Splitter Der Zoch als Kopfkino für Blinde

Mönchengladbach · Manfred Meyer hat noch nie in seinem Leben einen Karnevalszug gesehen. Weil der 75-Jährige schon als Kind erblindete, wird sich das auch nie ändern. Trotzdem weiß er seit einem Jahr, wie der Zug aussehen muss. Er steht am Geroweiher neben einer der Zuschauertribünen am Veilchendienstagszug, stampft seinen Stock auf den Boden und ruft immer wieder: "Halt Pohl!" Er hört nur, was um ihn herum los ist, aber er hört es dank der vom LVR finanzierten Audodeskription für Blinde und Sehbehinderte via Kopfhörer so genau, dass er eine exakte Vorstellung hat.

"Ich erlebe die Farbenfreude, die Detailverliebtheit der Kostüme - alles, was einen Zug ausmacht", sagt Meyer. Möglich macht dies Sarah Lierz. Die 26-Jährige steht ein paar Meter neben ihm und übersetzt den Zoch für Blinde und Sehbehinderte via Funkmikrofon und Kopfhörer. Sie weiß genau, was Blinde hören müssen. Ihr Stiefvater ist erblindet. Und sie weiß, wie Karneval funktioniert. Zehn Jahre war sie Funkemariechen der Kreuzherren Wickrath.

Sie überträgt den gesamten Zug wie in einer Art Live-Radioreportage, nur reicht das, was Radioreporter sagen, den Blinden nicht aus. Sie muss noch mehr Details bringen. "Jetzt fährt die Gardeburg der Großen Rheydter Prinzengarde vorbei. An der Seite sind stilisiert das Schloss Rheydt, der Wasserturm und die Stadtsparkasse aufgemalt, der Wagen ist dreistöckig, und der höchste Punkt ungefähr drei Meter über dem Boden.

" Als sie das sagt, hebt der Sehbehinderte Erich Nikolaus (55) den Kopf noch etwas weiter und ruft aus Leibeskräften: "Halt Pohl!" Er und die anderen Zuhörer sind wirklich mittendrin. angr

(RP)
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