Interview: Bernhard Clasen und Hans Joachim Stockschläger Vom Wahlkampf ohne Chance auf ein Mandat

Mönchengladbach · FDP und Linke – keine anderen Parteien liegen derart wenig auf einer Wellenlänge. Die RP nahm das zum Anlass, die beiden Bundestagskandidaten zum Doppel-Interview einzuladen. Ein Gespräch über Stasi-Akten, Politikverdrossenheit, den Abhörskandal und einen "gewissen Herrn Steinbrück".

 Bernhard Clasen (56) tritt für die Linken an.

Bernhard Clasen (56) tritt für die Linken an.

Foto: Detlef Ilgner

FDP und Linke — keine anderen Parteien liegen derart wenig auf einer Wellenlänge. Die RP nahm das zum Anlass, die beiden Bundestagskandidaten zum Doppel-Interview einzuladen. Ein Gespräch über Stasi-Akten, Politikverdrossenheit, den Abhörskandal und einen "gewissen Herrn Steinbrück".

 Hans Joachim Stockschläger (53) kandidiert für die FDP.

Hans Joachim Stockschläger (53) kandidiert für die FDP.

Foto: Detlef Ilgner

Sie stehen entweder gar nicht auf der Landesliste Ihrer Parteien oder sehr weit hinten. Wie ist es, Wahlkampf zu führen, ohne jede Chance, in den Bundestag zu kommen?

Stockschläger Für mich ergibt sich kein Unterschied, da die FDP vor allem Themen in den Vordergrund stellt. Wenn ich selber auch geringe Chancen auf ein Mandat habe, bin ich umso überzeugter in der Sache. CLASEN In der Politik geht es natürlich um Inhalte, sie werden aber über Personen transportiert. Ich bin mir sicher, dass wir in den Bundestag kommen, und kämpfe natürlich um jede Erst- und jede Zweitstimme. Was Berlin betrifft: Ich bin kein Berufspolitiker und muss mich daher auch noch mit anderen Dingen beschäftigen, etwa Geldverdienen.

Die Gladbacher Linke verzichtet auf große Namen im Wahlkampf. Will Ihre Partei überhaupt Regierungsverantwortung übernehmen?

Clasen Über die Orte der Wahlkampfauftritte unseres Spitzenpersonals entscheidet die Gesamtpartei in Berlin. Da haben wir keinen Einfluss drauf.

Fühlt man sich da im Stich gelassen?

Clasen Es ist ein Stück weit bedauerlich. Unser Ziel ist es aber von Anfang an, mit unserem lokalen Personal zu punkten. Wir leisten vor Ort eine sehr gute Arbeit. Das wird sich auch im Ergebnis widerspiegeln.

Was bekommen die Menschen, wenn sie ihr Kreuz für Sie machen?

Stockschläger Wir setzen auf den einzelnen Menschen und auf weniger Staat. Jeder Mensch soll sich in unserem Land frei entfalten und nach seinen Vorstellungen glücklich werden können. Wir sind daher gegen jede Art der Bevormundung. Unsere Kernthemen sind Bürgerrechte, Chancen- und Leistungsgerechtigkeit sowie die Entlastung der Menschen und der Schuldenabbau. So wird es 2014 im Bund keine Netto-Neuverschuldung mehr geben. Wir haben solide gespart, gleichzeitig den Bildungssektor stark gefördert. Diesen Weg wollen wir weitergehen. Auch werden wir zu unserem Wort stehen und uns dafür einsetzen, den Soli abzuschaffen. CLASEN Unser Ziel ist eine soziale Politik, die diesen Namen verdient. Daher setzten wir uns unter anderem gegen die Hartz-IV-Sanktionen ein. Den Begriff Steuern gibt es nicht ohne Grund: Der Staat muss stärker lenkend eingreifen. Nicht zuletzt beim Thema Mindestlohn. Wir fordern daher auch eine Vermögensteuer. Oder schauen Sie aufs Lokale: Es kann nicht sein, dass eine Busfahrt nach Odenkirchen und zurück fünf Euro kostet. Für 1,70 Euro mehr kann man in Berlin den ganzen Tag fahren. Wichtig ist uns zudem, dass sich die Bundeswehr nicht mehr an Auslandseinsätzen beteiligt.

Wir haben hier heute eine ungewöhnliche Koalition versammelt. Welche Koalitionen sind für Sie denn überhaupt vorstellbar?

Clasen Die zentrale Rolle spielt ein gewisser Herr Steinbrück. Er wird die Wahl haben, Vize-Kanzler oder Kanzler zu werden. Vize-Kanzler wird er unter Merkel, Kanzler nur mit den Grünen und uns. Ich halte eine solche Regierung für realistisch. Es gibt jedoch drei Punkte, auf die wir bestehen: keine Kriegseinsätze, keine Entlassungen im öffentlichen Dienst, ein schneller Atomausstieg. STOCKSCHLÄGER Wir treten für eine Fortsetzung der jetzigen Koalition ein. Mit der SPD sehe ich keine Schnittstellen. Sie ist zu weit nach links gerückt. Eine Große Koalition kann sich auch keiner wünschen, sie führt zu Stillstand. Und die CDU ist schon sozialdemokratisch genug.

Herr Clasen, Sie waren in der CSU-Schüler-Union, später bei den Grünen. Warum sind Sie jetzt ein Linker?

Clasen Ich vertrete dieselben Werte wie früher. Ich bin mir treu geblieben. Die gesellschaftlichen Werte aber haben sich gewandelt. Bei der Bundeswehr lernte ich, ihr Zweck sei es, die Landesgrenzen zu verteidigen. Vertritt man diese Meinung heute, gilt man als linksextrem. Unter Kohl gab es einen Spitzensteuersatz von 53 Prozent. Auch dies wird heute als linksextrem geächtet. Die Grünen geben sich als Kämpfer gegen die Atomkraft; haben aber auf Landesebene die Urananreicherungsanlage in Gronau, die zehn Prozent aller AKW weltweit mit Uran beliefert, ausbauen lassen. Nicht ich habe die Grünen verlassen, die Grünen haben mich verlassen.

Sind die Bürger politikverdrossen?

Clasen Sie sind enttäuscht von gebrochenen Versprechen. STOCKSCHLÄGER Mich besorgt, dass viele nicht zur Wahl gehen. Wahlen in der Demokratie bedeuten erst einmal, sein Recht wahrnehmen und die Politik der nächsten Jahre mitbestimmen zu können. Die Wichtigkeit dieses Grundrechtes auf Wahlfreiheit müssen wir den Menschen noch besser erklären. CLASEN Absolut einverstanden. STOCKSCHLÄGER Ich sehe auch ein Defizit in der Bildungspolitik, in den Schulen. Welcher Schulabgänger ist heute noch in der Lage, Aufgabe und Wesen der Politik zu benennen? CLASEN Sie sagten eben zu Recht: Das Geld ist da. Schauen Sie nur auf die Unsummen, die für die Bankenrettung, für die Rüstung ausgegeben werden. Es sollte stattdessen der Bildung und Sozialpolitik zugute kommen. Und dann dort auch tatsächlich ankommen. Was in Gladbach passiert ist, ist eine Schande: Geld, das für Schulsozialarbeiter bestimmt ist, darf nicht zur Schuldentilgung verwendet werden.

Nichtraucherschutz: Bevormundung oder ein Gebot der Vernunft?

Stockschläger Er stellt einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Freiheit der Bürger dar. Auch als Nichtraucher sage ich, man sollte vielmehr auf Einsicht und Rücksichtnahme setzen. Zudem bestand keine Not zu einer Verschärfung. CLASEN Freiheit endet dort, wo die Freiheit des anderen beginnt. Daher ist der Nichtraucherschutz wichtig und richtig. Andererseits: Jeder Raucher hat ein Recht zu rauchen.

Videoüberwachung in der Altstadt: gerechtfertigt oder nicht?

Stockschläger Wäre nur gerechtfertigt, wenn man mit ihr Verbrechen verhindern könnte. Mir ist kein einziger Fall bekannt. Ich halte die Überwachung für sehr bedenklich. Jeder Altstadt-Besucher wird unter einen Generalverdacht gestellt. CLASEN Ich sage es nur ungern (lacht): Aber ich stimme Ihnen hier zu. Insbesondere da die digitale Überwachung einen schwerwiegenderen Eingriff in die Privatsphäre als eine analoge bedeutet. Denken Sie nur an die Möglichkeit der Gesichtserkennung.

Günter Krings von der CDU forderte jüngst in dieser Zeitung eine höhere Polizeipräsenz auf der Straße...

Stockschläger Dieser Forderung schließe ich mich an. Dazu gehört, dass das Land unbedingt genügend neue Polizisten einstellt, um die ausscheidenden Kräfte zu ersetzen. CLASEN Zumindest im Altstadtbereich sollte das Ordnungsamt präsenter sein. Kriminalitätsprävention setzt aber im Kindesalter ein.

Ihre Meinung zu Bürgerwehren?

Stockschläger Nachbarschaftshilfe ist gut. Bewaffnete Bürgerwehren oder Hilfssheriffs wären aber eine ganz schlimme Entwicklung. Menschen dürfen nicht verängstigt werden. Auch hier sollte auf Aufklärung gesetzt werden. CLASEN Dem kann ich zustimmen.

Und zum Abhörskandal?

Stockschläger Die Erkenntnisse haben mich nicht wahnsinnig überrascht. Ich bin alt genug, die DDR zu kennen. Es gab eine Stasi-Akte über mich. Ich weiß, wie Geheimdienste arbeiten. Immer mehr Leute geben zudem ihre Daten freiwillig preis. Eine Lösung kann nur auf internationaler Ebene gefunden werden. CLASEN Auch über mich führte die Stasi Akte. Ich war damals erschüttert, wie viel Persönliches über mich bekannt war. Datensammeln ist zudem nicht wie Briefmarkensammeln: Die Daten werden zu einem Zweck erhoben. Die entscheidende Frage ist, inwieweit die deutsche Politik verwickelt ist.

Wäre es gut, wenn künftig zwei Gladbacher die Stadt in Berlin vertreten?

Clasen Ja. STOCKSCHLÄGER Dem stimme ich zu. Für die Stadt wäre es positiv.

GABI PETERS, JAN SCHNETTLER UND FABIAN EICKSTÄDT FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

(RP)
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