Redaktionsgespräch Thomas Erler (volkshochschule) Wir haben die Lizenz zum Ausprobieren

Mönchengladbach · Der Leiter der VHS spricht über digitalisiertes Lernen und Angebote für Flüchtlinge. Er sagt, warum man Kursteilnehmer mittlerweile als Kunden versteht - und erläutert, warum längst totgesagte Formate plötzlich wieder zum Erfolgsmodell werden.

 Dr. Thomas Erler leitet die Volkshochschule Mönchengladbach.

Dr. Thomas Erler leitet die Volkshochschule Mönchengladbach.

Foto: Raupold

Sie sind schon lange in der Erwachsenenbildung tätig und seit sechs Jahren Leiter der VHS. Wie sehr haben sich in dieser Zeit die Volkshochschulen in ihrem Charakter verändert?

Thomas Erler Es gab einen Wandel, den man gut an den Programmheften erkennen kann. Die Volkshochschulen haben begriffen, dass sie Kunden haben, um die sie auch werben müssen. Das Angebot richtet sich immer stärker nach dem Bedarf und den Kundenwünschen. Das Programmheft ist ein äußeres Zeichen für diese Veränderung. Es ist heute auch innen farbig gestaltet und damit ansprechender. Wir in Mönchengladbach haben damit angefangen, inzwischen zieht man überall in der Region nach. Auch beim VHS-Tag in Berlin ließ sich die Veränderung beobachten. Er stand unter der Überschrift "Erweiterte Lernwelten" und drehte sich um die Unterstützung, die digitale Medien in der Bildung leisten können. Es ist gut, dass das Thema jetzt in der VHS-Landschaft angekommen ist. In Mönchengladbach sind wir stolz darauf, hier Vorreiter zu sein und schon Vorzeigbares zu haben.

Wie weit sind Sie beim Einsatz digitaler Medien in der Weiterbildung?

Erler Zum einen sind wir dabei, App-basierte Lernmittel etwa im Bereich Mathe zusammenzustellen, mit denen die Kunden arbeiten können. Zum anderen bieten wir mit der VHS-Lernwelt, die in Kürze an den Start geht, auch einen physischen Raum. Wir haben einen PC-Raum umgestaltet. Er wird während unserer Öffnungszeiten, also von 8 bis 22 Uhr, geöffnet und frei zugänglich sein. Den Nutzern stehen dort vier bis fünf Rechner zur Verfügung. Es wurde die Möglichkeit für Gruppenarbeiten, Videokonferenzen und Online-Vorlesungen geschaffen. Und natürlich gibt es auch eine Kaffeemaschine. Mit ein paar Umstrukturierungen haben wir es geschafft, dass immer eine Aufsicht vor Ort sein wird.

Werden die Internetangebote, die beispielsweise zum Sprachenlernen zur Verfügung stehen, die VHS in naher Zukunft überflüssig machen?

Erler Nein, ganz und gar nicht. Zum Lernen braucht man auch Austausch, Begegnung und Diskussion. Das zeigt sich an dem Erfolg, den wir mit Formaten wie dem Forum Psychologie haben. Der Vortrag galt eigentlich seit längerem als tot, aber bei den Foren wird nach dem Vortrag diskutiert. Das wird geschätzt, wir haben viele regelmäßige Teilnehmer. Als wir etwa eine Dokumentation in englischer Sprache zur Finanzkrise zeigten, kamen 35 Teilnehmer. Das ist an einem Mittwochabend ein richtig guter Wert.

Wie hat sich der Kreis der Lernenden in den letzten Jahren verändert?

Erler Es wurde behauptet, die VHS erreiche die jüngeren Leute nicht. Ich glaube nicht, dass das stimmt. Es kommen auch Schüler zu uns, etwa um Niederländisch zu lernen, vor allem aber auch Menschen zwischen Ende 20 und Ende 30, die die Angebote bei der beruflichen Bildung nutzen. Natürlich liegt ein Schwerpunkt bei älteren Teilnehmern über 50. Das ist auch logisch, weil in diesem Alter die Kinder aus dem Haus sind und man seinen Interessen verstärkt nachgehen kann. Grundsätzlich kann man sagen, die Kunden werden etwas jünger, vor allem aber werden es wieder mehr. 2010 zählten wir 14.000 Teilnehmer, 2015 waren es 20.000.

Gibt es Angebote, die heute gefragt sind, von denen man sich vor einigen Jahren aber gar nicht vorstellen konnte, dass einmal Interesse dafür bestehen würde? Können Sie zeitnah auf veränderte Interessen reagieren?

Erler Die Angebote verschieben sich natürlich im Laufe der Zeit. Computerkurse, die 2000 enorm nachgefragt wurden, brauchen wir heute nicht mehr in dem Maße. Dafür gibt es zum Beispiel wieder ein Interesse an Näh- und Strickkursen. Wir können normalerweise recht schnell reagieren, denn wir stehen in Kontakt zu anderen Weiterbildungsträgern, sind nah an Themen dran und können Trends übernehmen. Wir haben vor allem auch die Möglichkeit, mal etwas auszuprobieren. Eine Kollegin hatte die Idee, mit der Zeit-Akademie Kontakt aufzunehmen, deren DVDs zu Themen wie Geschichte des 20. Jahrhunderts oder Philosophie zu zeigen und anschließend zu diskutieren. Das ist eine tolle Idee und hat sich zu einem echten Highlight entwickelt.

Wie finden Sie heraus, was die Menschen interessiert?

Erler Als VHS haben wir die Freiheit, vieles auszuprobieren. Unser Programm ist heute mutiger als früher. Da hängt auch mit einem Personalwechsel zusammen, denn neue Leute bringen Impulse von außen ein. Auch von unseren Dozenten kommen immer wieder neue Ideen.

Einer der Schwerpunkte liegt schon länger auf beruflicher Fortbildung. Wie entwickelt sich dieser Bereich?

Erler Wir haben den Bereich inzwischen etwas anders aufgestellt. Das Konzept hat sich bewährt, aber neben den Kursen, die mit Zertifikaten abschließen, stehen jetzt Angebote, die wir unter die Überschrift ,Kommunikation und Führung' gestellt haben. Da geht es um das Auftreten, um Psychologie und Sozialkompetenz. Wir haben auch grundsätzlich unsere Struktur überdacht. Früher gab es Kurse für Frauen, Jugendliche oder Senioren. Jetzt haben wir ein anderes Modell, das sich nicht an Alter oder Geschlecht orientiert, sondern an der Lerngeschwindigkeit und dem Ziel. Es gibt Kurse für den Beruf, Kurse, die interessensorientiert sind, und so genannte Säulenkurse, bei denen es nicht darum geht, möglichst schnell etwas zu lernen. Dazu zählen zum Beispiel Konversationskurse in Französisch, die über Jahre hinweg stattfinden.

Wenden sich auch Unternehmen mit Fortbildungswünschen an Sie?

Erler Durchaus. Wir schulen auf Anfrage von Firmen Mitarbeiter in Bereichen wie Präsentation, Sprachen oder EDV. Es gibt mittelständische Unternehmen, die ihre Mitarbeiter einen Tag lang im Gebrauch von Outlook fortbilden lassen. Und als die Stadtverwaltung auf Windows 8 umgestellt hat, haben wir die Schulungen übernommen.

Werden eigentlich alle Kurse, die Sie anbieten, auch durchgeführt?

Erler Wir erreichen eine Durchführungsquote von 80 Prozent. Normalerweise sind mindestens zehn Teilnehmer nötig, um einen Kurs stattfinden zu lassen. Weil wir aber im Rahmen der Budgetierung jetzt die Möglichkeit haben, Verluste aus einem Bereich durch Gewinne aus einem anderen auszugleichen, können wir auch mal Kurse mit fünf Teilnehmern laufen lassen, um auszuprobieren, ob das Thema funktioniert. Oder weil wir das Angebot für gesellschaftlich wichtig halten, wie beispielsweise einen Alphabetisierungskurs.

Die VHS bietet auch Schulabschlüsse an. Wie groß ist die Nachfrage?

Erler Die Kurse sind stark nachgefragt. Wir haben 200 Schüler und bieten den Hauptschulabschluss, den Mittleren Abschluss und in Kooperation mit dem Weiterbildungskolleg auch die Fachhochschulreife und das Abitur. Etwa ein Drittel der Schüler schafft den jeweils angestrebten Schulabschluss.

Die VHS ist in der Flüchtlingsarbeit aktiv, bietet auch Deutschkurse an. Wie umfangreich ist das Angebot?

Erler Das ist ein wachsender Bereich. Wir haben jährlich allein 180 Kurse ,Deutsch als Fremdsprache' im Angebot. Dazu kommen noch die Integrationskurse, die auch Staatsbürgerkunde umfassen. Die Anforderungen für die verschiedenen Kurse sind sehr unterschiedlich, weil sie von unterschiedlichen Institutionen wie dem Jobcenter oder dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Auftrag gegeben werden. Im vergangenen Jahr haben ungefähr 1500 Menschen diese Kurse besucht.

Skizzieren Sie bitte einmal die Volkshochschule des Jahres 2030. Wie wird sie aussehen?

Erler Sie wird sich gar nicht so sehr von der heutigen unterscheiden. Sie wird sicher bunter sein, was die Themen angeht, und mehr Technik einsetzen. In der Digitalisierung stecken noch viele Möglichkeiten. Andererseits setzt die VHS natürlich schon lange die entsprechenden Medien ein. Denken Sie nur an die Telekollegs, die es vor 30 Jahren gab. So groß ist der Unterschied zu Onlineseminaren dann auch nicht. Das Begegnungsangebot, der gegenseitige Austausch ist der entscheidende Punkt im VHS-Angebot, und der wird bleiben, da bin ich sicher. Die Kommunikation gehört schließlich ganz elementar zum Lernen.

DIETER WEBER, JAN SCHNETTLER UND ANGELA RIETDORF FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

(RP)
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