Mönchengladbach Wähler und Politiker auf Augenhöhe

Mönchengladbach · Fünf Leser, fünf Bundestags-Kandidaten und für jede Begegnung nur genau zehn Minuten Zeit: Beim Speed-Dating der RP zur Bundestagswahl gab es viele Überraschungen – nicht nur beim Kartenspielen.

Fünf Leser, fünf Bundestags-Kandidaten und für jede Begegnung nur genau zehn Minuten Zeit: Beim Speed-Dating der RP zur Bundestagswahl gab es viele Überraschungen — nicht nur beim Kartenspielen.

Max Zdunek hatte sich eine Strategie zurechtgelegt. Der 18 Jahre alte Schüler brachte ein Uno-Kartenspiel zum RP-Speed-Dating mit den Gladbacher Bundestagskandidaten. "Ich wollte testen, wie multitaskingfähig sie sind, sie ein wenig aus Reserve locken", erklärte Zdunek. Und es funktionierte: Nicht, wie erwartet, "Maschinen" hätten ihm geantwortet, sondern "Menschen", lautete das überraschte Fazit des 18-Jährigen am späten Donnerstagabend.

Zum ersten Mal hatte die Rheinische Post zum Kandidaten-Speed-Dating eingeladen. Fünf RP-Leser trafen in den Redaktionsräumen in jeweils zehnminütigen Gesprächen auf die Bundestagskandidaten Dr. Günter Krings (CDU), Gülistan Yüksel (SPD), Hans Joachim Stockschläger (FDP), Dr. Gerd Brenner (Grüne) und Bernhard Clasen (Linke). Außer der Zeitbegrenzung gab es keine Regeln. Befragt — und ja: auch gelöchert — werden durften die Politiker nach Lust und Laune. Ihre rhetorischen Komfortzonen mussten die Kandidaten denn auch mehr als einmal an diesem Abend verlassen.

"Ich habe bei der letzten Wahl das erste Mal die FDP gewählt. Und bin bitter enttäuscht", begann etwa der Unternehmer Dr. Claus Schwenzer (54) sein Gespräch mit dem FDP-Kandidaten Hans Joachim Stockschläger. "Warum haben Sie bloß diesen Unsinn mit der Hotel-Steuer gemacht?" Von den Steuervereinfachungs-Konzepten sei nicht eines umgesetzt worden. "Wären wir in der Alleinregierung, hätten wir es umgesetzt", verteidigte sich Stockschläger. "Mit der Union aber konnten wir einfach viele Sachen nicht vereinbaren. Wir halten an unseren Zielen fest."

Ebenfalls bereits mit der ersten Frage trieb RP-Leser Hermann Franzen (65) den Kandidaten der Linken, Bernhard Clasen, in die Enge. "Was verstehen Sie unter Gerechtigkeit?", fragte Franzen. "Nur Verteilungsgerechtigkeit? Oder auch Bedürfnis- und Leistungsgerechtigkeit?" Bei der Linken, so Franzen weiter, sei immer alles "bedingungslos". Sei es nicht eher Aufgabe des Staates, die Menschen zu "ertüchtigen", selbst ihr Leben in den Griff zu bekommen? Einigkeit zwischen Kandidat und Leser herrschte nach zehn Minuten lediglich beim Thema Managergehälter: Es sei ungerecht, dass sie um ein Zigfaches höher liegen als der Lohn etwa für Krankenschwestern.

Schnell fanden Gülistan Yüksel und RP-Leserin Corinna Spieker (28) ein gemeinsames Thema. Spieker arbeitet als Arbeitsvermittlerin für die Bundesagentur für Arbeit. "Oft ist meine Arbeit aber eher Integrationsberatung", schilderte Spieker ihre Erfahrung. Dass gerade in diesem Bereich in Deutschland noch vieles im Argen liegt — darüber waren sich die SPD-Kandidatin und die junge Mutter schnell einig. "Wie oft werden eigentlich nach der Wahl Versprechen gebrochen, die vorher gemacht worden sind?", fragte Schüler Zdunek den CDU-Kandidaten Günter Krings bei ihrer Uno-Partie. "Gerade deshalb verspreche ich nie Dinge, die nicht in meiner Macht stehen", antwortete Krings. "Politik lebt von Kompromissen. Auch innerhalb einer Partei." Den Grünen-Kandidaten Gerd Brenner konfrontierte Unternehmer Schwenzer mit der geplanten Vermögensabgabe. "Wir haben seit vielen Jahren keinen Cent mehr aus unserem Unternehmen genommen", sagte Schwenzer. "Warum bilden Sie sich ein, es tun zu dürfen?" Es sei wichtig, den Schuldenberg abzubauen, verteidigte sich Brenner. Schwenzer: "Ja, aber dann müssen Sie sich das Geld da holen, wo es tragbar ist und keine Arbeitsplätze gefährdet! Der Staat selbst muss auch das Sparen lernen."

Zunächst mit Skepsis waren Politiker so wie Leser zu den Duellen angetreten. Sie verflog auf beiden Seiten schnell. Mehr noch: Einhellig lautete die Forderung, einen solch konzentrierten Austausch regelmäßig anzubieten. "Dieses Format ist hervorragend", sagte Leser Hermann Franzen. "Insbesondere weil die Politiker bei einem Vier-Augen-Gespräch nicht ausweichen können. Sie sind ehrlicher." Beeindruckt war auch Dr. Elisabeth Müller (48): "Alle haben versprochen, meine Vorschläge nach Berlin zu übermitteln." Dr. Schwenzer wiederum entdeckte die menschliche Seite der Politik. "Natürlich wählt man als Unternehmer nicht unbedingt die Linke", so der Geschäftsführer. "Aber durch das Gespräch lernte ich die Hintergründe und Motive von Herrn Clasen kennen. Man beginnt zu verstehen." Auch Yüksel und Dr. Müller, die Vorsitzende des Verbands kinderreicher Eltern ist, fanden trotz inhaltlicher Unterschiede schnell eine Ebene: "Ich habe acht Geschwister. Ich weiß genau, was eine kinderreiche Familie ist", sagte Yüksel.

Max Zdunek schließlich erstaunte insbesondere, dass es auch für Politiker ein Leben nach der Wahl gibt: "Alle hatten schon Pläne für das nächste Jahr."

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort