Mönchengladbach Städtefusion 1975: So entstand Mönchengladbach

Mönchengladbach · Der Bau des Museums Abteiberg, der IRA-Anschlag im JHQ, der Besuch des Dalai Lama - das sind besondere Momente in der Geschichte der Stadt seit 1975. In einer Serie erzählen wir, was die Mönchengladbacher bewegte und wie sich die Stadt veränderte. Heute: ihre Geburtsstunde.

 Sie unterzeichneten am 29. März 1974 im Rathaus Abtei den Gebietsänderungsvertrag: Hintere Reihe von links: OB Wilhelm Wachtendonk (Gladbach), OB Fritz Rahmen (Rheydt), Bürgermeister Konrad Bäumer (Wickrath). Vorne: Oberstadtdirektor Dr. Wilhelm Elbers (Gladbach), Oberstadtdirektor Helmut Freuen (Rheydt), Gemeindedirektor Wolfgang Krane (Wickrath) und Stadtkämmerer Manfred Raupach (Rheydt).

Sie unterzeichneten am 29. März 1974 im Rathaus Abtei den Gebietsänderungsvertrag: Hintere Reihe von links: OB Wilhelm Wachtendonk (Gladbach), OB Fritz Rahmen (Rheydt), Bürgermeister Konrad Bäumer (Wickrath). Vorne: Oberstadtdirektor Dr. Wilhelm Elbers (Gladbach), Oberstadtdirektor Helmut Freuen (Rheydt), Gemeindedirektor Wolfgang Krane (Wickrath) und Stadtkämmerer Manfred Raupach (Rheydt).

Foto: Stadtarchiv (5); Raupold

Man stelle sich folgendes vor: Da bildet sich im Jahre 2014 die "Aktion Bürgerwille", die mit dem Leitmotiv "Wickrath darf nicht eingemeindet werden!" eine wenige Jahre alte Fusion einer Gemeinde mit einer Großstadt zu Fall bringen will. Und, wenige Kilometer entfernt, tritt eine Bürgerinitiative an, um die "Selbstständigkeit für Rheydt!" zu fordern. Was würde heute vermutlich passieren? In den sozialen Netzwerken formierte sich die Anhängerschaft zu Tausenden. Auf Marktplätzen und in Fußgängerzonen reihten sich Menschen ein, um sich in Unterschriftenlisten einzutragen. Es gäbe Kampagnen, Aufrufe, große Aktionen. Wenn Bürger heute mit diesem Vorgehen jedes Windrad zu Fall bringen können - wie wäre es dann erst bei einer teilweise ungeliebten Städtefusion gewesen?

Doch die 1970er-Jahre sind nicht 2014. Obwohl: Auch damals war der Widerstand vor allem in Rheydt und Wickrath groß gewesen. Der Rheydter Rat stimmte dem Gebietsänderungsvertrag lediglich mit 21 gegen 19 Stimmen zu - und die Mehrheit kam nur deshalb zustande, weil sich drei Ratsmitglieder, darunter der spätere langjährige FDP-Bürgermeister Hans Segschneider, der Stimme enthielten. Damit war der Weg endgültig frei.

Am 29. März 1974 hatten die Verwaltungschefs Dr. Wilhelm Elbers (Alt-Gladbach), Helmut Freuen (Rheydt) und Wolfgang Krane (Wickrath) den Gebietsänderungsvertrag zwischen den beiden Städten und der Gemeinde unterschrieben. Die Räte bestätigten dies. Am 1. Januar 1975 trat dann das im Juli 1974 beschlossene Neugliederungsgesetz des Landes NRW in Kraft: Aus Gladbach, Rheydt und Wickrath wurde eine Stadt - Mönchengladbach. Paradoxerweise wurde erst 13 Jahre später ein dann endgültiger Schlussstrich gezogen: Da bestätigte die damalige Landesregierung die Rechtmäßigkeit der Neugliederung. Die Anfang der 1980er-Jahre gegründete "Wählergemeinschaft Freies Rheydt/Freies Wickrath" scheiterte mit ihrem letzten Versuch, die Fusion noch einmal zu hinterfragen.

Es mutet heute wie ein Anachronismus an, dass gerade Gladbach und Rheydt, obwohl so dicht angrenzend, geradezu eine "unsichtbare Demarkationslinie" (so der Volksmund) trennte. Der Gladbacher fuhr nicht nach Rheydt, umgekehrt der Rheydter nicht nach Gladbach. Es gibt die Anekdote, dass in der Obersekunda eines Gymnasiums (11. Klasse) einmal gefragt wurde, wie viele der Gladbacher Schüler denn einmal in Rheydt gewesen waren: Zwei meldeten sich. Der Rest ist vermutlich häufiger nach Holland an die See oder in die Alpen gefahren als in die Nachbarstadt.

Und auch in Wickrath wurde der Zusammenschluss eher mit einem weinenden Auge gesehen: Die Gemeinde, die frühere stolze Reichsherrlichkeit mit Schloss (eigentlich "nur" Vorburg des ehemaligen Schlosses) hatte eine hohe Steuerkraft, einen konsolidierten Haushalt, ein attraktives Industriegebiet und wollte nicht im Verbund mit Gladbach und Rheydt die vermutlich dritte Geige spielen. Noch im Februar 1974 verkündete Wickraths Bürgermeister Konrad Bäumer: "Solange wir Wickraths Selbständigkeit verteidigen können, tun wir das." Die Wickrather waren aber keine Traumtänzer und wussten, dass ihre Gemeinde zu klein ist, um dauerhaft eigenständig zu überleben. Man diskutierte, ob eine Fusion mit Jüchen und Hochneukirch nicht sinnvoller sei. Das aber nur kurz. Die pragmatischen Wickrather erkannten schnell, dass die Bezüge zu Rheydt und Gladbach viel größer waren: Die Strukturen waren ähnlich, die Kinder gingen in Rheydt und Gladbach zur Schule, man kaufte in beiden Städten ein.

Vermutlich haben sich die Wickrather deshalb am schnellsten mit der neuen Situation arrangiert. Die Distanz, die zwischen Gladbach und Rheydt herrschte, schwelte lange weiter. Insider behaupten, bis heute. Hans-Wilhelm Pesch, ehemaliger Ratsherr und Bürgermeister, CDU-Bundestagsabgeordneter und einer der politischen Architekten der Kommunalreform von 1974 auf lokaler Basis, sagte noch vor drei Jahren: "Wir sind auch gut 36 Jahre nach der Kommunalreform keine echte Gesamtstadt." Wenn heute die Bipolarität der Zentren noch gepflegt wird, wenn darauf geachtet wird, dass Investitionen gleichmäßig verteilt werden, wenn politische Schwerpunkte, vor allem bei Parteien, gesetzt werden, dann wird heute noch deutlich, dass Gladbach und Rheydt noch nicht eins sind.

(RP)
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