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Sängerin Isabelle Razawi Wie Singen heilsame Wirkung entfaltet

Mönchengladbach · Im Gespräch erläutert die Sopranistin und Gesangslehrerin Isabelle Razawi die therapeutischen Aspekte der vokalen Kunst und schildert Erfahrungen aus ihrer Arbeit als Singleiterin in Mönchengladbacher Altenheimen.

Frau Razawi, Sie sind vielen Mönchengladbachern als Gesangssolistin bekannt, waren von 2004 bis 2012 hier am Theater engagiert. Sie unterrichten auch Gesang und haben dabei auch therapeutische Dinge im Fokus. Was genau muss man sich unter "heilsamem Singen" vorstellen?

Isabelle Razawi Da geht es darum, Singen erfahrbar zu machen, für alle Menschen. Erfahrbar machen, dass die Stimmbänder die uns gegeben wurden, nicht nur dazu da sind, um zu sprechen, sondern dass wir alle "Klangwesen" sind. Karl Adamek sagt, dass es nicht nur schön ist, dass wir singen, sondern, dass es eine Grundnotwendigkeit ist. Es ist eine Medizin. Er hat das schon über mehrere Jahrzehnte erforscht, und mittlerweile horchen auch Mediziner auf. Es gibt empirische Untersuchungen, die nachweisen, dass Singen durch die Schwingungen - die Stimmbänder geraten in Schwingung und bringen den ganzen Körper in Schwingung - Organe entschlackt. Es schüttet auch Glückshormone aus. Und es gab Untersuchungen darüber, dass Menschen mit Aphasie, die also nicht mehr sprechen können, sehr wohl singen können. Und zwar auch Texte.

Haben Sie solche Wirkungen auch selber erfahren können bei Ihrer praktischen Arbeit?

Razawi Ja, ich arbeite im Moment als Singleiterin in fünf Altenheimen der Stadt Mönchengladbach. Ich habe Demenzkranke im dritten Stadium erlebt, die plötzlich ein Lied sangen. Da geht ein Licht an.

Was waren für Sie die Auslöser, sich mit diesem Wirkungskreis des Singens zu beschäftigen?

Razawi Viele Menschen, die sich dem Heilen zuwenden, haben selber irgendeinen Knick erlebt. Also ein gravierendes Erlebnis. Singen hatte mich eigentlich immer durch alle meine Lebenskrisen getragen. Ich war aber dann an so einem Punkt, wo das Singen nur noch Leistungsdruck war. Und ich habe nach etwas gesucht, um das Singen wieder aus der Freude heraus zu erleben.

Sie haben den Namen des Musiksoziologen Karl Adamek erwähnt. Wie sind Sie dazu gekommen, als Sie sich entschieden, musiktherapeutisch tätig zu sein, heilsames Singen speziell nach seiner Methode zu erlernen und nun weiterzugeben?

RAzawi Ich habe nach Weiterbildungsmöglichkeiten auf diesem Gebiet recherchiert und bin auf "Singende Krankenhäuser e. V." gestoßen. Das ist eine Tochtergesellschaft des von Adamek initiierten "Il canto del mondo - Internationales Netzwerk zur Förderung der Alltagskultur des Singens". So habe ich 2014 mehrere Module besucht. Und habe mit Zertifikat als Singleiterin für Gesundheitseinrichtungen abgeschlossen, das war im Dezember 2014. Ein wichtiger Name ist aber auch Wolfgang Bossinger, er hat Singende Krankenhäuser gegründet. Er ist einer der Wegbereiter.

Wie unterscheiden Sie "normales" vom heilsamen Singen?

Razawi Es gibt keine großen Unterschiede. Viele Menschen haben allerdings eine Riesenscheu zu singen. Es gibt auch unheimlich viele Menschen, die ein Trauma haben, zum Beispiel aus ihrer Kindheit. Heilsames Singen ist absichtslos. Das heißt, es geht nicht darum, dass wir etwas aufführen oder etwas in Form bringen wollen. Sondern es geht um den natürlichen Ausdruck des Menschen. Der sich im Tönen und Lauschen ausdrückt. Heilsames Singen ist auch lauschendes Singen.

Wie bauen Sie eine typische Singstunde auf, womit fangen sie an?

Razawi Meist fange ich damit an, den Leuten erst einmal klar zu machen, dass Atem, also Ausatmen zum Singen gehört. Es ist eigentlich nur ein tönendes Ausatmen.

Das unterscheidet sich nicht vollkommen von häufig beobachtbaren Methoden bei "normalem" Gesangsunterricht. Wo es unter anderem auch darum geht, Grundlagen der Atemtechnik zu erlernen.

Razawi Ja genau, ich nehme da auch sehr viel von meiner klassischen Ausbildung mit. Wir tönen einfach erst mal. Singen irgendeinen Ton, der angenehm ist. Es muss nicht schön klingen, es muss nicht in eine Form gebracht werden. Es ist eher das Erlebnis an sich. Und es sagen auch alle meine Teilnehmer, die das erleben, wenn sie anfangen zu schwingen, zu vibrieren. Der ganze Körper fängt an zu vibrieren, eine ganze Gruppe fängt an zu vibrieren. Die alt-chinesische Medizin weiß das schon seit Jahrtausenden, deren Vertreter sagen ja: Ein Ungleichgewicht ist nur ein Ungleichgewicht in den Schwingungen.

Im professionellen Gesang gibt es viele Beispiele für ungesundes oder auch ausgesprochen schädliches Singen. Gibt es die Gefahr, sich zu schaden, auch beim heilsamen Singen?

Razawi Also, ich denke, im streng klassischen Gesang ist diese Gefahr größer. Schlechte Sänger, die versuchen, klassisch zu singen, mit einer schlechten Technik, tun Schädliches. Das ist so beim leistungsorientierten Singen, zum Beispiel in einem Chor. Allerdings gibt es auch noch andere Aspekte von schädlichem, bzw. besser gesagt gefährlichem Singen. Auch Adamek sagt, dass man Singen missbrauchen kann. Denn es schaltet das Angstareal aus im Kopf. Dadurch kann man natürlich auch Menschen manipulieren. Und das ist im "Dritten Reich" geschehen. Leider wird überall in Diktaturen das Singen missbraucht. Man wird durch Singen manipulierbar.

(RP)
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