Mönchengladbach Schreinerlehre von Indien aus organisiert

Mönchengladbach · Von Bangalore nach Hardt führte der Weg von Vanessa Hörig. Die Tochter eines deutschen Vaters und einer indischen Mutter macht eine Ausbildung in der Schreinerei Zimmermanns - nachdem sie gut 150 Bewerbungen geschrieben hatte.

 Juniorchef Jörn Zimmermanns und Vanessa Hörig. Die 25-Jährige hat sich von Indien aus beworben und absolviert derzeit ihre Ausbildung in dem Hardter Betrieb.

Juniorchef Jörn Zimmermanns und Vanessa Hörig. Die 25-Jährige hat sich von Indien aus beworben und absolviert derzeit ihre Ausbildung in dem Hardter Betrieb.

Foto: Detlef Ilgner

Bevor sie sich setzt, gibt sie noch schnell einen Code ein. Das Gerät zur Zeiterfassung weiß nun, dass sie an diesem Freitagnachmittag nicht mehr draußen den Lastwagen wäscht, sondern in der Werkstatt ist. Nicht groß, nicht klein, eher zierlich als kräftig, Arbeitshose, Sweatshirt und Polo in den Farben der Firma. Nichts Ungewöhnliches an der jungen Frau, die seit zwei Monaten ihre Ausbildung in der Schreinerei Zimmermanns in Hardt absolviert. Bis auf die Augen. Wach und vor allem tief dunkel. In ihrer Stimme liegt Lebensmut, Zuversicht, und Klarheit, wenn sie davon erzählt, wie sie ihr Heimweh in Schach hält: "Ich koche dann indisch."

Vanessa Hörig ist Tochter eines Deutschen und einer Inderin. Die 25-Jährige hat im indischen Ahmedabad am National Institute of Design Innenarchitektur und Möbeldesign studiert. Anschließend in Bangalore zwei Jahre bis Ende 2016 bei einem Start-up-Unternehmen gearbeitet, das Möbel verleiht. In dieser Zeit wuchsen ihre Überlegungen, etwas selber zu machen, auf jeden Fall aber weiterzulernen: "Ich möchte mit den eigenen Händen das bauen, was ich entwerfe."

Konsequent ist sie seither ihren Weg gegangen. Als Rüstzeug haben ihr die ehemaligen Kollegen ein wenig Werkzeug mit auf den Weg gegeben: Akkuschrauber, Stecheisen, Hammer, Feilen. Mehr als 150 Betriebe hat sie angeschrieben, von vielen kam keine Antwort. Einige haben ihr mitgeteilt, dass sie für die junge Frau aus Indien keinen Ausbildungsplatz haben: "Mit vier Firmen hatte ich dann kurze Gespräche, am Ende habe ich in München ein Praktikum gemacht und eben bei Zimmermanns." Ganz konkret hat sie nach Unternehmen Ausschau gehalten, die nicht zu groß sind und in denen vor allem die ganze Bandbreite des Schreinerhandwerks abdecken: "Hier in Hardt bauen wir nahezu alles, Treppen, Türen, Möbelstücke."

Juniorchef Jörn Zimmermanns erinnert sich, dass er Vanessa Hörigs Anfrage erst einmal zur Seite gelegt hat: "Eine Bewerbung aus Indien - ich meine, das klingt zunächst doch schräg." Er muss schmunzeln bei dem Gedanken, denn schon bald wurde er eines Besseren belehrt: "Nachdem ich mir die Unterlagen dann doch einmal genauer angeschaut habe, bin ich neugierig geworden." Die ersten Kontakte liefen über Skype und spätestens nach dem Praktikum war klar, dass Vanessa Hörig es ernst meint, so Zimmermanns: "Wer mal eben von Indien herüber fliegt, um bei uns für drei Tage in den Betrieb hineinzuschnuppern, kann nicht verkehrt sein." Obwohl in dem Familienbetrieb bereits zwei Azubis ihre Ausbildung machen, hat er der jungen Frau zugesagt.

Ausschlaggebend für die Entscheidung pro Zimmermanns sei vor allem gewesen, "dass ich neben der Berufsschule viel im Betrieb sein kann. Das ist nicht überall so. Anderswo ist man im ersten Ausbildungsjahr kaum im Betrieb", erzählt Vanessa Hörig. Außerdem habe sie die Webseite der Schreinerei überzeugt: "Wer so modern und facettenreich über seine Arbeit Auskunft gibt, musste einfach meine Neugierde wecken." In diesem Augenblick spricht die Designerin aus ihr. Natürlich mag sie das traditionelle indische Design, aber am National Institute wurde schnell ihre Begeisterung für klare Formen geweckt, erzählt sie: "Skandinavische Möbel faszinieren mich, aber auch die japanischen Formensprache. An unserem Institut hat unter anderem der berühmte Design-Pionier George Nakashima gewirkt." Sie selbst hat - noch in Indien - schon erste Gehversuche unternommen und ein Sofa entworfen, an dessen Bau sie ein wenig mitwirken durfte.

Teakholz mag sie, aber auch Walnussholz. Vanessa Hörig freut sich, dass sie viel über den Werkstoff Holz lernt, "über die Vielfalt der Hölzer, ihre Besonderheiten, die verschiedenen Formen und Eigenschaften, und wie die Hölzer individuell verarbeitet und eingesetzt werden können."

Bevor die junge Auszubildende sich aber intensiver mit dem Entwerfen von Möbeln befassen kann, steht der Arbeitsalltag im Vordergrund. Das heißt vor allem auch, in der Werkstatt und auf der Baustelle schwere Arbeiten zu bewältigen. Aber das schreckt Vanessa Hörig nicht einen Augenblick: "Mir fehlt als Frau zwar die Kraft. Aber man muss nur die richtige Technik entwickeln, dann geht das Alles." Jörn Zimmermanns grinst: "Mir hat ein Mitarbeiter von der Baustelle aus eine SMS geschickt. ,Es klappt super mit ihr und sie jammert nicht', hat er ausdrücklich hervorgehoben. Und das Lob ausgerechnet von einem, der vorher eher skeptisch war."

In der Berufsschule könnte es schneller gehen, meint die Auszubildende: "Bei der Sprache habe ich dann Schwierigkeiten, wenn es um Fachbegriffe geht. Im Englischen kenne ich sie und weiß, was gemeint ist. Aber auch das klappt zunehmend."

Von ihren Kollegen im Betrieb wird sie unterstützt. Geselle und Meister helfen, wenn und wo es nötig ist. Eines will Vanessa Hörig aber auf keinen Fall: "Als Sonderkind behandelt werden." Wohin sie der Weg nach der Ausbildung führen wird, weiß sie noch nicht. Vieles sei möglich und angedacht. Eines sei jedoch klar: "Wer etwas lernen will, für den sollten geografische Grenzen kein Problem sein."

Und während der Juniorchef noch darüber spricht, dass Vanessa Hörig ein Gewinn für den Betrieb ist, hat die Auszubildende längst den Besen in der Hand, denn die Werkstatt muss vor dem anstehenden Wochenende noch gefegt werden.

(akue)
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