Geschichte einer Generation Alles für die Familie

Mönchengladbach · Für Hans Hohnen aus Mönchengladbach ist die Familie das Wichtigste im Leben. Er arbeitete unermüdlich, um seinen Liebsten ein sicheres Leben nach dem Krieg zu ermöglichen. Das ist seine Geschichte.

 Hans Hohnen

Hans Hohnen

Foto: Bauch Jana

Heimat ist nicht immer da, wo man lebt. Seit drei Jahren wohnt der Hans Hohnen im Caritaszentrum Giesenkirchen. Obwohl der 94-Jährige sich hier wohlfühlt, ist es für ihn nicht ganz wie zu Hause. "Auch wenn die Zeit hier gut vergeht, eine Heimat wäre das Altenheim erst für mich, wenn meine Frau noch lebte und neben mir säße." Hier im Caritaszentrum Giesenkirchen bekommt Hans Hohnen regelmäßig Besuch von seinen Kindern und von "der Herrengruppe". Die gemeinsame Zeit mit den vier Freunden schätzt er sehr. "Wir quatschen dann über dies und das, haben einfach Spaß zusammen." Hans Hohnen beginnt zu erzählen. Von vergangenen Zeiten, die nicht einfach waren und von Erlebnissen, die sein Leben geprägt haben.

 Die schönste Zeit seines Lebens teilte Hans Hohnen mit seiner Frau Helene und seiner Familie.

Die schönste Zeit seines Lebens teilte Hans Hohnen mit seiner Frau Helene und seiner Familie.

Foto: Bauch Jana

Hans Hohnen wird am 25. Dezember 1923 in Odenkirchen geboren. Mit 14 Jahren wird er aus der Schule entlassen. Einen Job bekommt er nicht, da er kein Mitglied der Hitlerjugend war. Zwei Jahre später wird er als Pioniersoldat nach Dresden geschickt und verbringt mehrere Jahre im Krieg. Die Soldatenzeit würde er am liebsten aus seinem Leben streichen. Zum Kriegsende wird er bei Pilsen von den Tschechen in Gefangenschaft genommen.

Familie lebte im Viehstall

Als er nach einiger Zeit aus der Kriegsgefangenschaft entlassen wird, macht er sich auf den Weg Richtung Heimat, Mönchengladbach. Er hofft nichts inniger, als seine Familie wohlauf wiederzusehen. Hans Hohnen kehrt zu seinem Familienhaus zurück, doch nichts steht mehr so, wie er es verlassen hat. Ein Großteil des Hauses und der Nachbarschaft ist zerstört. Die Heimat wurde zweimal ausgebombt. Niemand ist da. Er begibt sich auf die Suche. Fragt sich quer durch die Nachbarschaft, bis er schließlich erfährt, dass "die Hohnens" im Viehstall wohnen.

Die Ungewissheit ist für ihn das Schlimmste. Haben Vater, Mutter und Geschwister überlebt? Der Moment des langersehnten Wiedersehens ist für Hans Hohnen auch heute noch unbeschreiblich, der glücklichste Moment seines Lebens.

Hans Hohnen erinnert sich an den Ratschlag, den er seiner Mutter und seinen Geschwistern mitgab: "Wenn Bombenalarm ist, lauft in die Felder, nicht in den Bunker. Versteckt euch in den Feldern." Es hat geholfen. Die Familie überlebt. Auch sein Vater kehrt aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft zurück.

Es gibt noch einen weiteren Grund zur Freude für Hans Hohnen. Er ist Vater geworden. Seine Freundin Helene bringt die gemeinsame Tochter Karin noch während des Krieges auf die Welt. Sein Kind ist so gut wie unversehrt. Nur ein weißer Streifen im Haar, die Spuren einer Bombe, verewigt die grausamen Kriegszeiten am Körper des Kindes. Die junge Familie zieht in eine Baracke bei Bell Witt in Kronenburg.

Liebe auf den ersten Blick

Seine große Liebe Helene lernte Hans Hohnen noch zu Kriegszeiten kennen, beim Tanzen. "Auch wenn ich damals noch nicht gut tanzen konnte, am liebsten hätten wir sofort geheiratet. Helene war Niederländerin, nicht arischer Abstammung. Die Personalien mussten für eine Hochzeit bis ins kleinste Detail angegeben werden. Wenn schon der kleinste Punkt nicht passte, dann ging nichts mehr. So war uns eine Hochzeit während der Hitlerzeit unmöglich." Die Hochzeit wird 1950 nachgeholt, im folgenden Jahr kommt ihr zweites Kind zur Welt: Sohn Leo.

Helene Hohnen bekommt eine Stelle in der Mützenfabrik Johann Drießen. Hans Hohnen wird Kranfahrer, baut wieder auf, was zerstört wurde. Um die Familie über Wasser zu halten, nimmt Hans Hohnen mehrere Nebenjobs an. "Familie ist für mich das Höchste. Ich habe Tag und Nacht gearbeitet, wollte uns ein gutes Leben ermöglichen. Damals gab es so gut wie keine Wohnmöglichkeiten. Die Stadt musste neu aufgebaut werden."

Die erste Wohnung, in der die Familie unterkommen kann, hat drei Zimmer und ist nur 27 Quadratmeter groß. "Im Winter stand von innen das Eis an den Wänden. Die Wände waren nur einen halben Stein dick, überall zog Kälte rein. Ich hatte Angst. Angst, dass meine Kinder erfrieren." Damit seine Kinder warm und gesund bleiben, sucht sich Hans Hohnen einen Nebenjob beim Kohlenverladen der Zugwagons. Der Job bringt zwar nicht viel Geld ein, dafür kann er aber die daneben gefallenen Kohlen aufsammeln und zum Heizen mit nach Hause nehmen. Die Familie übersteht den Winter und kann später in eine bessere Wohnung nach Rheydt ziehen.

Das erste Haus in Odenkirchen

"Gearbeitet hab ich immer gern, bin auch nie krank gewesen. Bis auf den Unfall 1952." Ein schwerer Arbeitsunfall beim Betonfertigbau West setzt Hans Hohnen neun Monate außer Gefecht. Sein 20 bis 25 Meter hoher Kran, samt acht Tonnen schwerer Ladung, kippt um. Hans Hohnen sitzt ganz oben, er stürzt ab und bricht sich beide Arme. Helene pflegt ihn zu Hause, bis er wieder genesen ist.

Schließlich kauft die Familie ein Haus in Odenkirchen. Besonders an gemeinsame Skiurlaube im Ötztal erinnert sich Hans Hohnen gern zurück. Bis zum Rentenalter arbeitet Hans Hohnen als Kranführer. Seine Frau Helene stirbt 2009. "Heute wären wir schon fast 70 Jahre verheiratet, aber an bereits Vergangenem kann ich jetzt auch nichts mehr ändern."

Vor rund drei Jahren bricht Hans Hohnen in seinem Badezimmer zusammen. Während sein Gesundheitszustand im Krankenhaus stabilisiert wird, organisieren seine Kinder einen Umzug ins Altenheim. "Das war schon eine komische Situation. Viel habe ich nicht mitbekommen. Beim Umzug ins Altenheim musste ich mich von einem Großteil meiner persönlichen Sachen trennen. Gute, teure Holzmöbel, für die ich lange arbeiten musste. Heutzutage wird alles weggeschmissen, das macht mich traurig. Meine Kinder haben ein paar der Sachen an den Straßenrand gestellt. Wenig später ging ein junges Pärchen die Straße entlang und blieb bei den Sachen stehen. Sie haben sich dann viele der Möbel ausgesucht und mitgenommen. Es freut mich, dass ich den jungen Leuten etwas Gutes tun konnte und meine Möbel nun ein neues zu Hause gefunden haben und nicht im Müllcontainer gelandet sind."

Das, was Hans Hohnen heute am Meisten fehlt, sind seine verstorbene Frau und Freunde. Manchmal würde er die Zeit gerne zurückdrehen. Das, was bleibt und ihm niemand nehmen kann, sind seine Erinnerungen im Herzen.

(RP)
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