Mönchengladbach Smartphone in der Schultüte

Mönchengladbach · Zornröschen, der Verein gegen sexuellen Missbrauch an Mädchen und Jungen, warnt: Kinder bekommen heute zu oft ungefilterten Zugang zu Pornografie. Schuld sind die neuen Medien, mit denen schon die Kleinsten umgehen.

 Wird ein sexueller Missbrauch an einem Kind bekannt, ist der Beratungsbedarf oft groß. Beim Verein Zornröschen stieg er im vergangenen Jahr an. Das geht aus dem Jahresbericht hervor.

Wird ein sexueller Missbrauch an einem Kind bekannt, ist der Beratungsbedarf oft groß. Beim Verein Zornröschen stieg er im vergangenen Jahr an. Das geht aus dem Jahresbericht hervor.

Foto: dpa

Die Zahl der Anfragen ist mit 417 im Jahr 2017 insgesamt leicht gesunken. "In den Vorjahren waren es immer knapp 500 Kontakte, so dass wir sagen können, unsere Präventionsarbeit wirkt", erläutert Michael Heinemann, Vorstandsmitglied von Zornröschen, dem Verein gegen sexuellen Missbrauch an Mädchen und Jungen. Der Präventionsbereich umfasst Informationsveranstaltungen und Fortbildungen für pädagogische Fachkräfte, Elternabende sowie Projekte an Schulen und in Kitas. "Dank einer Spende konnten wir letztes Jahr sieben Aufführungen eines Theaterstücks von Zartbitter Köln zum Thema sexueller Missbrauch in den neuen Medien an Schulen zeigen", freut sich Sozialpädagogin Sigrid Mattausch. Denn: "Die Anfragen von Schulen zum Thema Umgang mit dem Internet sind deutlich gestiegen", erklärt Heilpädagogin Nina Tellmann.

Der Verein erklärt auf Veranstaltungen dann mögliche Gefahren sowie den richtigen Umgang mit diesem Medium. Mit der Schultüte bekämen Erstklässler das erste Smartphone, jedoch von den Eltern keinerlei Anleitung dafür. Kinder seien mit dem, was sie im Internet sehen, oft überfordert, ihnen fehle die Orientierung: "Kinder und Jugendliche kommen heute ungefiltert an mehr Informationen zu Erwachsenen-Sexualität und Pornografie, gleichzeitig scheinen Erwachsene mehr Hemmnisse beim Thema Aufklärung zu entwickeln", so Tellmann.

Ein weiteres Problem: "Eltern wissen oft nicht, welche Gefahren im World Wide Web existieren, beispielsweise, wenn Kinder online mit einer Playstation spielen: Eltern ist oft nicht klar, welche Kontakte auf diese Weise entstehen können." Während Facebook kaum noch eine Rolle spiele, seien es vor allem Portale wie Instagram, Snapchat oder musical.ly, die Kinder und Jugendliche nutzen. "Zudem spielt nach wie vor auch WhatsApp eine Rolle", so Tellmann. Was viele nicht wüssten: Die Nutzung sei erst ab 16 Jahren erlaubt, Eltern würden also bis zu diesem Alter dafür haften, was ihre Kinder dort verbreiten. Im Bereich Präventionsarbeit konnte der 1990 gegründete Verein 2017 einen neuen Schwerpunkt aufbauen, und zwar mit Kindern und Jugendlichen mit geistiger Behinderung. Statistisch betrachtet werden sie sechs- bis siebenmal häufiger Opfer von sexueller Gewalt als Kinder und Jugendliche ohne Behinderungen. Durch eine gewisse Abhängigkeit von Personen sei es schwierig, Übergriffe einzusortieren, die Unterstützung von Eltern und Lehrern daher umso wichtiger. "Das ist ein sehr komplexes Thema", erklärt Nina Tellmann. Es sei noch mal schwieriger, hier Aufklärung zu leisten, da beispielsweise Aussagen häufiger wiederholt werden müssten. Es gehe darum, diese Kinder und Jugendlichen in die Lage zu versetzen, zu verstehen, was sexueller Missbrauch ist sowie, sich schneller Hilfe zu holen.

Die Arbeit von Zornröschen erfolgt zweigeteilt: Neben der Leitung durch den Vorstand erfolgt die Beratung durch die vier Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, und dies anonym. "Wir stehen quasi zwischen den Jugendämtern und der Staatsanwaltschaft", so Heinemann. Während bei diesen Institutionen und der Polizei ein Fall sofort dokumentiert werden müsse, bestehe bei Zornröschen die Möglichkeit, sich ohne Nennung des Namens beraten zu lassen. Erst nachdem die Personen gehört wurden, würden eventuelle weitere Schritte in Kooperation mit dem Jugendamt und der Staatsanwaltschaft eingeleitet.

Im Jahresbericht wurde auch über erste Erfahrungen mit der psychosozialen Prozessbegleitung berichtet: Seit dem 1. Januar 2017 haben Opfer von schweren Gewalt- und Sexualstraftaten einen rechtlichen Anspruch auf eine psychosoziale Prozessbegleitung. Bei Zornröschen gab es 2017 bereits 25 Anfragen dazu. "Jungen Ratsuchenden entstehen dabei keine Kosten, bei Erwachsenen liegt es im Ermessen des Richters", erläutert Sandra Gottschalk, die im Verein die Möglichkeit hat, den entsprechenden Antrag stellvertretend für das Opfer zu stellen. "Das ist ein bürokratischer Aufwand", erklärt die Sozialwissenschaftlerin, die Opfer zu Gerichtsterminen begleitet, Akteneinsicht sowie Zugang zu Opfervernehmungen erhält. Die Opferberatung im Verein werde strikt von der Prozessbegleitung getrennt.

Der Verein stellte im Vorjahr einen gestiegenen Beratungsbedarf nach bekanntgewordenem sexuellen Missbrauch fest, es gab insgesamt 133 Beratungen dazu. Mit 56 Anfragen im Jahr 2017 hat sich die Zahl der Ratsuchenden bezüglich einer Beratung zu sexuellen Übergriffen unter Kindern im Vergleich zu den Vorjahren stabilisiert.

2017 wurde der Vorstand des Vereins erweitert: Dieser umfasst nun fünf Personen. "Eine Hauptaufgabe ist es, Spenden aufzutreiben", so Heinemann.

Ein Wunsch für das Jahr 2018: mehr Möglichkeiten der präventiven Arbeit. "Dazu zählen nicht nur finanzielle Mittel, sondern auch zeitliche Kapazitäten", erläutert Sigrid Mattausch. Zurzeit seien die Mitarbeiter eher im Kriseninterventionsbereich tätig.

(eva)
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