Interview: Leah Floh Wir fühlen uns hier nicht mehr sicher

Mönchengladbach · Die Vorstandsvorsitzende der Jüdischen Gemeinde spricht über Bedrohung, Hass und lange nicht gekannte Angst. Manche säßen gedanklich schon wieder auf gepackten Koffern. Trotzdem hat sie Hoffnung - auch auf eine neue Synagoge.

"Es ist die radikale Islamisierung, der missionarische Eifer, die aggressive Intoleranz, die uns beunruhigt", sagt Leah Floh im Interview. Der Islam an sich mache ihr keine Sorgen. "Wir haben muslimische Freunde genauso wie christliche."

"Es ist die radikale Islamisierung, der missionarische Eifer, die aggressive Intoleranz, die uns beunruhigt", sagt Leah Floh im Interview. Der Islam an sich mache ihr keine Sorgen. "Wir haben muslimische Freunde genauso wie christliche."

Foto: Raupold

Frau Floh, beim Weg in Ihr Gemeindezentrum sind mir zwei Sicherheitskräfte aufgefallen. Die waren noch nicht hier, als ich das letzte Mal bei Ihnen war. Was ist passiert?

Leah Floh Es ist etwas passiert, was ich vor zwei Jahren noch nicht für möglich gehalten hatte. Wir fühlen uns nicht mehr sicher in Deutschland und in Mönchengladbach. Wir müssen uns schützen. Darum haben wir Security-Beamte, darum mache ich gerade eine Sicherheitsweiterbildung. Ich würde mich lieber mit anderen Dingen beschäftigen. Aber das ist die Realität.

Warum fühlen Sie sich nicht mehr sicher?

Floh Wir erleben täglich Beleidigungen, Erniedrigungen, wir bekommen Hass-Mails. All das gab es vor zwei Jahren nicht. Der Begriff "Jude" ist auf vielen Schulhöfen wieder als Schimpfwort zu hören. In Düsseldorf gab es eine große antisemitische und antizionistische Demonstration. Ich war dort, ich habe beobachtet, viele Fotos gemacht. Da waren Moslems und Deutsche vereint mit palästinensischen Fahnen, die laut antijüdische Parolen gerufen haben. Mitten am Tag, mitten in Deutschland. Und die meisten Passanten haben weggeschaut. So wie damals.

Kranzniederlegung am Gedenktag an die Reichspogromnacht am vergangenen Sonntag.

Kranzniederlegung am Gedenktag an die Reichspogromnacht am vergangenen Sonntag.

Foto: reichartz

Was löst das bei Ihnen aus?

Floh Ich bin wütend, entsetzt, hilflos. Wenn ich diese Bilder sehe, schlafe ich nicht ruhig. Ich bin im Schatten der Shoah aufgewachsen wie viele Gleichaltrige. Können Sie sich vorstellen, was all das bei den heute noch lebenden Shoah-Opfern auslöst? Viele haben Angst. Wir sind sensibel. Wir haben die Sorge, hier in Deutschland unerwünscht zu sein. Manche sitzen in Gedanken schon wieder auf gepackten Koffern. Und wenn wir über Deutschland hinausschauen, wird die Sorge nicht kleiner.

Was meinen Sie damit?

Floh Die letzten Juden haben Norwegen verlassen, wegen des wachsenden Antizionismus. Aus Frankreich sind allein seit diesem Frühjahr 5000 Juden ausgewandert. In Antwerpen und Brüssel leben kaum noch Juden. In den Niederlanden empfehlen führende Juden, über ein alternatives Aufenthaltsland nachzudenken. Überall dort, wo der Islam auf dem Vormarsch ist, steigt die Bedrohung für uns. Das erleben wir auch ganz konkret hier in Deutschland. Der Juden-Hass bei muslimischen Jugendlichen ist immens.

Ist der Islam der Grund für Ihre Sorge?

Floh Nicht der Islam. Wir haben muslimische Freunde genau wie christliche. Es ist die radikale Islamisierung, der missionarische Eifer, die aggressive Intoleranz, die uns beunruhigt. Denken Sie nur an die Scharia-Polizei, die in Nordrhein-Westfalen patrouilliert ist. Es ist in Deutschland salonfähig geworden, gegen Israel zu sein. Sie dürfen nicht nur an die sechs Millionen ermordeten Juden denken, sondern auch an die sechs Millionen lebenden, ich meine die in Israel, die um ihr Leben bangen. Israel ist die Lebensversicherung für Juden in aller Welt. Hätte es den modernen, wehrhaften, jüdischen Staat Israel schon vor 80 Jahren gegeben, wäre er ein Zufluchtsort für Millionen Juden gewesen.

Gibt es auch Dinge, die Sie hoffnungsfroh stimmen?

Floh Ja, natürlich. Als ich im Sommer zum ersten Mal in der Rheinischen Post von Übergriffen auf uns berichtet habe, hat es eine Welle der Solidarität gegeben. Briefe, Mails, Anrufe, Spenden. Überzeugte Christen haben uns versichert, sie würden, wenn es noch schlimmer wird, mit der Kippa durch Mönchengladbach gehen, um so gegen den Antisemitismus zu protestieren. Bürgermeister Michael Schroeren hat unsere Gemeinde besucht und seine Solidarität bekundet. All das hat uns berührt und hat unsere Hochachtung. Es gibt auch überregional Initiativen, den "Marsch des Lebens" beispielsweise, der für Errinnern und Versöhnung steht. Kanzlerin Merkel und Bundestagspräsident Lammert haben sich sehr eindeutig geäußert.

Was wünschen Sie sich?

Floh Wir wollen sicher leben, in einer toleranten und offenen Gesellschaft. Wir wollen unsere Religion und unsere Tradition leben. Wir wollen Kippa und Talit tragen können, uns nicht über die Brit Mila, die Beschneidung, belehren lassen müssen. Wir wollen in Vielfalt vereint mit verschiedenen Religionen und Kulturen leben. Wir öffnen unsere Synagoge und wollen die nichtjüdische Bevölkerung über unsere Traditionen und über die Politik Israels informieren. Von den Juden wünsche ich mir, dass sie sich trauen, selbstbewusst zu sein. Sie sollen laut und stolz sagen können: "Ich bin ein Jude."

Das ist die Kampagne #JewsAndArabsRefuseToBeEnemies
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Foto: Screenshot Twitter

Wird es bald eine neue Synagoge in Mönchengladbach geben?

Floh Wir hoffen das sehr und sind in Gesprächen mit der Stadt. Wir platzen hier an der Albertusstraße aus allen Nähten, können all die Kurse kaum abhalten, weil die Gemeinde über die Jahre so stark gewachsen sind. Wir haben 700 Gemeindemitglieder, mit ihren Angehörigen sind es 3000. Die Bibliothek, die gerade von den Älteren viel genutzt wird, ist im dritten Stock, es gibt keinen Aufzug. Wir suchen seit längerem nach einem Gebäude in der Gladbacher Innenstadt.

Wie wichtig sind für Ihr Ansinnen Gedenkfeiern wie die zum 9. November?

Floh Das ist zweischneidig. Es ist wichtig, die Erinnerung wachzuhalten, laut, klar und öffentlich zu sagen: Nie wieder Shoah! Und es ist schön, wenn der Oberbürgermeister dies tut und wie am Sonntag viele Bürger kommen. Andererseits gibt es nichts Schlimmeres als ein Gedenken ohne Inhalt, ein leeres Ritual. Die Veranstaltungen zum 9. November sind mit der Zeit etwas abgeschliffen und verflacht. Vielleicht brauchen wir ein neues, zeitgemäßes Gedenken. Nicht einen Gedenktag, sondern einen Nachdenktag.

Glauben Sie an eine gute Zukunft für die Juden in Mönchengladbach?

Floh Ich glaube trotz all des Schrecklichen der vergangenen Wochen an den Verstand, die Vernunft und an den guten Willen der Mönchengladbacher. Ich glaube trotzdem an Shalom auf unseren Straßen, in unserer Stadt und in unseren Herzen. Auch wenn es mir im Moment sehr schwer fällt.

RALF JÜNGERMANN FÜHRTE DAS INTERVIEW.

(RP)
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