Musikschule in Mönchengladbach Still, still, still

Mönchengladbach · Unser Autor hat sich mal umgehört, wie die Vorweihnachtszeit so klingt an einem der klingendsten Orte der Stadt: der Musikschule.

 Wo in Mönchengladbach ist mehr Musik drin als in der Musikschule?

Wo in Mönchengladbach ist mehr Musik drin als in der Musikschule?

Foto: Raupold Isabella

Natürlich "O du fröhliche". Irgendwo aus dem 2. Stock tropfen die Töne in den Innenhof der Musikschule. Stück für Stück, wie buchstabiert. Und natürlich von der Blockflöte. Leise rieselt der Regen, ganz leise sogar, auf den schwarzen Granit, der Georg Ettls Posaunenspieler-Skulptur trägt. Keinen Laut macht dieses Gesicht mit dem goldenen Mundstück, das an Karl Fegers, den Musikschulgründer erinnert. Der Aufprall der fast nebligen Regentropfen erschüttert die Luft weit unterhalb jedenfalls meiner Hörbarkeitsschwelle. Zwei Amseln pfeifen ihren Abendgesang, irgendwo schlägt ein Hammer auf Metall, in der Ferne hupt ein Auto - Geräusche im Herzen der Stadt.

 Man muss schon ganz schön gut hinhören im Innenhof der Musikschule - Autor Armin Kaumanns hat es getan.

Man muss schon ganz schön gut hinhören im Innenhof der Musikschule - Autor Armin Kaumanns hat es getan.

Foto: Armin Kaumanns, Isabella Raupold

Wo in Mönchengladbach ist mehr Musik drin als in der Musikschule? 4200 junge Menschen pilgern regelmäßig zu dieser städtischen Institution am Fuß des Abteibergs, haben ihr Instrument dabei, zumindest einen Packen Noten. Sie lernen zu musizieren. Aus Spaß zumeist, manche auch, weil ihre Eltern meinen, das gehöre zum guten Ton. Und fast alle, egal ob fortgeschritten oder Anfänger, wollen (oder sollen) unterm Weihnachtsbaum Geschwister, Eltern, Verwandte weihnachtlich beschallen. Und so klingt das auch, an einem Nachmittag in der letzten Adventwoche.

Ich höre, lausche, sauge sie auf, die Geräusche des musikalischen Herzens der Stadt. Und stelle fest: Ist gar nicht so schlimm. Schon Renate Fellners bronzene "Geigenspielerin" vorm Eingang macht keinen Mucks, die Schiebetür zum Aufgang gleitet fast geräuschlos auf und zu, im Foyer klappern dann ein paar Kaffeetassen und Gabeln, die wartenden Eltern und Kinder beißen in Donuts oder wischen über ihre Smartphones. Und die Fetzen von Musik, die aus den umliegenden Unterrichtsräumen nach außen dringen, haben im Schallschutz an Tragkraft verloren.

Nur die Trompeten haben's leicht, Spanisches trötet hier, "Hark, the Angel" da. Um zu erfahren, was in den Räumen der Geigenlehrer vonstattengeht, muss ich die Ohrmuschel ans Türblatt schmiegen. Aha: ein noch recht unsicheres "Heute kommt der Weihnachtsmann", begleitet von geübter Begleitvioline. Wenn das mal gut geht unterm Weihnachtsbaum...

Hören ist Physik. Schallwellen treffen auf Hörorgane, die Reize an Gehirne weiterleiten. Viele Tiere haben im Lauf der Evolution ihren Hörsinn verfeinert, um Fressfeinde früher wahrzunehmen oder Geschlechtspartner zu finden. Es gibt Heuschrecken mit Trommelfell an den Knien. Der Mensch hört mit seinen Ohren, wenn ein Auto heranbraust oder die Milch überkocht. Es soll Partner geben, die sich über den Klang ihrer Stimmen lieben gelernt haben. Wie bei vielem hat der Mensch auch das Ohr kulturell zweckentfremdet. Musik macht Gefühle. Beim Menschen im Bereich von 40 bis 10.000 Hertz, zwischen Hörbarkeit und Schmerz.

Das raschelnde Trippeln hört sich rosa an. Es verschwindet vom Klöchen treppab Richtung Ballettsaal, aus dem Folklore wummert. Aus den Tiefen der Flure pulst ein Stabspiel - Früherziehung. Wieder ein Anflug von Trompeten, Elterngemurmel. Dann plötzlich, ohrenbetäubend, Duplo auf Glasscheibe. Der Übeltäter ist 15 Monate alt, wartet aufs Schwesterchen und hat eine langmütige Mutter. Das Talent zum Schlagwerker ist unverkennbar.

"Bitte Ruhe" steht auf den Scheiben der "Lernbibliothek". Die dicken Bände der MGG geben keinen Laut, hier hinein dringt akustisch fast nichts. Atmen. Bei sich sein. Musik im Kopf. Draußen lausche ich wieder an Türen: Ein Cello versucht sanft, an Weihnachten vorbei zu schwelgen. Zwei Klarinetten spielen Pingpong mit "Jingle Bells", ein ganzes Hornorchester choralt "Macht hoch die Tür". Im Schlagzeugraum läuft ein Drumset im Kreis.

Schüchtern klingt das Anklopfen eines Mädchens an seinen Unterrichtsraum. Zaghaft, leise, nach: Ich hab' nicht genug geübt. Selbstbewusst blökt eine Horde Saxophone "Stille Nacht". Wie aus dem Himmel tönt eine Stimme: "Still, still, still, weil's Kindlein schlafen will." Ich muss ans Christkind denken, an den engelgleichen, von Luther erfundenen Gegenentwurf zum muffigen Nikolaus. Was mag das wirkliche Jesuskind gehört haben in seiner Krippe: dumpfes Wiederkäuen, das Geblök der Schafe, Josefs Schnarchen? Vielleicht hat Maria ja ein Schlaflied gesungen. Eine Welt ohne Ohren, eine Welt ohne Musik - Weihnachten müsste ausfallen.

(ark)
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