Mönchengladbach Stadtsportbund will Standard halten

Mönchengladbach · Axel Tillmanns, Geschäftsführer des Stadtsportbundes, und dessen designierter Vizepräsident Christof Wellens sprechen über die Ziele der Dachorganisation, die Unterbringung von Flüchtlingen in Turnhallen und die Probleme, vor denen kleine Sportvereine in der Stadt stehen.

Mönchengladbach: Stadtsportbund will Standard halten
Foto: Raupold

Herr Tillmanns, Sie sind nun seit sechs Wochen Geschäftsführer des Stadtsportbundes (SSB). Wie würden Sie den Status quo beschreiben?

Tillmanns Noch befinde ich mich in der Einarbeitung, auch wenn ich den SSB durch meine Tätigkeit als Honorarlehrkraft schon lange kenne. Es ist auf jeden Fall eine sehr spannende Zeit mit sehr viel Arbeit und Schreibkram. Und es ist für mich eine Zeit des Abtastens und Kennenlernens. Mir ist es wichtig, den Kontakt zu den Vereinen zu suchen, um zu erfahren, was sie vom SSB erwarten.

Sie sind der neue Geschäftsführer, Wolfgang Rombey ist der designierte neue Vorsitzende und Dr. Christof Wellens der Vizepräsident. Beinhaltet der Personalwechsel auch eine Neuausrichtung?

Tillmanns Definitiv, zumal wir mit Anja Schmale und Björn Eckert, die beide Lehrerstellen angeboten bekommen haben, zwei weitere Mitarbeiter verlieren. Anja Schmales Stelle haben wir intern schon neu besetzen können, für die andere Position läuft bereits die Ausschreibung. Grundsätzlich kann man sicher sagen, dass wir uns verjüngen.

Herr Wellens, Sie werden die Aufgabe des Vizepräsidenten übernehmen. Wie ist der Kontakt zum SSB zustande gekommen?

Wellens Über den Sport. Als eifriger Ableger des Sportabzeichens — im vergangenen Jahr habe ich zum 22. Mal teilgenommen — gab es regelmäßigen Kontakt. Zudem kenne ich durch meine Funktion als Vorsitzender des Schiedsgerichts Bert Gerkens sehr gut. Und da ich Rechtsanwalt bin, habe ich dem SSB beim Entwurf der neuen Satzung bereits beratend zur Seite gestanden. Wolfgang Rombey hat mich daraufhin gefragt, ob ich ihn in der Zukunft unterstützen wolle. Er steht als bisheriger Vizepräsident und künftiger Vorsitzender für einen nahtlosen Übergang und eine kluge Personalpolitik. Und ich möchte dabei helfen, den SSB in die kommende Dekade zu führen. Ich bin in mehreren Vereinen aktiv und weiß, dass es ein wichtiges Anliegen ist, die Interessen der Sportler gegenüber der Stadt zu vertreten.

Theoretisch könnten die Mitglieder die geplante Besetzung des Vorstandes noch verhindern. Beschäftigen Sie sich mit diesem Szenario?

Tillmanns Uns ist nicht bekannt, dass sich noch ein Gegenkandidat aufstellt. Und ich denke, dass sich Wolfgang Rombey bereits positioniert und mit der neuen Satzung als sehr zukunftsträchtigen Werk sowie dem Sportentwicklungskonzept, welches ein ganz wichtiger Meilenstein für den SSB ist, Duftmarken gesetzt hat.

Wellens Wir sind ein offener Verein, sollte es jemand anderes machen wollen, wäre ich nicht gekränkt. Doch es sollte jemand sein, der sich im Gladbacher Sport auskennt. Diese Voraussetzung ist bei mir gegeben.

Bert Gerkens galt als kämpferischer Präsident, während Wolfgang Rombey für einen kommunikativen Stil steht. Ist das auch Ihr Ansatz?

Wellens Bert Gerkens hat sicherlich das offene Wort bevorzugt, doch er war gut vernetzt und ebenso ein kommunikativer Präsident. Genauso hat Wolfgang Rombey sehr gute Kontakte in der Stadt, er tritt damit in Gerkens' Fußstapfen. Und ich werde ihn unterstützen.

Werden Sie dabei eher die beratende Rolle übernehmen?

Wellens Das sicher, aber ich werde auch kämpferisch auftreten, wenn es nötig ist. Wir haben in der Stadt eine große Sporttradition und eine gute Infrastruktur, aber wenn wir diese verlieren, wäre das ein großer Verlust. Der Sport wird oft stiefmütterlich behandelt, auch wenn immer kommuniziert wird, wie wichtig der Sport sei. Natürlich sind die Haushaltsnöte in der Stadt groß, doch es fehlt mitunter das Fingerspitzengefühl, wenn es Schwierigkeiten wie die Festlegung einer Nutzungsgebühr von Sportstätten oder Verzögerungen bei Sanierungen von Sporthallen gibt.

Ist es möglich, den derzeitigen Status quo des Sports in der Stadt noch zu verbessern?

Tillmanns Eine Verbesserung ist aufgrund der finanziellen Situation nicht in Sicht. Es wird darum gehen, unseren Standard zu halten. Dabei müssen wir vor allem den Vereinen die Möglichkeit aufzeigen, bestimmte Themenfelder anders anzugehen, als sie es vielleicht früher getan haben. Zum Beispiel müssen die Vereine überlegen, ob sie Hallenzeiten für bestimmte Angebote wie beispielsweise ein Yoga-Kurs überhaupt noch benötigen oder ob die Anmietung eines Raums nicht eine zeitgemäßere Alternative ist. Ich kenne Vereine, die damit sehr gut gefahren sind. Vielleicht gibt es auch die Möglichkeit, selbst eine Halle zu betreiben, wie es der ATV Biesel bereits macht. Und auch die Fusion ist ein Thema, um das Vereine in der Zukunft nicht herumkommen. Dafür ist es aber nötig, dass man sich gemeinsam an einen Tisch setzt.

Hat ein Umdenken bei den Vereinen schon eingesetzt?

Tillmanns Es gibt vor allem noch zu viele Vereine, die den SSB als Partner nicht nutzen. Es ist jetzt meine Aufgabe, mit diesen Vereinen in Kontakt zu treten und mir einen Eindruck davon zu verschaffen, wie sie aufgestellt sind. Und da ich meine Tätigkeit als Lehrkraft im SSB weiter ausübe, bekomme ich darüber auf einer anderen Schiene ebenfalls einen Draht zu den Vereinen.

Wie wichtig ist das Service-Angebot der Beratung durch den SSB?

Wellens Wenn ein Verein gesund und gut strukturiert ist, benötigt er keine weitere Beratung. Doch es gibt auch viele kleine Vereine, bei denen es eine wichtige Rolle spielen wird, wie man sich in der Zukunft aufstellt und vermeidet, dass der Verein ausstirbt.

Wie gefährdet sind die kleinen Klubs?

Wellens In unserer heutigen Gesellschaft besteht die Gefahr, dass der Sport in der Gruppe immer mehr abnimmt und der Individualsport weiter zunimmt. Dabei übernimmt der Mannschaftssport wichtige soziale Funktionen, die Sportler motivieren sich gegenseitig und sehen, dass in der Gruppe jeder wichtig ist. Im Fußball gelingt es noch gut, Kinder zu begeistern. aber es gibt noch so viele andere Mannschaftssportarten.

Ist die individualisierte Gesellschaft ein großes Problem?

Wellens Sicher. Eine Mannschaft trainiert natürlich nach festgelegten Zeiten. Auf der anderen Seite wissen die Teamsportler, dass sie ohne die Kollegen ihren Sport nicht ausüben können. Ich denke aber, dass sich letztlich auch Individualsportler oftmals zum Laufen oder zum Fitnesstraining mit Gleichgesinnten zu festen Zeiten treffen.

Tillmanns Der Sport im Team hilft dabei, den inneren Schweinehund zu überwinden und auch wirklich zum Sport zu gehen. Da ist die Fluktuation im Fitnessstudio schon deutlich höher.

Wellens Wir müssen einfach die Vereine bei der Mitgliederwerbung unterstützen, sei es durch spezielle Schnuppertage oder die Positionierung der Vereine in den Schulen.

Letzteres ist sicher ein großes Thema im SSB.

Wellens Natürlich, wobei ich mir sicher bin, dass es immer einen Weg gibt, trotz der schulischen Verpflichtungen seinen Sport auszuüben. Das schließt sich nicht aus.

Tillmanns Wir verfolgen ja bereits den Ansatz, in den Ogatas die Vereine zu positionieren. Früher habe ich häufig die Begründung gehört, dass die Kinder nicht mehr in den Verein kommen, wenn der Verein in die Schule geht. Doch diese Kinder werden erst recht nicht den Weg in den Verein finden, wenn die Vereine sich nicht in der Schule engagieren. In diesem Punkt müssen viele Vereine noch ihre Scheuklappen verlieren und dürfen sich nicht dagegen sperren.

Sie haben eben die soziale Bedeutung des Sports angesprochen. Befindet sich der Sport deswegen derzeit in einem Zwiespalt, wenn Flüchtlinge in Sporthallen untergebracht werden?

Wellens Für mich es ist völlig unverständlich, dass bei dieser Thematik überhaupt Sporthallen ins Gespräch kommen. Sie können allenfalls eine Notunterbringung darstellen. Dafür sollten vielmehr leerstehende Wohnungen oder auch Schulen genutzt werden. Doch das ist die Aufgabe der Stadt, die auch dafür sorgen muss, dass Schulen und Vereine die Hallenzeiten zur Verfügung gestellt werden. Das hat nichts damit zu tun, dass der Sport selbstverständlich hilft, Flüchtlinge zu integrieren.

Tillmanns Der Landessportbund wird in der kommenden Woche auch acht Mönchengladbacher Vereine mit einer Fördersumme unterstützen, die sich mit konkreten Integrations-Aktionen beworben haben. Es gibt generell eine große Bereitschaft unter den Gladbacher Vereinen. Und was die Sporthallen betrifft: Uns war es wichtig, dass bei den beiden derzeit für Flüchtlinge genutzten Hallen die betroffenen Vereine Ausweichlösungen erhalten haben. Nun muss sich die Stadt an ihrer Ankündigung messen lassen, die Sporthallen seien nur eine Übergangslösung. Und es sollte bei den zwei Hallen bleiben und nicht weitere hinzukommen.

Der Sport hat trotz aller Probleme einen guten Stellenwert in der Stadt, die sich auch gerne Sportstadt nennt. Inwieweit ist dieser Name noch gerechtfertigt oder nur noch ein Etikett?

Wellens Die Strukturen sind vorhanden, doch sie müssen auch aktiv verteidigt und gestützt werden. Es reicht nicht, dass wir einen erfolgreichen Fußballklub mit ganz vielen Mitgliedern haben. Ich denke da vielmehr an den Breitensport. Dieser muss attraktiv bleiben, das ist unsere Aufgabe. Und da spielen die Sportstätten eine große Rolle. Kunstradfahren ist nun einmal nur in der Halle möglich. Und wenn die Vati-Riege des 1. FC, deren Vorsitzender ich bin, auch nur noch draußen spielen könnte, würde sie mit Sicherheit ihre älteren Mitglieder verlieren.

Tillmanns Es wird immer schwieriger, das Niveau zu halten. Es gibt die Konkurrenz durch die kommerziellen Anbieter wie die Fitnessstudios, es gibt den demografischen Wandel, und die Kinder haben heutzutage einen prall gefüllten Terminkalender. Umso wichtiger ist es, dass der SSB als starker Partner und als Augenöffner für Vereine auftritt. Doch es gibt auch schon gute Bespiele für Vereine, die aktiv geworden sind und neue Wege gehen. So hat der TV Giesenkirchen eine ganze Abteilung im Freerunning und Parkour aufgemacht.

Ist es problematisch, neue Ideen zu entwickeln und damit im eigenen Verein für Konkurrenz zu den klassischen Sportarten zu sorgen?

Wellens Nein, denn das eine schließt das andere nicht aus. Vereine müssen ihre Angebote attraktiv bewerben und möglichst eine große Vielfalt anbieten. Und am besten betreiben die Mitglieder dann mehrere Sportarten.

Tillmanns Und Konkurrenz belebt das Geschäft.

Bieten Fitnessstudios den Vereinen auf der anderen Seite auch Gelegenheiten zu Kooperation oder sind sie ausschließlich Konkurrenten?

Tillmanns Es ist nicht unsere oberste Priorität, in diesem Bereich für Kooperationen zu sorgen, aber die Möglichkeit besteht natürlich. Dabei ist es aber wichtig, bestimmte Spielregeln einzuhalten. Es kann nicht sein, dass einem Vereinsmitglied in so einem Fall sogleich auch der Aufnahmeantrag des Fitnessstudios unter die Nase gehalten wird. Es ist ein schmaler Grat, auf dem man sich da bewegt.

Wie nutzen die Vereine die Möglichkeit, über Social Media für sich zu werben?

Tillmanns Viele Vereinsvertreter schrecken davor noch zurück, auch wenn sie vielleicht privat in diesem Bereich schon aktiv sind. Doch da gibt es noch die Angst, Fehler zu begehen, wenn man beispielsweise Bilder auf der Seite veröffentlichen will. Es ist sicher auch ein Ansatz für uns, dort die Vereine über die Möglichkeiten zu informieren.

Mit dem Bildungswerk kümmert sich der SSB zudem selbst um Sportangebote.

Tillmanns Wir versuchen damit, Nischen zu finden und zu füllen. Wir wollen Angebote zu Trendsportarten oder sehr speziellen Reha-Kursen machen, die Vereine nur schwer realisieren können. Es soll aber keine Konkurrenz zu den Angeboten der Sportvereine sein.

Wie wichtig ist es, für diese Kurse in Gerkerath eine eigene Halle zur Verfügung zu haben?

Tillmanns Auf der einen Seite ist es super, flexibel sein zu können und die Termine an unseren Wünschen anpassen zu können. Danach würden sich viele andere Stadtsportbünde die Finger lecken. Auf der anderen Seite liegt Gerkerath weit draußen, und eine zentrumsnahe Halle zu bekommen, ist schwierig. Insofern ist die Halle Gerkerath ein guter Kompromiss.

Was beinhaltet die neue Satzung, die Sie den Mitgliedern auf der Jahreshauptversammlung vorstellen werden?

Wellens Es handelt sich dabei um keine Neuausrichtung, sondern um eine moderne Überarbeitung, die eine klare Sprache und Aufgabenregelung beinhaltet und die aktuellen Anforderungen des Finanzamtes erfüllt. Es ist wie beim Anstrich des Büros, das eine frische Farbe erhält. Doch danach arbeiten darin dieselben Personen weiter.

Tillmanns Entscheidend ist, dass wir nahe dran sind an den Vereinen. Die Klubs müssen unsere Angebote kennen.

Wellens Es ist auch eine gute Sache, dass der SSB sich mit einem hauptamtlichen Geschäftsführer und einer Profi-Mannschaft jetzt für die Zukunft aufgestellt hat.

Wird es auch für die großen Sportvereine in der Stadt der Weg sein, auf Profis zu setzen?

Tillmanns Natürlich ist das eine Überlegung wert. Die großen Vereine werden kaum noch ohne Geschäftsführer auskommen.

Über die Schwierigkeiten, neue Mitglieder zu werben, haben wir bereits gesprochen. Wie sieht es bei den Ehrenamtlern aus?

Tillmanns Das ist bei uns ein wichtiger Punkt. Wir müssen die Vereine beraten, wie sie einen Generationswechsel einleiten können. Denn in vielen Klubs engagieren sich Ehrenamtler bis ins hohe Alter und es fehlt an Nachwuchs.

Wellens Ein Hauptproblem ist, dass die Generation, die es noch als Ehre empfunden hat, eine hohe Funktion zu übernehmen und damit auch den Verein zu repräsentieren, langsam abtritt.

Tillmanns Vielleicht muss man in Zukunft etwas punktueller denken und es als Ehrenaufgabe definieren.

Wellens Jeder kann etwas zum Vereinsleben beitragen und ein Amt übernehmen. Es muss nur auf viele Schultern verteilt werden.

Tillmanns Als ich als Kind in den Sportverein gekommen bin, war es ganz selbstverständlich, dass die Eltern einen Kuchen fürs Buffet gespendet oder sich für den Kassendienst zur Verfügung gestellt haben. Diese Selbstverständlichkeit muss erhalten bleiben.

Welche Rolle spielt dabei das Engagement der Sportjugend?

Tillmanns Auch die Sportjugend befindet sich im Umbruch und muss sich neu aufstellen, da mit Peter Hartmann und Julia Mülders langjährige Mitstreiter ausscheiden. Aber klar ist natürlich, dass die Jugendlichen eine ganz wichtige Rolle spielen. Denn wer in seinem Verein die Jugend frühzeitig einbindet, schafft eine Basis, von der er lange profitieren kann.

Karsten Kellermann, Laura Schameitat und Thomas Grulke führten das Gespräch.

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