Serie Denkanstoss Warum Kirchensteuer wichtig ist

Mönchengladbach · Mehr als 600 000 Menschen haben im Vorjahr die katholische und die evangelische Kirche verlassen. Der evangelische Pfarrer Martin Gohlke wirbt für den Wiedereintritt und sagt: Die Kirche hat viel zu bieten.

An meinem ersten Arbeitstag nach meinem Urlaub am Montag dieser Woche verschlug es mir fast den Atem, als ich auf der Titelseite der Zeitung las: "Kirchen verlieren 640 000 Mitglieder". Anlass für diese Nachricht war die am 17. Juli veröffentlichte Statistik der Deutschen Bischofskonferenz. Demnach traten im vergangenen Jahr 217 716 Katholiken aus der Kirche aus - ein neuer Rekord. Die bisher höchste Zahl stammt aus dem Jahr 1992 und betrug damals 192 776 Austritte. Insgesamt verzeichnet die katholische Kirche 2014 einen Rückgang von 230 000 Gläubigen.

Noch dramatischer sieht es in meiner eigenen Kirche aus: Nach Schätzungen - es sind wirklich nur Schätzungen, da die Evangelische Kirche in Deutschland ihre Statistik traditionellerweise erst am Jahresende veröffentlicht - hat die evangelische Kirche 2014 sage und schreibe 410 000 Mitglieder verloren. Nach neuen Hochrechnungen soll die Austrittszahl im vergangenen Jahr bei 265 000 liegen. Im Vergleich zum Vorjahr sind das durchschnittlich 50 Prozent mehr. Alles in allem wären also rund 483 000 Menschen in einem Jahr aus der evangelischen und der katholischen Kirche ausgetreten - fast eine halbe Million! Die Frage ist: Warum treten mit einem Male so viele Menschen aus der Kirche aus? Die Antwort ist wohl in der Kapitalertragssteuer zu suchen. Seit Beginn dieses Jahres werden die Kirchensteuern automatisch von den Banken an die Finanzämter weitergeleitet. Die Banken hatten ihre Kunden bereits Anfang 2014 darüber informiert. Seitdem ist die Zahl der Austritte in die Höhe geschnellt, wie man den Statistiken entnehmen kann. Dabei handelt es sich bei diesem Verfahren um keine neue Steuer. Und auch an der Steuerhöhe hat sich überhaupt nichts geändert. Die Kirchen wollten nur eine Vereinfachung herbeiführen. Bislang mussten die Steuerpflichtigen in ihrer Erklärung ihre Kirchenmitgliedschaft angeben oder ihre Banken auftragen, dies zu berücksichtigen. Dies entfällt nun. Leider hat dieses neue Verfahren zu einer Verunsicherung geführt und viele zum Kirchenaustritt veranlasst. Im Nachhinein wundert es nicht, dass anders als sonst auch ältere Menschen aus der Kirche ausgetreten sind. Viele hatten wohl das Gefühl, die Kirche greife ihnen von hinten in die Tasche und gehe ihnen an die Altersvorsorge. Aber das ist nicht der Fall und war auch niemals beabsichtigt.

483 000 Kirchenaustritte und 640 000 Menschen weniger in beiden Kirchen sind ein großer Verlust, der sehr schmerzlich ist. Dabei engagieren sich die Kirchen zum Beispiel stark in der Kinder- und Jugendarbeit und vermitteln der jungen Generation christliche Werte. Sie leisten damit für die Gesellschaft einen ungeheuer wichtigen Dienst. Mit der Kirchensteuer werden unter anderem Kindergärten, Krankenhäuser und diakonische Einrichtungen finanziert. In der Öffentlichkeit genießt dies eine große Anerkennung und Wertschätzung.

Ohne die Kirchensteuer könnte all das nicht weitergeführt werden. Allein schon deswegen lohnt es sich meiner Meinung nach, in der Kirche zu bleiben oder wieder einzutreten. Die Kirche hat viel zu bieten. Wer ihre Angebote noch nicht kennt, den möchte ich einladen, sich davon zu überzeugen.

MARTIN GOHLKE, 49 JAHRE, VERHEIRATET, 5 KINDER, IST PFARRER DER EVANGELISCHEN KIRCHENGEMEINDE WICKRATHBERG

(RP)
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