Redaktionsgespräch Jan Kaiser Tour-Sonntagsöffnung nur als Zusatztermin

Mönchengladbach · Der Geschäftsführer des Handelsverbandes NRW/Rheinland für Mönchengladbach und den Rhein-Kreis Neuss spricht über den angedachten verkaufsoffenen Sonntag zur Tour de France, die Revitalisierung der Karstadt-Immobilie sowie Innenstädte als Freizeitparks.

 Jan Kaiser (32) auf der belebten Hindenburgstraße.

Jan Kaiser (32) auf der belebten Hindenburgstraße.

Foto: Jörg Knappe

Es wird über eine Sonntagsöffnung am 2. Juli, wenn die Tour de France durch Mönchengladbach kommt, diskutiert. Sind Sie dafür? Und wie sehen das die Händler?

Jan Kaiser Die Idee als solche ist nicht schlecht, aber nur, wenn diese Sonntagsöffnung zusätzlich zu den vier geplanten Terminen erfolgen würde. Nichts kann Weihnachten toppen. Das heißt, wenn eine Öffnung im Juli auf Kosten eines verkaufsoffenen Adventssonntags erfolgen würde, wäre das kontraproduktiv. Der Juli ist nicht die Zeit für die großen Umsätze im Einzelhandel. Zudem trägt die Streckenführung dazu bei, dass die Händler schwer zu erreichen sind. Ich würde den 2. Juli wirklich nur als Zusatztermin sehen.

Wie haben Sie das Theater um den verkaufsoffenen Sonntag am 30. April wahrgenommen?

Kaiser Wir sind froh, dass in Kooperation zwischen Citymanagement, Handelsverband, Politik und Verwaltung eine Lösung gefunden wurde. Ich habe mich zum Schluss in die finalen Abstimmungen eingeklinkt und freue mich jetzt über den Beschluss. Die Diskussion verlief auf zwei Ebenen: Einerseits ging es um die Genehmigung des verkaufsoffenen Sonntags am 30. April, andererseits um die Sondernutzungserlaubnis für den Sonnenhausplatz. Ich kann verstehen, dass man eine attraktive Innenstadt haben will, aber durch zu starke Eingriffe und Reglementierungen wird schnell über das Ziel hinausgeschossen und auch Chancen verspielt. Die Topographie auf dem Sonnenhausplatz ist eine besondere, und den Veranstaltern sollte man zutrauen zu wissen, wie man den Platz qualitativ hochwertig, aber realisierbar nutzt. Dabei muss ja vieles berücksichtigt werden: Fluchtwege, Brandschutz oder Abwasser.

Als die Diskussion hochkochte, sagten Sie, es sei schon "ziemlich einzigartig, aus Angst, verklagt zu werden, auf Sonntagsöffnungen zu verzichten". Warum ist ausgerechnet Mönchengladbach so zaghaft?

Kaiser Ich kann die Besorgnis schon verstehen. Geklagt wird inzwischen überall, auch in Mittel- und Kleinstädten. Es werden Veranstaltungen abgesagt. In Mönchengladbach sind wir auf einem guten Weg, die gemeinsamen Anstrengungen von Citymanagement, Handelsverband, Verwaltung und Politik sind vielversprechend. Es war allerdings sehr aufwendig. Für die weiteren Sonntagsöffnungen müssen wir einen zukunftsfähigen Modus finden. Im Augenblick gibt es noch kein Patentrezept, wie weitere Anlässe zu finanzieren und Veranstaltungen umzusetzen sind.

Wie stehen Sie grundsätzlich zur Diskussion um die verkaufsoffenen Sonntage?

Kaiser Ich frage mich immer, wer eigentlich geschützt werden soll: die Mitarbeiter vor ihrem Gehalt? Umfragen zeigen immer wieder, dass genügend Mitarbeiter bereit sind, sonntags zu arbeiten und dafür in der Regel gerne einen Zuschlag bekommen. Der Sonntag ist nun mal wichtig für Präsentation und Umsatz und somit für die Existenzgrundlage von Inhabern und Mitarbeitern. Und dabei dürfen wir nicht vergessen, dass wir von gerade einmal vier bis maximal fünf möglichen Sonntagen sprechen. Oder sollen die Kunden davor geschützt werden, ihr Sofa zu verlassen? Shopping ist eine der beliebtesten Freizeitaktivitäten in Deutschland, gerade von Familien. Gibt es kein entsprechendes Angebot in der eigenen Stadt, fahren diese dorthin, wo eins existiert, und das ist hier in Gladbach nicht weit von der Grenze entfernt. Und die Feste, die anlässlich der Sonntagsöffnungen veranstaltet werden, sind auf das ehrenamtliche Engagement der Händler zurückzuführen und tragen zum kulturellen Leben in der Stadt bei - und das lange nach dem Gottesdienst. Was macht eigentlich derjenige am Sonntag, der alle anderen vor Sonntagsbeschäftigung geschützt hat? Ich schätze, am Ende bleibt es ein Machtkampf, der keinem der wirklich Betroffenen nützt.

Seit zwei Jahren gibt es jetzt das Minto an der Hindenburgstraße. Welches Fazit zieht der Einzelhandel?

Kaiser Das Minto ist ein Gewinn für die Gesamtstadt, keine Frage. Es war für die Hindenburgstraße absolut notwendig, und wir sehen auch positive Synergieeffekte in der ganzen Stadt. Wir verzeichnen eine höhere Besucherfrequenz, das weiß die Mehrheit der Händler zu schätzen.

Es fällt auf, dass es auf der Hindenburgstraße nach wie vor eine Reihe leerstehender Läden gibt, auch in besten Lagen nahe am Minto. Wie kann sich das ändern?

Kaiser Die Prognosen, die vor Eröffnung des Minto gestellt wurden, sind eingetroffen, aber es ist wahr, dass es noch viel Leerstand gibt. Es wäre natürlich wünschenswert, das zu füllen. Man hätte den Anfangsschwung nach der Eröffnung stärker für die Immobilienbewerbung nutzen sollen. Die Frequenz an beiden Enden der Hindenburgstraße ist sicherlich noch nicht ausreichend. Die Postbank allein wird im oberen Bereich als Frequenzbringer nicht reichen. Die diskutierte Markthalle wäre schon gut.

Im oberen Teil der Hindenburgstraße will die Stadt einen Durchbruch zum Abteiberg schaffen. Richtig so?

Kaiser Alles ist willkommen, das zu einer Attraktivierung führt. Architektonisch ist das eine tolle Idee, aber man muss viele Optionen prüfen. Die städtischen Töchter EWMG und WFMG leisten hier bereits gute Arbeit und können gerne den Kampf gegen die Leerstände noch verstärken.

In Seitenstraßen wie der Wallstraße gibt es zum Teil erhebliche Probleme. Die Fluktuation unter den Händlern lässt sich kaum bremsen.

Kaiser Wir haben in allen Städten den Trend, dass alle Lagen, die nicht 1a-Lagen sind, Probleme haben. Das ist ein allgemeines Phänomen. Diese Handelszentren schmelzen zusammen, man muss aber dafür sorgen, dass es ein gesundes Schmelzen ist. Zum Teil ist das der Digitalisierung geschuldet, zum Teil dem demografischen Wandel. Es ist immer schwieriger, Nachfolger zu finden. Eine Studie des deutschen Handelsverbandes geht davon aus, dass in den nächsten Jahren 50.000 Geschäfte wegfallen werden. Für das laufende Jahr 2016 rechnete der HDE mit einem Umsatzvolumen von 44 Milliarden Euro im E-Commerce, das entspricht im Vorjahresvergleich einem Wachstum von elf Prozent.

Kaufen Sie online ein?

Kaiser Ja, aber ich achte darauf, bei Händlern einzukaufen, die auch vor Ort vertreten sind. Viele haben ja einen Internetauftritt.

"MG bei Ebay" war ein Erfolg. Wie weit zieht das Projekt auch über die Testphase hinaus?

Kaiser Es funktioniert, und wir können stolz auf die Vorreiterrolle sein, die Mönchengladbach hier einnimmt. Ich werde öfters danach gefragt.

Welche Rückmeldungen haben Sie zur revitalisierten Karstadt-Immobilie in Rheydt?

Kaiser Das ist eine insgesamt gute Sache. Der Karstadt-Verlust wurde erfolgreich abgewehrt, die neue Konstellation bringt Frequenz. Alles ist sehr belebt. Ich würde mir jetzt noch mehr Ansiedlungen von inhabergeführtem, hochwertigem Einzelhandel in Rheydt wünschen.

Ist ein eigenes Geschäft zu führen denn heute noch sexy?

Kaiser Die Frage muss sich in der Tat jeder stellen, der sich im Handel selbstständig machen will. Handel bedeutet Wandel, das muss einem liegen. Es gibt heute, auch durch den Onlinehandel, jede Menge frische Möglichkeiten, aber man muss es gern machen. Eine Ausbildung im Einzelhandel ermöglicht es schnell, in verantwortliche Positionen zu kommen, wenn man Leistung bringt und Freude an der Sache hat.

Kommen wir zu den Themen Gestaltungssatzung und Werbeanlagensatzung: Fühlen sich die Einzelhändler dabei nicht richtig angehört? In Rheydt gab es Ärger um einen Juwelier, der einen Stein oder Blumenkübel vors Geschäft stellen wollte, aber nicht durfte.

Kaiser Ich denke, dass jeder Händler zu den Satzungen seine Meinung einbringen konnte, wenn er das wollte. Die Kommunikation hat stattgefunden. Ich würde mir auch eine andere Satzung wünschen, aber die meisten können mit den Regelungen leben. Im Fall Winkels wird sich hoffentlich ein Kompromiss finden. Was wir brauchen, ist eine Öffnungsklausel, um flexibel zu bleiben und skurrile Situationen zu lösen. Insgesamt befürworten wir die Attraktivierung der Rheydter City, die durch die Satzungen angestrebt wird.

Gibt es in anderen Städten Projekte, von denen Mönchengladbach aus Ihrer Sicht lernen kann?

Kaiser Ein öffentliches WLAN-Netz wie in Neuss wäre auch für Gladbach gut. Insgesamt zeigen Studien, dass die Innenstädte zum Erlebnisraum werden müssen, im Idealfall wie Freizeitparks. Sie müssen zum Wiederkommen begeistern. Man kann darüber streiten, wie man das erreicht, aber dabei sollten die Interessensvertreter vor Ort einbezogen werden. Die Händler haben eine große Expertise. Sie wissen, wie man Kunden ein gutes Gefühl gibt.

ANDREAS GRUHN, ANGELA RIETDORF UND JAN SCHNETTLER FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

(RP)
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