Serie Was macht eigentlich? Netzer holte Günter Claßen ins Boot

Mönchengladbach · Als Borussia Anfang der 90er Jahre im Schlamassel steckte, kam der Steuerberater ins Präsidium. Es folgten fünf Jahre mit sportlichen Erfolgen: DFB-Pokalsieg und zweimal im UEFA-Cup. Darauf folgte die große Krise. Doch da war Claßen schon weg.

 Karl-Heinz Drygalsky: Triumph bei seiner Wahl zum Präsidenten Borussias am 27. August 1992 in der Jahnhalle, zweiter von links Vizepräsident Günter Claßen.

Karl-Heinz Drygalsky: Triumph bei seiner Wahl zum Präsidenten Borussias am 27. August 1992 in der Jahnhalle, zweiter von links Vizepräsident Günter Claßen.

Foto: Lothar Str�

Der einstige "King vom Bökelberg" hat bei Borussia nie ein Amt gewollt. Aber restlos herausgehalten hat sich Günter Netzer, der in den 60er und 70er Jahren als Spieler den Ruhm der "Fohlenelf" wesentlich mitbegründete, doch nicht. Es gab Situationen, da half er schon mal als Freundschaftsdienst, ganz inoffiziell. Zum Beispiel 1989, als es Borussia "richtig dreckig ging", wie Günther Claßen heute sagt: "Er hat mich auf Bitten einiger Leute aus dem Umfeld angesprochen, ob ich helfen wolle, Borussia aus dem Schlamassel zu ziehen."

Claßen, dessen Vater vor dem Krieg bei Borussia gespielt hat, wollte. Der damals 61-Jährige machte im Kreis "Rettet Borussia" mit, zu dem Leute wie Mannschaftsarzt Dr. Sellmann, Schiedsrichter-Star Dieter Pauly, Brauerei-Chef Randel, Anwalt und Netzer- Freund Dr. Hartung, Bank-Vorstand Lerpscher, Mercedes-Chef Quast oder Konditionstrainer Drygalsky gehörten. Und Claßen wurde drei Jahre später Vizepräsident — als es am Bökelberg gewaltig rumorte. "Mister Borussia" Helmut Grashoff, nun nur noch Vorstands-Berater, malte ein wirtschaftlich düsteres Bild. Das 1990 gewählte Präsidium mit Dr. Helmut Beyer, Hans-Peter Moll und Dieter Frantzen stolperte 1992 nicht zuletzt über den Rauswurf von Manager Rolf Rüssmann, trat auf Druck der Öffentlichkeit zurück. Es wurde wieder ein neues Führungstrio gewählt: Präsident Karl-Heinz Drygalsky, Konditionstrainer seit Hennes Weisweilers Zeiten, mit den Vizepräsidenten Horst Randel und Günther Claßen. Erste Maßnahme: Rolf Rüssmann wurde zurückgeholt. "Vier Monate nach unserem Amtsantritt hatten wir schwarze Zahlen", sagt Claßen. Fünf Jahre blieben Drygalsky und Claßen im Amt. Bis es 1997 erneut knallte.

1994 bis 1996 hatte es nach dem schleichenden Niedergang mit den ersten Abstiegsnöten ab 1989 und dem schockierenden K. o. im Pokalfinale 1992 gegen Zweitligist Hannover Borussias letzte sportlich erfolgreiche Phase vor am Ende 15 frustrierenden Jahren gegeben. Unter Trainer Bernd Krauss, mit Stefan Effenberg, dem Top-Stürmerduo Martin Dahlin/Heiko Herrlich und Abwehrchef Patrik Andersson wurde 1995 der DFB-Pokal doch noch geholt, spielte die Mannschaft zwei Jahre im UEFA-Cup. "Wir waren wieder wer", sagt Günther Claßen.

Der 86-Jährige geht heute nicht mehr zu den Spielen ins Stadion. Aber nicht aus Ärger über das nicht so erfreuliche Ende seiner Amtszeit 1997, sondern weil ihm der Arzt dies wegen seiner Herzprobleme dringend geraten hat. Günther Claßen freut sich, dass die eineinhalb Jahrzehnte sportlicher Depression mit zwei Abstiegen und weiteren sportlichen Nöten nun vorüber sind, die Mannschaft wieder international spielt. Und darüber, dass der Verein seit zehn Jahren ein Stadion hat, das ihn wirtschaftlich in die Lage versetzt, fußballerisch erfolgreich zu sein.

Günther Claßen hat in seiner fünfjährigen Amtszeit selbst mit versucht, ein neues Stadion zu schaffen. Doch zuerst platzte der Traum Rolf Rüssmanns und der Stadt von einem modernen Stadion am Bökelberg mit Hotel, Freizeit- und Thermenanlagen, weil die Anlieger protestierten und die juristisch besseren Karten hatten. Dann kam die Vision einer am Ende mehr als 300 Millionen Mark teuren Arena im Nordpark. "Ein wunderbares Stadion. Doch ich bekam mit den gegebenen Voraussetzungen die Finanzierung nicht hin. Heute steht diese Arena in Schalke", sagt Claßen. Der Borussia-Park, der 2004 für knapp 90 Millionen Euro verwirklicht worden ist, hat sich an den Möglichkeiten des Vereins orientiert. "Schön, dass das neue Präsidium dies so hinbekommen hat", freut sich Günther Claßen.

Der 2004 verstorbene Präsident Dr. Adalbert Jordan, sein Vize und nun schon zehn Jahre amtierende Nachfolger Rolf Königs und Siegfried Söllner waren aber nicht die Männer, die direkt auf Drygalsky, Claßen und Randel folgten. 1997 hatte es den nächsten großen Krach am Bökelberg gegeben: Der Streit zwischen dem Präsidenten und Manager Rüssmann führte zum Rücktritt Drygalskys, der massive Drohungen gegen sich und seine Familie erhalten hatte. Auch Günther Claßen ("Ich selbst bin mit Rüssmann immer klargekommen") schloss sich letztlich an; Horst Randel hatte schon längst das Handtuch geworfen.

Es gab 1999 diverse Schuldzuweisungen und Einschätzungen zur höchst bedrohlich werdenden wirtschaftlichen Lage. "Als ich 1997 aufgehört habe, war Borussia gesund", sagt Günther Claßen. AOK-Chef Wilfried Jacobs, Commerzbanker Norbert Bocks (heute im Aufsichtsrat) und der Geschäftsmann Edgar Walterscheid bildeten 1997 das nächste Präsidium — das zwei Jahre später nach dem dann endgültigen Rüssmann-Rauswurf und dem ersten Bundesliga-Abstieg Borussias zurücktrat.

(RP)
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