Mönchengladbach Wenn Putzen zur Kunst wird

Mönchengladbach · Die Gladbacherin Katja Möltgen reinigt dreckige Wände und Mauern so, dass kleine Bilder entstehen. "Reverse Graffiti" heißt die junge Kunstform. Obwohl das nicht verboten ist, hat die 22-Jährige, die ab Herbst an der Hochschule Niederrhein studieren wird, nun eine Anzeige am Hals.

 Diese vorher verdreckte Wand an der Fliethstraße hat Katja Möltgen für einige Wochen oder Monate aufgehübscht. Hier sind die betroffenen Stellen noch feucht, später ist das Motiv deutlicher zu erkennen.

Diese vorher verdreckte Wand an der Fliethstraße hat Katja Möltgen für einige Wochen oder Monate aufgehübscht. Hier sind die betroffenen Stellen noch feucht, später ist das Motiv deutlicher zu erkennen.

Foto: Markus Rick

Katja Möltgen tunkt die Zahnbürste in eine Flasche mit einem milchigen Gebräu, rührt einmal kräftig um und bürstet die Substanz auf die Folie, die sie vorher an einer Mauer angebracht hat. Das durchsichtige Blatt ist so perforiert, dass die Flüssigkeit an den richtigen Stellen hindurchtritt und sich an der Wand langsam ein Bild abzeichnet. Ein Gesicht kommt zum Vorschein, ein Plattenspieler, ein Herz. Es ist dem Symbol des für Gladbachs Kulturszene so fatalen Musicals "Gambler" nachempfunden. Die 22-Jährige nimmt die Folie ab und klebt zwei kleinere an dieselbe Stelle. Damit fügt sie mit derselben Technik Musiknoten hinzu. Zwei Schritte zurück treten, begutachten, ein paar Minuten trocknen lassen – und fertig ist das kleine Kunstwerk.

Klingt künstlerisch wertvoll, irgendwie aber auch nicht ganz legal – Graffiti eben, und damit, weil nahe am Vandalismus, negativ behaftet. Im Fall von Katja Möltgen ist diese Befürchtung jedoch gänzlich unbegründet. Denn die angehende Studentin – im Herbst beginnt sie ein Designstudium an der Hochschule Niederrhein – beschmiert Wände und Mauern nicht etwa. Im Gegenteil: Sie putzt sie. Denn in der Plastikflasche befindet sich eine Mischung aus Wasser und biologisch abbaubarer Gallseife, und die Flächen, die sie bearbeitet, sind durch Abgase und Straßendreck natürlich verschmutzt – bis sie ihnen zuleibe rückt. "Reverse Graffiti" heißt diese noch junge Kunstform, umgedrehtes Graffiti.

"Für die Bewerbung an der Hochschule habe ich mich mit dem Thema Toleranz für illegale Kunstformen auseinandergesetzt", sagt die 22-Jährige. Mit ein wenig Internet-Recherche wurde sie vor einigen Monaten auf Reverse Graffiti aufmerksam, das aufgrund fehlender eindeutiger Rechtsprechung meist als legal betrachtet wird (siehe Info). Was Künstler in den USA und Großbritannien mit Hochdruckreiniger, Sandstrahler und Lösungsmittel bewerkstelligen und kreative Werber schon vielerorts für so genanntes Streetbranding nutzen, hat sie für sich im Kleinen entwickelt. Die Folien sind ausrangierte Poster-Abdeckungen, die sie von der Textildruckerei A 61 bezieht, Gallseife und Reisezahnbürsten gibt's für kleines Geld im Supermarkt. "Bei Graffiti haben die Leute ein Recht, sich zu beschweren", sagt Möltgen. "Es kostet ja auch viel Geld, die Flächen hinterher wieder sauberzumachen." Der Grundgedanke ihrer Kunst hingegen sei es, eben niemanden zu ärgern – sondern vielmehr zu erfreuen.

Schon an mehreren Stellen in der Stadt, etwa am Kapuzinerplatz, an der Viersener Straße und am Schillerplatz, sind ihre kleinen Werke zu sehen. Mal sind es Konterfeis kleiner lokaler oder großer Berühmtheiten vom Gladbacher Künstler und DJ Pawel Klatt bis zu Jean-Paul Sartre, mal Suchbilder, mal Sinnsprüche ("Ein Kopf verpflichtet zu nichts"). An einer Stelle in der Altstadt hat Möltgen stilisierte Chamäleons angebracht und an ihre Zungen kleine Geschenke für Passanten geklebt, die sie für Centbeträge auf Flohmärkten kauft: "Sobald die weg sind, hänge ich neue hin." Den moralischen Zeigefinger erheben wolle sie nicht mit ihren Botschaften, sagt sie, auch meide sie Privatgrundstücke, "um niemandem auf die Füße zu treten". Stattdessen denkt sie etwa über großflächige, geputzte Wandbilder nach, die wie Fenster aussehen und beispielsweise "eine Oma zeigen, die einen frischgebackenen Apfelkuchen aufs Fensterbrett stellt".

Zwei Polizisten, die die 22-Jährige am Freitag vor zwei Wochen an der Treppe zum Kapuzinerplatz antrafen, hatten offenbar keine Freude an Möltgens Kreativität. Die Beamten hätten einen beleidigenden Tonfall angeschlagen und ihr gesamtes Material konfisziert, sagt die junge Frau. "Ich habe davor und danach mehrere andere Polizisten gefragt, die mir alle sagten, dass ich nichts Verbotenes mache." Es half nichts: Für den 6. Juli sei nie nun vorgeladen, um eine Aussage zu machen. Warum jemand ihre Kunst als illegal oder gar anstößig empfinden könnte, will sich ihr nicht recht erschließen: "Wenn man sich viele dreckige Stellen in dieser Stadt so anschaut, kriegt man den Eindruck, als sei Putzen schon verboten."

(RP)
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