Mönchengladbach Seelenqual

Mönchengladbach · "Schuld und Sühne" ist ein Krimi, ist ein Seelendrama, ist ein Stück, das den Zuschauer miterleben und mitleiden lässt. Die Premiere wurde im Theater begeistert gefeiert. Bravo!

 Philipp Sommer ist ein überragender Raskolnikow. Er überwindet Angst und Horror, als er sich selbst die Fußfessel anlegt.

Philipp Sommer ist ein überragender Raskolnikow. Er überwindet Angst und Horror, als er sich selbst die Fußfessel anlegt.

Foto: Matthias Stutte

Vorweg: Philipp Sommer mutet als Raskolnikow den Zuschauern fast Unerträgliches zu. Sie empfinden Abscheu, als er selbstgerecht und überheblich die Menschen kategorisiert - in lebenswerte und überflüssige Wesen. Sie empfinden Mitleid mit ihm, wenn er sich in seiner unendlichen Seelenqual windet, wenn er schreit, hechelt, sich fast übergeben muss, als die Schuld ihn zu erdrücken droht. Sie sind erleichtert, als er den Mord an der Pfandleiherin und ihrer Schwester gesteht. Und sie empfinden tatsächlich so etwas wie Freude, als er am Ende die schwarze Wand, die ihm Luft und Raum zum Atmen nimmt, wegdrücken kann. Großartig, Philipp Sommer. Kompliment.

 Michael Ophelders ist der gewitzte Staatsanwalt Porfirij.

Michael Ophelders ist der gewitzte Staatsanwalt Porfirij.

Foto: © Matthias Stutte

Kompliment auch für Anna Pircher. Ebenso wie Sommer hat sie erst kürzlich ihr Schauspielstudium abgeschlossen. Sie spielt Sonja, die tiefgläubige junge Frau, die sich prostituieren muss, um die Familie ernähren zu können. Sie bietet lasziv und aufreizend ihren Körper an, den die Männer mechanisch benutzen. Sie fleht Gebete gen Himmel, wäscht sich manisch in einer Zinkwanne. Der Zuschauer leidet mit ihr. Großartig, Anna Pircher. Diese beiden jungen Schauspieler haben sich bereits in der Premiere von "Schuld und Sühne" in die Herzen der Theaterbesucher gespielt.

 Anna Pircher ist die tiefgläubige Prostituierte Sonja.

Anna Pircher ist die tiefgläubige Prostituierte Sonja.

Foto: © Matthias Stutte

Ebenso Michael Ophelders. Er spielt er den gewitzten und immer gut gelaunten Staatsanwalt Porfirij, der trickreich Fallstricke auslegt und Raskolnikow derart zusetzt, dass der sich am Ende stellen muss. Mit seiner ergrauten Haarmähne erinnert der Schauspieler in manchen Passagen an den legendären Peter Falk, der die TV-Zuschauer jahrelang als Inspektor Columbo begeisterte.

Das Seelendrama "Schuld und Bühne", das Schauspieldirektor Matthias Gehrt nach dem Weltroman von Fjodor Dostojewski und nach der Vorlage von Andrzej Wajda für das Theater inszeniert hat, lässt nicht unberührt, es geht unter die Haut. Dem Mitleiden kann sich niemand entziehen. Die Bühne ist dunkel und nur spärlich möbliert. Gabriele Trinczek hat sie erdacht. Die Seelenqualen des Raskolnikow, seine wachsende Panik, die Ausweglosigkeit seiner Situation werden durch den immer enger werden Raum auf der Bühne verstärkt. Zunächst fast unmerklich, dann deutlich, schiebt sich eine riesige schwarze Wand von hinten nach vorne, bis am Ende nur noch ein ein Meter breiter Bühnenstreifen bleibt. Mit der Enge wächst die Not Raskolnikows. Erst als sich selbst die Fußfessel anlegt, wirkt er wie erlöst. Die Angst ist weg, der Horror, die Qual.

Dostojewski hat die Geschichte 1866 aufgeschrieben. Nichts an ihr ist unmodern, nichts verstaubt. Aktuell bis heute ist sie, weil es um menschliche Gefühle geht. Das Stück ist eine psychologische, kriminalistische und moralische Studie. Und außerordentlich fesselnd. Die Schauspieler ernteten Riesen-Applaus nach der Premiere. Den hatten sie allesamt verdient.

(RP)
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