Mönchengladbach Senioren in der Stadt gut versorgt

Mönchengladbach · Interview mit Helmut Wallrafen-Dreisow, Geschäftsführer der städtischen Sozial-Holding, über die Probleme, auch in Zukunft noch genügend Mitarbeiter für die Altenpflege zu finden, Lohndumping in der Pflegebranche und den Einsatz von Helfern aus Osteuropa.

Wird Mönchengladbach alt?

Helmut Wallrafen-Dreisow Wie in der gesamten Bundesrepublik nimmt auch in Mönchengladbach der Anteil der Älteren deutlich zu.

Erschreckt Sie das?

Wallrafen-Dreisow Zunächst einmal nicht. Die Frage ist doch, wie wir mit der Entwicklung umgehen. Wir können nicht mehr mit 50 Jahren in den Vorruhestand gehen. Wir sind leistungsfähiger bis ins hohe Alter und haben beim Älterwerden auch noch berufliche Aufgaben. Wer mit 65 Jahren in Rente geht, hat statistisch noch fast 25 Jahre zu leben. Das ist ein Lebensabschnitt, den man noch gestalten kann und muss.

Auch in Seniorenheimen?

Wallrafen-Dreisow Das Durchschnittsalter in der vollstationären Pflege liegt bei 87 Jahren. Der Wert ist deutlich nach oben gegangen. Ich möchte das einmal positiv beschreiben: Wenn das Durchschnittsalter so hoch ist, dann haben wir vorher qualifizierte Alternativen: Man kann als Familie selbst vorsorgen oder eben andere Angebote nutzen. Deutschland ist das Land in Europa, das am meisten für seine älteren Menschen tut. Und die Angebote greifen relativ gut.

Sie machen sich keine Sorgen über Ihre angemessene Betreuung im Alter?

Wallrafen-Dreisow Von den heutigen Strukturen ausgehend: nein. Die Frage ist eher, was die demographische Entwicklung bringt für den Beruf Altenpflege. Gibt es noch genug qualifiziertes Personal, oder werden Pflegefachkräfte durch finanziell attraktivere Angebote abgeworben?

Wenn wir mehr Pflegepersonal brauchen: Wie kommt man an die Leute heran?

Wallrafen-Dreisow Damit im Jahr 2025 genügend Pflegekräfte zur Verfügung stehen, müsste jeder vierte Schulabgänger in die Pflege gehen. Deshalb müssen wir uns als Arbeitgeber überlegen, wie wir attraktiv bleiben oder attraktiver werden. Volkswirtschaftlich ausgedrückt ist die Pflegebranche ein enormer Wachstumsmarkt, der im Personalbedarf sechsmal schneller wächst als die Gesamtwirtschaft.

Fachkräfte-Mangel wird überall befürchtet. Nur wird in der Pflegebranche nach Tarifen bezahlt, die nicht so prickelnd sind im Vergleich zu anderen.

Wallrafen-Dreisow Und deshalb muss sich die Pflegebranche Gedanken machen. Wir haben im Demographie-Bericht für die städtische Sozial-Holding festgestellt, dass von unseren 900 Mitarbeitern 235 bis zum Jahr 2019 in Rente gehen. Das war ein Schock. Jetzt haben wird unsere Ausbildungsstellen auf 60 verdoppelt und investieren erheblich in Weiterbildungsmaßnahmen für ältere Kolleginnen und Kollegen. Und auch unsere Gesundheitskonzepte greifen: Bei den Über-55-Jährigen liegt unser Krankenstand bei vier Prozent, in der Gesamtbranche bei 5,5 Prozent. In vielen Berufsfeldern wird niemand über 50 eingestellt, Unser Motto ist: "Über 50 — na und?"

Sie sind für demopraphie-bewusste Personalpolitik ausgezeichnet worden. Aber in der Branche werden gute Kräfte doch auch abgeworben.

Wallrafen-Dreisow Zum einen muss die gesamte Pflegebranche Menschen für den Beruf gewinnen. Zum anderen trage ich Verantwortung für meine Mitarbeiter und stehe auch im Wettbewerb zu anderen Trägern. Natürlich schauen wir, dass unsere Stellen besetzt sind und versuchen gute Rahmenbedingungen zu schaffen. Wir zahlen Tariflohn, haben einen Betriebsrat und setzen auf Mitbestimmung. Wir stellen aber gerne noch mehr Pflegefachkräfte ein.

Wie sehen Sie die Situation insgesamt in Mönchengladbach: Müssen ältere Menschen Angst haben, im Alter nicht versorgt zu werden?

Wallrafen-Dreisow Nein, das sehe ich im Moment nicht so. Die Branche muss aber darum kämpfen, dass sich die beginnende Transparenz mit vergleichbaren Angeboten fortsetzt. Tarifliche Löhne müssen insgesamt eingeführt werden. Wenn wir uns mit Lohndumping bekriegen, ist der Beruf unattraktiv. Ich fordere, dass Tariflöhne in der gesamten Branche eingeführt werden.

Betreiben andere Träger in Mönchengladbach Lohndumping?

Wallrafen-Dreisow Ja. Ich empfinde das als Skandal.

Gibt es in der Stadt genug Pflegeplätze?

Wallrafen-Dreisow Im vollstationären Bereich haben wir ein modernes und völlig ausreichendes Angebot. In Mönchengladbach ist in den vergangenen Jahren bei nahezu allen Trägern neu gebaut worden.

Daran wird der demographische Wandel auch nichts ändern?

Wallrafen-Dreisow Ich glaube nicht. Menschen bleiben länger zu Hause, sie kommen später ins Heim, also ist die Verweildauer auch kürzer. Da wird auch Hysterie geschürt von denen, die mit dem Bau von Heimen Geld verdienen. Im Kreis Neuss, in Köln und Essen gibt es sogar Überangebote. Wir müssen als Heimträger aber für Beschäftigte attraktiver werde und mit den Kostenträgern um bessere Rahmenbedingungen streiten.

Im vergangenen Jahr begann im Caritas-Altenheim Giesenkirchen der Pflegeskandal. Die Staatsanwaltschaft hat in rund 50 Fällen wegen des Verdachts auf schwerwiegende Pflegefehler auch bei anderen Trägern ermittelt. Die Hälfte wurde eingestellt. Wurde auch bei der Sozial-Holding ermittelt?

Wallrafen-Dreisow Gegen die Altenheime GmbH liegt bis heute keine einzige Strafanzeige vor.

Hat Sie der Skandal erschrocken?

Wallrafen-Dreisow Nicht so sehr.

Sie haben geahnt, dass es solche Probleme in der Branche gibt?

Wallrafen-Dreisow Mit anderen Worten: Ich halte die TÜV-Noten zur Bewertung der Qualität von Seniorenheimen für nicht geeignet. Das betroffene Heim hatte eine Note von 1,4. Wenn unsere Kunden so viel für einen vollstationären Pflegeplatz bezahlen müssen, dann finde ich es nicht nachvollziehbar, warum es nur Teil-Informationen und Teil-Transparenz gibt.

Was hat die Caritas falsch gemacht?

Wallrafen-Dreisow Das kann ich nicht beurteilen. Ich war nie da. Sehr schade finde ich, wie der Träger mit den Vorwürfen umgegangen ist. Da hätte ich mir einen offeneren und offensiveren Umgang gewünscht. Wir alle hatten kurz danach den Schaden. Die ganze Branche und viele Bürger waren verunsichert. Das war eine schwierige Zeit. Das hat die Menschen diskreditiert, die in Pflegeeinrichtungen arbeiten. Ich finde es aber auch von Familien mit Pflegebedürftigen nicht angemessen, einerseits mehr Personal zu fordern und auf der anderen Seite die Höhe der Heimkosten zu bemängeln.

Werden Seniorenheime nun skeptischer betrachtet?

Wallrafen-Dreisow Gerade die stationäre Pflege ist ein regionaler Markt, in dem viel über Mund-zu-Mund-Propaganda läuft. Es ist nun einmal so, dass gerne über das Negative berichtet wird, weniger über das, was gut ist. Da ist es doch klar, dass sich junge Menschen beruflich erst einmal anders orientieren.

Kann man als Senior auch in Heimen anderer Städte unterkommen?

Wallrafen-Dreisow Selbstverständlich. Aber es ist viel spannender, als Stadt für jüngere Senioren attraktiv zu werden. Diese Bewegung wünsche ich mir für Mönchengladbach.

Was kann die Stadt mehr tun?

Wallrafen-Dreisow Es gibt Projekte für generationsübergreifendes Wohnen. Da liegt Mönchengladbach im vorderen Mittelfeld.

In der Diskussion ist derzeit das Modell, Pflegekräfte aus Osteuropa für drei Monate nach Hause zu holen. Was halten Sie davon?

Wallrafen-Dreisow Das ist ein zweischneidiges Schwert. Man kann niemandem einen Vorwurf machen, der sich mit der Pflege eines Familienangehörigen überfordert fühlt. Bei tariflicher Entlohnung würde eine Pflegekraft im Haus rund 8000 Euro im Monat kosten. Dann stellt man eben günstiger aus Osteuropa ein. Hier gibt es eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Die Pflege-Versicherung ist keine Vollkasko-Versicherung. Dieses Versprechen war nie haltbar. Man hätte früh Zusatzversicherungen abschließen müssen. Das ist nicht geschehen, und daran leidet das System jetzt. Entlastungen zu geben ist eine staatliche Aufgabe, aber wie das finanzierbar ist, darauf habe ich heute auch noch keine Antwort.

Wie stellen Sie sich die Alten-Versorgung in 20 Jahren vor? Sie haben ein Wohnpark-Modell verfolgt.

Wallrafen-Dreisow Ja, das Thema ist absolut aktuell. Die Frage ist: Wo gibt es Flächen, auf denen man dies realisieren kann? Erste Ansätze sind da. Der Standort Lürrip hat für uns keine dauerhafte Perspektive. Wir werden den Standort verlassen, eine Teil-Alternative wird das Kamillianer-Krankenhaus sein.

Was halten Sie von einem reinen Seniorendorf, wie es in Emden umgesetzt wurde?

Wallrafen-Dreisow Ich halte mehr von einer Durchmischung als von Ausschließlichkeit. Ich wünsche mir für Ältere, dass sie sich in dieser Stadt wohlfühlen können. Das macht sich dann auch in der Kaufkraft bemerkbar. Aber genauso dringend wie gute Wohnungen für Senioren benötigen wir günstigen Wohnraum für Familien und junge Menschen.

Worauf würden Sie bei der Auswahl eines Pflegeplatzes achten?

Wallrafen-Dreisow Auf meinen Bauch. Ich kann nur raten: hingehen, angucken, wirken lassen! Wie ist die Atmosphäre? Gibt es Hektik oder Ruhe? Wie ist der Umgangston? Und dann erst nachschauen, was eine Einrichtung für Bewertungen hat.

Wenn Sie das alles bedenken: Graut es Sie vor dem Altern in Mönchengladbach?

Wallrafen-Dreisow Nein. Ich halte Mönchengladbach auch für Senioren für eine lebenswerte Stadt.

Das Interview führten Andreas Gruhn und Dieter Weber

(RP)
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