Serie Was Macht Eigentlich? Geburtshilfe - der erfreuliche Teil der Medizin

Mönchengladbach · 60 000 Patientinnen, mehr als 24 000 Babys: Dr. Heinz Josef Massenkeil war 28 Jahre Chefarzt der Frauenklinik des Elisabeth-Krankenhauses. Der heute 89-Jährige hat von 1963 bis 1991 eine rasante Entwicklung seiner Disziplin erlebt und mitgestaltet. Und sich vielfältig engagiert.

"Ihr ergebener Joseph Ratzinger": So endeten die Briefe des Kardinals und späteren Papstes Benedikt XVI. nach Rheydt an Dr. Heinz Josef Massenkeil, Chefarzt der Frauenklinik des Elisabeth-Krankenhauses. Als Erzbischof und später als Präfekt der römischen Kongregation für die Glaubenslehre hat Joseph Ratzinger die Meinung des Frauenarztes zur Empfängnisverhütung erbeten und mit ihm diskutiert. Massenkeil kommt aus einer katholisch geprägten, liberalen Familie aus dem Rheingau, war in der Katholischen Jugend Deutschlands engagiert. 1968 wurde er von der Kirche um eine Stellungnahme als katholischer Arzt gebeten, als die westdeutschen Bischöfe eine Reaktion auf das heftig umstrittene Lehrschreiben "Enzyklika Humanae Vitae" von Papst Paul VI. erarbeiteten. In dieser Enzyklika wurden katholische Eheleute auf den Verzicht jeglicher künstlicher Geburtenregelung verpflichtet.

"Meine Stellungnahme wurde vom Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Kardinal Julius Döpfner, akzeptiert", berichtet Dr. Massenkeil. In ihrer "Königsteiner Erklärung" überließen die Bischöfe im Gegensatz zum Papst die Entscheidung über die Methoden der Empfängnisverhütung den Eheleuten. Der Grundsatz der Bischöfe "Das Gewissen entscheidet" war ganz im Sinn des Rheydter Arztes. Als später die deutsche Kritik von Rom beanstandet wurde, gab es in Würzburg die Konferenz einer Bischofskommission unter Vorsitz Kardinal Ratzingers. Dr. Massenkeil gehörte zu den sechs Gynäkologen und sechs Moraltheologen, die dazu geladen und gehört wurden. Ergebnis: die Bestätigung der Königsteiner Erklärung.

Massenkeil korrespondierte später mit Ratzinger. Er traf 2003, zwei Jahre vor der Papstwahl, bei einem Besuch in Rom auf ihn: "Er hat mich sofort erkannt und angesprochen."

Massenkeils Mitwirken bei den Gesprächen zur Geburtenreglung blieb in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Im Mönchengladbacher Gesundheitswesen aber spielte er fast drei Jahrzehnte eine führende Rolle, obwohl er sich nie in den Vordergrund drängte. Er kam am 1. Juli 1963 mit 37 Jahren als Chefarzt an die Rheydter Frauenklinik - aus dem "Busch" gewissermaßen: "Meine Berufung erhielt ich als Missionsarzt in Nigeria, musste die Tätigkeit dort leider nach nur drei Monaten beenden." Am neuen Arbeitsplatz erwarb er schnell einen Ruf, der sogar die Stadtgrenze nach Gladbach überwand und Patientinnen nach Rheydt lockte. Was damals alles andere als selbstverständlich war: Als Massenkeil 1967 zu einem Fachvortrag ins neue Elisabeth-Krankenhaus auch die Kollegen aus der Nachbarstadt einlud, bekam er von der Gladbacher Ärztekammer die Aufforderung, diese Einladung zurückzunehmen ...

Mitte der 60er Jahre begann eine Zeit, in der die hiesige Klinik-Landschaft sich gewaltig änderte. In Rheydt wurde der Neubau des Elisabeth-Krankenhauses in Hockstein und damit das Ende der alten Frauenklinik an der Gartenstraße und der Umzug des Städtischen Krankenhauses von der Heinrich-Pesch-Straße an die Hubertusstraße eingeleitet. Fast gleichzeitig wurden in Gladbach das Bethesda und das Neuwerker Haus gebaut. Es gab drei neue Akut-Krankenhäuser, der Wettbewerb um Patienten wurde teilweise heftig.

"Das neue Eli war das modernste und mit 50 Millionen Mark teuerste Haus in Deutschland", sagt Dr. Massenkeil. Was übrigens über die anfangs private Frauenklinik an der Gartenstraße bei der Eröffnung 1951 auch gesagt worden war. "Doch als ich 1963 kam, war sie für den damaligen Stand der Medizin völlig überholt", sagt Massenkeil.

Es war vor allem aber eine Epoche fundamentaler Neuerungen bei der Geburtsmedizin. Ein kurioses Beispiel: Den Rheydter Umzug machten 1963 etwa 50 Erdkröten mit. Sie waren damals noch für einen Schwangerschaftstest erforderlich. Die Beurteilung des Gesundheitszustandes eines ungeborenen Kindes war nur durch das Hörrohr einer erfahrenen Hebamme möglich, die bei Unregelmäßigkeiten den Arzt rief. Mehrlingsgeburten wurden so schon mal zum überraschenden Ereignis mit lebensbedrohenden Erscheinungen. Die Entwicklung des Herzton- und Wehenschreibers senkte das Risiko beträchtlich, mit der Ultraschall-Diagnostik konnten Mehrlingsschwangerschaften nicht mehr übersehen werden.

Die Narkose bei Kaiserschnitt-Entbindungen (1963 waren es vier Prozent, heute sind es 18 Prozent), musste der Arzt selbst beherrschen: Eine Anästhesieabteilung gab es 1963 in Rheydt und Gladbach noch nicht. Dr. Massenkeil führte die Rückenmarknarkose ein, bei der das Kind nicht belastet wird und die Mutter die Geburt bei Bewusstsein erleben kann. Diese Anästhesiemethode hatte er übrigens bereits als Missionsarzt in Nigeria eingeführt.

60 000 Patientinnen sind in den 28 Jahren unter Dr. Massenkeil behandelt, 24 000 Babys geboren worden. Die angehenden Mütter wurden in Readkursen ("Geburt ohne Angst") in Zusammenarbeit mit den Mütterschulen, später den Familienbildungsstätten vorbereitet.

Zudem wurde nun besonderer Wert auf Krebsvorsorge in der Gynäkologie gelegt. Massenkeil gründete in Rheydt das 1. Zytologische Einsende-Labor, zu dem auch niedergelassene Ärzte und andere Krankenhäuser Zugang hatten - es gab bis zu 18 000 Einsendungen pro Jahr. "Mit unserer wissenschaftlichen Veröffentlichung im Jahr 1978 konnten wir dazu beitragen, dass in der Bundesrepublik das Vorsorgealter von 30 auf 20 Jahre vorverlegt wurde", berichtet Massenkeil.

Er ist ein Arzt aus Leidenschaft und mit dem Glück, genau die richtige Fachrichtung gewählt zu haben: "Die Geburtshilfe ist der erfreuliche Teil der Medizin. Ich bin froh, Gynäkologe gewesen sein zu dürfen." Da ist es kein Wunder, dass er nie auf die Uhr geschaut hat. Ein Zwölf-Stunden-Arbeitstag war Normalität. "Und das galt auch für meine Mitarbeiter - von denen sechs ebenfalls Chefärzte geworden sind."

Eine davon, Dr. Gabi Köthe, hat 33 Jahre in Ghana eine Klinik im Busch geleitet. "Nach meinem Ausscheiden in Rheydt habe ich dort noch einmal ausgeholfen und einige, teilweise seltene, Operationen durchführen können - nachdem ich acht Jahre lang kein Messer mehr in der Hand gehalten hatte", sagt Massenkeil nicht ohne Stolz.

(RP)
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