Serie Was Macht Eigentlich? Netzers Weg wollte Hans Göbbels nicht gehen

Mönchengladbach · Er war einer der Helden, die 1960 den allerersten großen Titel an den Bökelberg holten. Drei Jahre nach dem Triumph im DFB-Pokal kehrte er Hans Göbbels Borussia zwar den Rücken, weil er mit Trainer Fritz Langner nicht klar kam. Doch sie ist immer sein Verein geblieben.

 Gast im Borussia-Park: "Es macht Spaß, der heutigen Borussia zuzusehen", sagt Hans Göbbels, Ehrenmitglied des VfL.

Gast im Borussia-Park: "Es macht Spaß, der heutigen Borussia zuzusehen", sagt Hans Göbbels, Ehrenmitglied des VfL.

Foto: Dieter Wiechmann

Es waren die Jahre, in denen nach der Gründung der Bundesliga im Sommer 1963 der Weg in den deutschen Profifußball beschritten wurde. Noch ein wenig behutsam, aber unaufhaltsam. Die Zeit ging zu Ende, in der erst einmal tagsüber gearbeitet und nach Feierabend drei-, viermal die Woche für das sonntägliche Oberligaspiel trainiert wurde.

Am Bökelberg ächzte ab Juli 1963 ein 19-Jähriger namens Günter Netzer, gerade vom Nachbarclub 1. FC Gladbach gekommen, unter dem gnadenlos harten Training des "eisernen Fritz" Langner. Doch Netzer kämpfte sich, oft genug zähneknirschend, hindurch in die Stammelf Borussias, die 1965 den großen Sprung schaffen sollte.

Als Netzer kam, war ein Ur-Borusse und einer der Helden beim triumphalen Gewinn des DFB-Pokals 1960, nicht mehr dabei: Hans Göbbels, acht Jahre älter als Jungspund Netzer, hatte im Spätherbst 1962 seinen erst im Frühsommer verlängerten Vertrag aufgelöst. "Persönliche Differenzen mit Trainer Fritz Langner" nennt er als Grund für seinen Schritt. Hintergrund war, dass der damals 26-jährige Mittelläufer zuallererst seinen "ordentlichen" Beruf hatte, der vollen Einsatz und Verantwortung forderte: Leiter der Abrechnungsabteilung mit Handlungsvollmacht in der Verwaltung der Gladbacher Zweigstelle Coca-Colas.

Fritz Langner indes, der vom Oberliga-Rivalen Westfalia Herne an den Bökelberg gekommen war und die Bundesliga als sein persönliches, großes Ziel sah, hatte wenig Verständnis, dass Hans Göbbels seine Aufgabe bei Coca-Cola sehr ernst nahm und abends erst nach erledigter Arbeit zum Training kam. Dann musste Göbbels als Erster an das berüchtigte, kräftezehrende Kopfball-Pendel. Sonntags spielten dann meist Langners aus dem Ruhrgebiet mitgebrachte Zöglinge, die schon nachmittags trainieren konnten, weil sie keinen anderen Job hatten.

Hans Göbbels entschied sich verärgert für den Kaufmanns-Beruf statt einer ungewissen sportlichen Zukunft, löste den Vertrag auf. Was er später bereute, wie der 79-Jährige zugibt: "Wenn ich gewusst hätte, dass Fritz Langner bald zum FC Schalke 04 gehen würde, wäre ich bei Borussia geblieben." Stattdessen unterschrieb er 1963 einen Vertrag beim niederländischen Erst-Divisionär VV Venlo. Doch dort spielte er nur eine Saison. "Ich musste dreimal die Woche nach der Arbeit bei Coca-Cola zum Training und sonntags zu den Spielen über Land nach Holland fahren. Die Autobahn A 61 gab es noch nicht. Diese Belastung war mir auf Dauer zu groß", sagt er.

So wechselte Hans Göbbels 1964 als Spielertrainer zum Hückelhovener Landesligisten VfJ Ratheim. Bei dem blieb er bis Anfang 1970 - und schaffte es gleich 1965 mit ihm bis in die erste DFB-Pokal-Hauptrunde. Der Gegner sollte Schalke 04 sein - mit Fritz Langner als Trainer. Die "Knappen" waren sportlich abgestiegen und durch die Aufstockung der Bundesliga auf 18 Vereine dann doch erstklassig geblieben, mussten im Cup noch nicht eingreifen. So wurde die Pokalpartie als Freundschaftsspiel ausgetragen. Und dabei drohte den Schalkern am 1. August 1965 eine weitere Blamage, als sie in Ratheim 0:1 zurücklagen. Am Ende gab es aber doch ein mühsames 2:1 der Profis, deren lebende Legende Fritz Szepan Göbbels beim Bankett fragte: "Warum sind Sie denn hier in Ratheim? Sie könnten doch viel höher spielen." Hans Göbbels aber hatte sich anders entschieden. Unzufrieden ist er dennoch nicht. Er hat trotz der Differenzen mit Langner Borussia die Freundschaft nie aufgekündigt. Im Gegenteil: Er ist bis heute Mitglied, war in seinem Beruf erfolgreich und hat sportlich seinen ganz großen Tag mit Borussia erlebt: am 5. Oktober 1960, als Gladbach sensationell den DFB-Pokal gewann.

Die graue Maus vom Niederrhein hatte zum ersten Mal in ihrer Geschichte die Aufmerksamkeit der Fußball-Republik auf sich gezogen. Kein Mensch hätte damals von der großen "Fohlen"-Zeit unter Hennes Weisweiler zu träumen gewagt, als Borussia im zweiten Teil des Pokal-Wettbewerbs 1960 als Vierzehnter der Oberliga-Saison 59/60 ins Finale stürmte: mit Siegen über Alemannia Aachen, Borussia Dortmund, 1. FC Köln, den Deutschen Meister Hamburger SV. Und sie dann am 5. Oktober im Düsseldorfer Rheinstadion vor 49 000 Zuschauern das Endspiel gegen Süddeutschlands Meister Karlsruher SC 3:2 gewann. "Als krasser Außenseiter. Der Höhepunkt meiner Karriere!", sagt Göbbels.

14 Spieler setzte Trainer Bernd Oles, der im Juli 1960 den zu Fortuna Düsseldorf gewechselten Fritz Pliska abgelöst hatte, im Pokal ein. Beim Festbankett im Düsseldorfer Landtags-Gebäude überreichte DFB-Präsident Dr. Peco Bauwens ihnen die Goldmedaille des Deutschen Fußball-Bundes, Und dann gab es am nächsten Tag einen großartigen Empfang in Gladbach durch 150 000 begeisterte Menschen: In offenen Cabriolets wurde die Mannschaft über die Hindenburgstraße zum Rathaus gefahren. "Wir durften uns ins Goldene Buch der Stadt eintragen, Oberbürgermeister Wilhelm Maubach überreichte allen zur Erinnerung eine goldene Uhr", sagt Hans Göbbels noch heute stolz. Sie hat immer noch einen Ehrenplatz bei ihm. Borussia zeigte sich spendabel: Jeder Spieler bekam 500 D-Mark. "Das war schon etwas damals. Denn das, was wir für drei- bis viermal Training die Woche und das Spiel am Sonntag erhielten, war sehr bescheiden", sagt Hans Göbbels. "Ich habe aber in meinen Beruf genug verdient, so dass wir uns 1975 das Häuschen kaufen konnten, in dem wir bis heute leben."

Es liegt an der Adolf-Wagner-Straße. Dort, wo er aufgewachsen ist, genau gegenüber der Stelle, wo damals der Windberger Fußballplatz war. Auf dem hat Hans Göbbels schon als kleiner Junge jede freie Minute mit dem Ball verbracht und später in der C-Jugend des FC Windberg 07 gespielt, bis er 1950 als 14-Jähriger zu Borussia ging. Mit 18 unterschrieb er am Bökelberg seinen ersten Vertrag für die Oberliga West, die höchste Spielklasse.

(RP)
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