Mensch Gladbach Von Avantgarde und beschnittener Transparenz

Meinung | Mönchengladbach · Hätten Sie's gedacht? Mönchengladbach entwickelt sich zum Magneten für Touristen - das belegen statistische Zahlen. Die Stadt bewegt sich also klar in Richtung Weltniveau, nicht nur beim Fußball. Das Metropolische hat aber auch Grenzen - bei der Architektur ebenso wie bei den Starqualitäten einiger relevanter Ratsmitglieder.

Nun hatten wir erst vor einer Woche an dieser Stelle vorgeschlagen, Mönchengladbach zum Kurort zu küren - und schon werden wir von der neuesten Statistik bestätigt: Immer mehr Touristen zieht es in die Vitusstadt. Der Zuwachs liegt weit über dem Landesdurchschnitt und ist vor allem auf Besucher aus dem Ausland zurückzuführen. Und das trotz des für ausländische Zungen nur schwer auszusprechenden Namens.

Oder ist es gerade das, was Mönchengladbach exotisch und deshalb interessant macht? Schon beim spektakulären Wintersport-Event "Big Air" im Dezember arbeitete sich diese besonders hippe und für Stadtvermarkter attraktive Szene eifrig, aber mit mäßigem Erfolg an dem mystischen Wort "Moehnschengladback" ab. Das ist internationale Avantgarde, die in der Region allenfalls die Stadt mit dem ähnlich schwierigen Namen "Düsseldorf" zu bieten hat.

Bei so viel Exotik kann ein wenig Bodenständigkeit nicht schaden. Auch die gab es in dieser Woche. Denn dafür haben sich Politik, Jury und Investor bei der Neugestaltung eines der markantesten, aber auch hässlichsten Plätze der Stadt entschieden: "Haus Westland" gegenüber des Hauptbahnhof-Portals wird abgerissen - endlich, kann man nur sagen. Denn das Bauwerk ist nur noch ein Schandfleck. An seiner Stelle soll ein kleingliedriges neues Quartier aus 19 Häusern mit Büros, Wohnen, Gastronomie und Einzelhandel entstehen mit einem Elf-Geschosser im Mittelpunkt, der als Hotel genutzt werden soll.

Die Alternativen wären wuchtige Blockrandbebauungen gewesen, die - zum Glück für die Stadt - gar nicht richtig in Erwägung gezogen worden waren. Es war aber auch ein Entwurf darunter, der so ausgefallen ist, dass er sicherlich ein gutes Fotomotiv für Architekturfreunde unter den Touristen abgegeben hätte. Gläsern, hoch, zugegebenermaßen sehr gewagt und mit den Gesetzen der Physik spielend - eingereicht von den Architekten von Cobe aus Dänemark. Eine Landmarke wie die Gehry-Bauten in Düsseldorf, eine Diva, die alle Blicke auf sich zieht, aber auch polarisiert.

In skandinavischen Ländern oder Frankreich wird mit so etwas gerne experimentiert, sogar beim Wohnungsbau. Die Mönchengladbacher Jury wählte lieber das, was sich unauffälliger in die Umgebung einfügt. Immerhin liegt direkt nebenan das wunderschöne und angesagte Gründerzeitviertel. Unter diesem Aspekt wohl eine richtige Entscheidung. Zu mutiger Architektur gehört schließlich Bereitschaft - der Verantwortlichen wie auch der Bürger. Und für einen Kurort ist ein kühler Metropolencharakter ohnehin nicht so förderlich. Da kann es schon etwas gemütlicher zugehen - ob nun Abteibergluft oder die Heilquelle des Gladbachs die Kurgäste anzieht. Dafür klappt es dann vielleicht mit einem verkaufsoffenen Sonntag in der Gladbacher Innenstadt.

Internationale Starqualitäten haben diese Woche auch Teile des Stadtrats verspielt. Denn die mit großer Geste und breiter politischer Mehrheit gestartete Liveübertragung der Ratssitzung wurde im Zusammenschnitt zur belanglosen Farce. Die Stadtspitze ließ sich ebenso herausschneiden wie der Chef der CDU-Ratsfraktion. Motto: Transparenz? Ja, bitte, aber nicht für die Ewigkeit. Eindeutig ein Eigentor.

(RP)
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