fall. Darum brauchen wir auch richtig fitte und belastbare Helfer. Und weil die Situation mit den Flüchtlingen unsere Arbeit in den letzten Wochen besondere Herausforderungen gebracht hat, haben wir alle Mitarbeiter gestern zu einem Sommerfest eingeladen. Manfred Riethdorf hat gezaubert, und es gab ein tolles Buffet, das uns die Kliniken Maria Hilf gespendet hat. Das war eine tolle Sache.

Apropos Sponsoren. Wer beliefert Sie regelmäßig?

Bartsch Eigentlich alle großen Handelsketten wie Edeka, Rewe, Real, Aldi, Netto, Lidl. Wir fahren die mit unseren fünf Kühlwagen nach einem festgelegten Plan ab und holen die Lebensmittel ab.

Ist das dann eine Wundertüte, was bei Ihnen ankommt?

Bartsch Ja, das ist so. Man weiß vorher nie, was und auch nicht wie viel kommt. Wenn über eine längere Zeit weniger bei uns landet, hat das meistens einen Grund: Dann hat der Supermarkt eine Mindesthaltbarkeitstheke eingeführt und verkauft die abgelaufene Ware selbst zu einem geringeren Preis.

Dürfen Sie auch Lebensmittel abgeben, die schon abgelaufen sind?

Bartsch Das ist genau festgelegt. Joghurts zum Beispiel kann man länger ausgeben. Und dann haben wir noch eine Ecke eingeführt, aus der man sich auf eigene Verantwortung Sachen mitnehmen kann, von denen man vielleicht nur noch einen Teil verwenden kann. Da steht dann direkt die Bio-Tonne daneben, so dass jeder zum Beispiel die Erdbeeren aus der Schale, die nichts mehr sind, gleich aussortieren kann.

Und wenn Sie mal nicht genug Lebensmittel haben?

Bartsch Geben wir zusätzlich Konserven ab. Wir dürfen eigentlich selbst nichts zukaufen - können aber von den Geldspenden, die wir bekommen, Lebensmittel kaufen.

Wer also als Privatmann der Tafel helfen will, gibt am besten Geld - und nicht die Reste vom Geburtstagsbuffet?

Bartsch Genau. Die Reste vom Geburtstagsbuffet dürfen wir nämlich gar nicht nehmen. Da gelten für uns dieselben Regeln wie für Gaststätten: Was einmal auf dem Tisch war, darf nicht wieder angeboten haben. Darum haben wir auch nichts davon, wenn vom VIP-Buffet bei den Borussia-Heimspielen etwas übrig bleibt.

Was man Ihnen sicher auch noch schenken darf, ist eine Halle als neuen Standort.

bartsch (lacht) Gerne! Wir müssen wegen der städtebaulichen Planungen in Lürrip wohl in spätestens drei Jahren raus. Wir sind in guten Gesprächen mit der Entwicklungsgesellschaft und hoffen, dass wir wieder so eine gute Lösung finden wie bisher.

Was brauchen Sie?

Bartsch 800 Quadratmeter, innerstädtisch, mit Bussen zu erreichen und nicht in einem reinen Wohngebiet.

Warum das nicht?

Bartsch Nicht jeder würde sich freuen, an mehreren Tagen in der Woche unsere Klientel in Schlangen vor der Haustür warten zu haben.

Wie viele Stunden stecken Sie eigentlich in die Tafel?

Bartsch In der Woche? 15 Stunden. Ich bin bei der Ausgabe immer dabei, um schwierige Situationen entschärfen zu können.

Bekommen Sie eigentlich irgendwas dafür - zum Beispiel Fahrtkosten?

bartsch Keinen Cent. Das ist ein reines Ehrenamt.

(RP)
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