Die Rebellen in Mönchengladbach Warum immer Wanlo?

Mönchengladbach · Immer war Streit: Die 115 Einwohner des südlichsten Dorfes in Mönchengladbach haben in den vergangenen Jahrzehnten gegen viele Großprojekte angekämpft und gelten deshalb andererorts als leidenschaftliche Rebellen. Ein Ortsbesuch.

 Wanlo von seiner dörflichsten Seite — eine seltene Ruhe.

Wanlo von seiner dörflichsten Seite — eine seltene Ruhe.

Foto: Ilgner

Es gibt diesen einen Spielplatz in Wanlo. Sandkasten, Rutsche, Schaukel, Fußballtore, eine Waldspielwiese. 2500 Quadratmeter wunderschönes Wanlo, ein Stolz des Ortes. Familienväter haben dafür geschuftet, Löcher in den Boden getrieben zur Entwässerung, und sie haben Bäumchen gepflanzt. Sie pflegen den Platz noch heute sehr intensiv.

Der Spielplatz war ihre eigene Idee, und wie gerne würden sie in Wanlo nur über solch schöne Dinge reden. Aber statt mit Schäufelchen für den dörflichen Sandkasten haben sich die meisten der inzwischen noch etwa 1100 Einwohner ihr Leben lang mit Braunkohletagebau und Windrädern beschäftigt. Mit Müllverbrennungsanlagen und Mülldeponien. Mit Biogasanlagen und Kompostierungsanlagen. Mit motorgetriebenem Segelflug und Tagebau-Wasserwerken. Großprojekt um Großprojekt, von denen nicht alle umgesetzt wurden, von denen aber jedes seine Spuren im Ort hinterlassen hat. Und von denen jetzt die nächsten beiden anstehen: eine Gaspipeline und eine Güterbahnlinie.

 Quietsche-Entenrennen auf der Niers vom Juli des vergangenen Jahres.

Quietsche-Entenrennen auf der Niers vom Juli des vergangenen Jahres.

Foto: Thomas Blumenhoven (Archiv), Detlef Ilgner (Archiv), Jürgen Laaser (Archiv) Andreas Gruhn

Es gibt bei weitem keinen Ort in Mönchengladbach, für den in den vergangenen 50 Jahren so viele einschneidende Großprojekte geplant waren wie in Wanlo. Und es gibt keinen Ort, der sich so entschieden gewehrt und dessen Einwohner sich so kompromisslos gewehrt haben. "Widerstand ist frustrierend, weil man nichts Positives bewegt oder erlebt. Man will immer nur etwas verhindern", sagt Reinhold Giesen (66), der Vorsitzende der Dorfinteressengemeinschaft. Und Rainer Krix (57), Geschäftsführer der Interessengemeinschaft, betont: "Wir wollen weg vom Image des ,Dagegen-Dorfes' und stattdessen konstruktiv mitgestalten."

Mitgestalten bedeutete für die Wanloer bisher eigentlich immer: Protest. Es begann schon in den 60er und 70er Jahren mit dem Braunkohletagebau. Viele Jahre haben sie sich in Wanlo dagegen gewehrt, für die RWE-Bagger umgesiedelt zu wehren. Als Giesen 1978 nach Wanlo zog und sein Haus am Ortseingang baute, da spottete noch ein Nachbar: "Und wenn du den letzten Ziegel auf dem Dach liegen hast, dann kommt RWE." Falsch. RWE kommt zwar, aber nur bis auf 100 Meter an den Dorfrand. 1991 fällt die Leitentscheidung, die Wanlo vom Abbaugebiet ausnimmt. Die Bürger können ihr Glück kaum fassen. "Daran, was es bedeutet, Tagebaurandgemeinde zu sein, haben wir damals noch nicht gedacht", sagt Giesen. Bald ist es aber soweit. Landstraßen und Autobahn werden gekappt, der Schutzwall steht schon, und Wanlo wird Sackgassen-Dorf mit Tagebau-Aussichtspunkt in Fußnähe.

 Reinhold Giesen und Rainer Krix von der Bürgerinteressengemeinschaft.

Reinhold Giesen und Rainer Krix von der Bürgerinteressengemeinschaft.

Foto: Andreas Gruhn

Der Freudenschrei Anfang der 90er ist noch nicht ganz verhallt, da verkündet die Stadt Mönchengladbach ihr Vorhaben, eine Müllverbrennungsanlage mit angrenzender Deponie im Dorf bauen zu wollen. Aber die Wanloer sind jetzt erst richtig in Fahrt, wehren sich auf allen Ebenen. Und mit allen Methoden. Der damalige Technische Beigeordnete Erich Oberem gerät zu einer Art Feindbild. Das äußert sich etwa so: Bei einer Podiumsdiskussion in Beckrath machen die Wanloer so viel Lärm im Publikum, dass Oberem nicht zu Wort kommt. Und bei der nächsten Info-Veranstaltung in Wickrath steht das ganze Publikum nach genau 30 Minuten geschlossen auf und verlässt den Saal. Oberem bleibt nahezu alleine zurück.

1993 stimmt der Rat gegen den Bau der Anlage mit dazugehörender Deponie. Oberem sagt heute, dass dies erst der Entsorgungsvertrag mit der Firma Trienekens ermöglicht habe. Die Wanloer sagen, sie hätten damals die Stadt vor dem Bau der Anlage bewahrt. Einzig die Kompostierungsanlage direkt an der Autobahn 46 wird gebaut. Auf der Fläche der Müllverbrennungsanlage starten heute die Segelflieger, aber auch darüber sind sich die Dorfbewohner nicht so ganz einig. "Wir finden sie eine Bereicherung, andere nicht", sagt Giesen.

Für wenige Jahre hat Wanlo Ruhe. Bis dahin hat sich die dörfliche Gemeinschaft stets am Widerstand festgemacht. Jetzt baut die sehr aktive Bürgerschaft endlich den Spielplatz. Die Menschen bewerben sich mit ihrer Heimat bei "Unser Dorf hat Zukunft" - 20 Jahre zuvor wäre das undenkbar gewesen. Für Giesen ist es ein einschneidendes Erlebnis, als die Jury eines Tages auftaucht. Die Bürgerinteressengemeinschaft führt die Fachleute herum zeigt ihnen zum Abschluss eine Ansicht vom Segelflugplatz auf das Dorf. Und da fragt ein Juror: "Wo wollen Sie denn in 20 Jahren sein?" Giesen zuckt die Schultern. "Ich hatte einfach keine Antwort." Vor lauter Kampf gegen Alpträume haben sie sich eben nie mit Visionen beschäftigt.

Und gerade als sie dann doch damit beginnen, kommt das nächste Großprojekt: die Biogasanlage, die Landwirte und die damalige NVV AG in Wanlo bauen wollen. "Da habe ich gedacht: Nicht schon wieder. Wir hatten grade umgeschaltet in den Entwicklungsmodus." Es sind wieder zwei hart umkämpfte Jahre. Auch im Ort selbst fangen die Bewohner plötzlich an zu streiten, die Tonlage verschärft sich. Als manche anfangen von einer "Vergasungsanlage" zu reden, geht es kaum mehr um sachliche Auseinandersetzung. Sondern nur noch um erbitterten Streit. Die Jahre des Widerstands haben eben doch empfindliche Spuren hinterlassen. Die Biogasanlage, sagt man, hat Zwietracht ins Dorf gebracht. Der setzt sich sogar fort, als der Rat im Februar 2011 gegen den Bau der Anlage stimmt. Im Jahr darauf geht es um Fluglärm, weil die Segelflieger gerne mit Motor starten wollen. Zwischendurch werden zehn Windräder am Dorfrand gebaut, und während die Bagger von RWE immer näher kommen, wird ein Schutzwall aus Schutt gebaut - und zwischendurch wird darin sogar Sondermüll gefunden.

"Unser Dorf hat Zukunft?"

Ja, betonen Giesen und Krix. Denn eigentlich ist fast alles überstanden. Eine Arbeitsgruppe der Interessengemeinschaft fängt endlich an, an Visionen zu arbeiten. Bei Dorf-Cafés und Planungs-Spaziergängen werden Ideen zusammengetragen, wie man die Lebensqualität halten oder verbessern kann trotz des fortschreitenden Tagebaus. Einen entsprechenden Dorf-Masterplan legen die Wanloer im Juni 2015 den Politikern vor, die dem zustimmen. Endlich sind die Wanloer nicht mehr dagegen. Sondern dafür. "Da ist richtig Zukunft drin", sagt Rainer Krix, wenn auch die Ideen bisher weitgehend im Dorf geblieben sind. Im vergangenen Jahr beteiligen sich die Mitglieder der Interessengemeinschaft an der Planungswoche. Kluge Antworten, was mit den Tagebaurandgemeinden werden soll, gibt es noch nicht. Aber es werden gute Ideen gesammelt.

Wenn da nur nicht die neuesten beiden Großprojekte wären: Der Gasnetzbetreiber Open Grid Europe (OGE) will eine 1,20 Meter dicke Gasleitung von Belgien ins Münsterland bauen und kreuzt dabei - natürlich - Wanlo. Und eine Güterbahnlinie zwischen Herrath und Jüchen entlang der Autobahn 46 führt im Bundesverkehrswegeplan ebenfalls direkt an Wanlo vorbei, auch wenn die Umsetzung sehr unrealistisch ist. "Wenn es dazu kommen sollte, dann müssten wir darüber noch einmal reden", sagt Rainer Krix. Das sieht Reinhold Giesen ähnlich. Er meint, vielleicht müsste man auch für den Fahrradweg an der Landstraße 354n noch einmal auf die Straße gehen. "Die Leute sollen später nicht über uns sagen: Was haben die denn vor 40 Jahren mit Wanlo gemacht?" sagt Giesen. Untätigkeit wird den Wanloern wohl nie jemand vorwerfen können.

(RP)
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