Kneipe in Mönchengladbach Zu Udo ins "Sandrad"

Mönchengladbach · Seit 39 Jahren ist das "Sandrad" von Udo Eilers eine Institution in der Gladbacher Altstadt. Über eine Kneipe, die so einzigartig ist wie ihr Besitzer.

Mönchengladbach: Das ist Udo vom "Sandrad"
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Das ist Udo vom "Sandrad"

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Als Udo Eilers an diesem späten Abend sein Wohnzimmer betreten will, klingelt er an der Tür. Sicher, er könnte auch aufschließen. Aber es ist ja schließlich schon jemand da, der öffnen kann. Zwei Gäste sitzen am Tresen, René Buß stellt ihnen ein Bier hin und drückt auf den Türöffner. Der Chef ist da. Eilers schüttelt sich kurz, flucht etwas in seinen Bart wie "wat'n Wetter da draußen", legt seine regennasse Jacke ab und gesellt sich dann dazu an den Tresen. Endlich zuhause. In seiner Kneipe Sandrad, die er liebevoll sein Wohnzimmer nennt. "Machste mir'n Tässchen Schmunzelsüppchen", bittet er Barkeeper René Buß, ihm ein frisches Altbier zu zapfen. Dann ist Eilers gesprächsbereit.

Es gibt wohl kaum einen Kneipier wie ihn, und schon gar nicht in der Mönchengladbacher Altstadt. Eilers (71) betreibt dort seit 39 Jahren seine innig geliebte Kneipe Sandrad. Und der Chef selbst ist ein Unikat wie seine Gaststätte auch. Eilers trägt auf dem Kopf eine Frisur irgendwo zwischen Jesus und Prinz Eisenherz und einen stattlichen Vollbart mit gezwirbeltem Schnurrbart. Über seine Haare sagt er stolz, dass er nur als Baby mal kurz einen anderen Haarschnitt trug.

Kaum ein Altstadt-Besucher kennt ihn und diese kleine, im Keller gelegene, eigenwillige Kneipe nicht, hat sich am Ende einer Partynacht auf dem Weg nach Hause mit den Worten "Noch kurz zu Udo" doch noch umentschieden, ein letztes Bier einzunehmen. Sich vielleicht noch ein Lied zu wünschen. Wenn ein Gast das tut, wühlt Eilers mit seinen dünnen Händen kurz im Kassettenregal, spult ein bisschen vor und zurück, und dann hat er das richtige Stück auch schon gefunden. "Alle Kassetten habe ich selbst zusammengestellt. Bei 750 habe ich aufgehört zu zählen." Selbst die Musik aus den Boxen klingt, als habe sie über die Jahrzehnte Patina angesetzt.

Angefangen hat Eilers als Gastronom 1973 noch an anderer Stelle. Als seine Lieblingskneipe mit Namen Karoo im Stadtteil Hermges plötzlich schließen sollte. "Ich kam von der Arbeit in Düsseldorf jedes Mal daran vorbei und habe den Tag dort gemütlich ausklingen lassen", sagt er. "Ich habe diese Kneipe geliebt." Und plötzlich von einer solchen Liebe verlassen zu werden, das geht natürlich nicht. Also kündigte er seinen Job als Grafiker in der Gestaltung von Magazinen ("Schöner Wohnen", "Stern") und machte künftig in Hermges weiter. Und schon damals kamen alle, die in der Altstadt eigentlich genug gefeiert hatten, auf dem Weg nach Hause noch zu ihm. "Sogar Günter Netzer war da, wenn er sein Lovers Lane schon zugemacht hatte." 1979 musste er raus mit seiner Kneipe, ein Nachbar hatte sich über Ruhestörung der Gäste vor der Tür beklagt. Also suchte er kurz und fand jenen Keller an der Viersener Straße, Ecke Sandradstraße, der seitdem sein "Wohnzimmer" ist. Im Grunde war der Umzug nicht schlimm. "Heimat ist für mich da, wo ich mit netten Leuten zusammen bin."

Und das war er im Sandrad bis heute immer. Das wissen die Gäste zu schätzen. Erstaunlich viele junge Altstadt-Besucher kommen gerne zu ihm. "Bei mir hat der demografische Wandel voll eingesetzt. Die Alten können nicht mehr kommen, aber die Jungen tun es", sagt er und lächelt zufrieden. Seine Gäste nennt er alle "meine Kinder". Und ohne sie, das sagt er ganz offen, würde es das Sandrad vielleicht gar nicht mehr geben.

An einem August-Abend im Sommer 2016, Eilers war wie immer im Minicar auf dem Weg von seiner Wohnung in Rheydt in sein Wohnzimmer nach Gladbach, da kam es zu einem schweren Autounfall. Sieben Rippen brachen, ein Lendenwirbel. Arbeiten kann er seitdem nicht mehr. Er war kurz davor, die Kneipe zu schließen. Das aber dürfe auf keinen Fall passieren, fanden ein paar seiner jungen Stammgäste um René Buß. Sie machten weiter, während Eilers im Krankenhaus an seiner Rückkehr ins Wohnzimmer arbeitete. Eineinhalb Jahre dauerte das. Jetzt kann er immerhin wieder auf dem geliebten Barhocker Platz nehmen und einfach da sein. Familie halt.

(RP)
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