2500 Euro für Schuss in den Hoden Warum bekommt ein verletzter Räuber Schmerzensgeld?

Mönchengladbach · Ein Polizist schießt einem bewaffneten Tankstellenräuber in den Genitalbereich, der Straftäter bekommt dafür jetzt Schmerzensgeld. Diesen Vorgang aus Mönchengladbach finden viele Leser unverständlich - zu Recht?

 Kläger und Tankstellenräuber Hachim E. vor Gericht in Mönchengladbach (im Oktober).

Kläger und Tankstellenräuber Hachim E. vor Gericht in Mönchengladbach (im Oktober).

Foto: dpa, mat htf

Dieser Schuss erregte in ganz Deutschland Aufsehen: Ein 21-jähriger Mann überfiel im Juli 2012 eine Tankstelle in Mönchengladbach — und das bereits zum zweiten Mal. Diesmal jedoch lauerte die Polizei dem Mann auf. Als der Räuber ein Messer zückte, wollten ihn die Beamten stellen. Es fielen Schüsse, einer traf den Räuber ins Gesäß und verletzte einen Hoden. Der musste anschließend operativ entfernt werden.

Anders als in Amerika und einigen europäischen Ländern gibt es in Deutschland strenge Gesetze, wann ein Polizist zur Schusswaffe greifen darf. Laut dem Düsseldorfer Fachanwalt für Strafrecht, Udo Vetter, ist dies nur dann der Fall, wenn der Beamte oder Dritte angegriffen werden und keine anderen Maßnahmen mehr möglich sind.

"Die Schusswaffe ist immer das letzte Mittel", sagt Anwalt Vetter im Gespräch mit unserer Redaktion. Dabei sieht es das Gesetz vor, dass der Beamte nach Möglichkeit immer erst den Schuss androht und anschließend einen Warnschuss abgibt. Hier kann es dann laut Vetter zu einem Problem kommen: "Die subjektive Einschätzung des Beamten während des Einsatzes kann eine andere sein als die des Gerichts." Dabei dürfe der Schuss, der auf den Täter abgegeben wird, immer nur dazu dienen, ihn angriffsunfähig zu machen.

Der Mönchengladbacher Tankstellenräuber hatte 10.000 Euro Schmerzensgeld verlangt - für den Schuss in sein Gesäß und die Schmerzen durch die Abnahme des Hodens. Da der Polizist während der Tat im Einsatz war, haftet der Arbeitgeber, also das Land NRW. Am Mittwoch einigten sich die Parteien bei Gericht auf eine Zahlung von 2500 Euro.

Immer wieder kommt es laut Vetter vor, dass mutmaßliche Straftäter Schmerzensgeldansprüche gegen Beamte erheben. "Dabei sind sie vom Gesetz genauso geschützt wie alle anderen Menschen", sagt der Düsseldorfer Anwalt. Beispielsweise dürfe man einem Bankräuber auf der Flucht nicht einfach in den Rücken schießen - man müsse auf die Beine zielen, um seine Flucht zu verhindern. "Und selbst dann muss vorher geprüft werden, ob man den Räuber nicht anders stellen kann. Der Straftäter ist kein Mensch zweiter Klasse." Vor Gericht werde dann in strittigen Fällen die sogenannte Verhältnismäßigkeit geprüft. Im aktuellen "Hodenschuss-Fall" allerdings kam es bei Gericht erst gar nicht zu einer Beweisaufnahme: Die Parteien hatten sich bereits geeinigt.

Schmerzensgeldzahlungen für Straftäter sind selten, kommen aber durchaus vor. So bekam 2002 ein Mann 100.000 Euro Schmerzensgeld, weil Beamte der Polizei ihn in den Würgegriff genommen und sich auf seinen Rücken gekniet hatten. Dadurch erlitt der Mann eine Querschnittslähmung. Zuvor soll er Frauen in einer Kneipe belästigt haben. Das Land Nordrhein-Westfalen musste laut Gerichtsurteil auch die Hälfte der Folgekosten für Verdienstausfälle und den Umbau der Wohnung des Mannes zahlen.

10.000 Euro bekam ein Mann, der bei einer Demonstration 2009 in Berlin von Polizisten verprügelt worden war. Er hatte an der Datenschutz-Demonstration "Freiheit statt Angst" teilgenommen und war von zwei Beamten mit Faustschlägen zu Boden gestreckt worden. Er soll einen Platzverweis nicht befolgt haben. Handyvideos der Tat sorgten damals für Empörung. Erst 2012 kam es zu einem Vergleich mit dem Land Berlin. Die Polizisten mussten 6000 Euro wegen Körperverletzung im Amt zahlen, wie die taz berichtete.


Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels hieß es im Vorspann, das "Urteil" aus Mönchengladbach sorge für Unverständnis. Ein Urteil hat es aber nicht gegeben, da die Einigung außergerichtlich erfolgte. Wir haben den Text angepasst und bitten für den Fehler um Nachsicht.

(skr)
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