Interview: Dörte Schall Wir sind noch weit von Gerechtigkeit entfernt

Mönchengladbach · Die am Donnerstag gewählte neue Sozialdezernentin Dörte Schall (37) sagt, wie sie Sozialpolitik versteht, worauf sich ihre Mitarbeiter einstellen müssen, wie sie ihren beiden Kindern ihren neuen Job erklärt hat - und bei welchem Thema sie sich in Mönchengladbach erobern lassen will.

 Oberbürgermeister Hans Wilhelm Reiners gratulierte Dörte Schall zur Wahl.

Oberbürgermeister Hans Wilhelm Reiners gratulierte Dörte Schall zur Wahl.

Foto: Jörg Knappe

Frau Schall, Sie sind mit 51 von 66 Stimmen gewählt worden, das sind mehr Stimmen, als CDU und SPD haben. Freut Sie dieser Rückenwind?

Dörte Schall Ja klar, ich bin sehr froh über dieses wunderbare Ergebnis. Und jetzt liegt es an mir, in den kommenden acht Jahren durch meine Arbeit dafür zu sorgen, dass alle, die mich gewählt haben, das nicht bereuen müssen.

Was finden Sie kurioser: Dass Sie jetzt die einzige Frau im Verwaltungsvorstand sind, oder dass der nächstältere Kollege satte 15 Jahre älter als Sie ist?

Dörte Schall Dass Dezernenten mit klassischen Verwaltungslaufbahnen über 50 Jahre sind, ist nichts Ungewöhnliches. Dass es keine einzige Frau in einem Verwaltungsvorstand gibt, ist tatsächlich merkwürdig. Da gibt es definitiv Nachholbedarf.

Haben Sie eine Idee, woran das liegt?

Dörte Schall Ich würde daraus jetzt keine grundsätzlichen Debatten ableiten. Weder Kommunalpolitik noch Verwaltungsarbeit sind klassische Männerdomänen. Oft ist der Mechanismus, der zu so etwas führt, ein unbewusster. Männer fördern vielleicht eher einen Mann, weil sie in einem Bewerber sich selbst vor 20 Jahren zu entdecken glauben und den dann intuitiv fördern. Das ist in den meisten Fällen nicht so, dass Männer einer Frau einen solchen Job nicht zutrauen würden.

Sie arbeiten mit einer satten politischen Mehrheit im Rücken. Was für Vor- und was für Nachteile hat eine Große Koalition?

Schall Stabile Mehrheiten eröffnen erst einmal Gestaltungsspielraum, und zwar auch bei unpopulären oder schwierigen Themen. Die werden bei knappen Mehrheiten nicht immer konsequent angepackt. Die Herausforderung ist, die guter Ideen aller Parteien einzusammeln und umzusetzen. Ich habe aber den Eindruck, dass das dieser Kooperation bewusst ist. Ich habe im Kooperationsvertrag einige Positionen entdeckt, die weder klassisch christ- noch klassisch sozialdemokratisch sind. Da werden auch gute und sinnvolle Ideen fortgeführt, die vielleicht andere gehabt haben.

Worauf können sich Ihre Mitarbeiter freuen, wovor sollten Sie auf der Hut sein?

Schall (lacht) Es wird Mitarbeiter geben, die das freut, aber auch welche, für die das anstrengend ist: Mir ist es wichtig, Entscheidungen im Team zu treffen. Das erfordert, dass man viel miteinander redet, sich austauscht und auch gemeinsam Argumente abwägt, um die bestmögliche Position zu finden. Am Ende muss einer entscheiden, und das bin ich. Das mache ich auch gerne. Aber einsame Entscheidungen ohne die Fachkompetenz und Kreativität aller sind meiner Erfahrung nach meistens keine guten Entscheidungen.

Worauf freuen Sie sich besonders und wovor haben Sie Respekt?

Schall Ich freue mich wirklich sehr auf diese Herausforderung. Das ist ein sehr großes Dezernat, das bei sehr wichtigen Themen für die Stadt und für die Bürger die besten Lösungen finden muss. Ich freue mich auch auf all die Menschen, intern wie extern, die ich kennenlernen werde. Davor habe ich gleichzeitig auch Respekt. Denn noch bin ich in der Stadt nicht vernetzt, muss diese Kontakte so schnell wie möglich herstellen. Sie sind eine wichtige Voraussetzung für meine Arbeit.

Was sind die Chancen und was die Grenzen von Prävention?

Schall Prävention ist das Herzstück von Sozialpolitik. Und dafür zu sorgen, dass es gerecht zugeht, dass jeder Mensch unabhängig von seinen Voraussetzungen am gesellschaftlichen Leben teilhaben kann, ist eine zentrale Aufgabe einer Stadt. Davon sind wir noch weit entfernt, da gilt es noch einige Hindernisse auszuräumen. Dabei müssen wir das, was der Einzelne mitbringt, fair mitdenken. Es ist nicht gerecht, einem Affen und einem Fisch zu sagen: Jetzt kletter mal den Baum hoch. Voraussetzungen zu schaffen ist unerlässlich, ob er diese dann aber nutzt, liegt in der Eigenverantwortung des Einzelnen. Das liegt nicht in unserer Hand.

Wie haben Sie eigentlich Ihren beiden kleinen Töchtern Ihren neuen Job erklärt?

Schall Das war nicht so schwer. Denn zum einen kennen Sie die Bonner Sozialdezernentin persönlich. Zum anderen bin ich für Themen verantwortlich, mit denen auch meine Töchter etwas anfangen können: zum Beispiel für Kinderbetreuung. Also konnte ich ihnen meine neue Aufgabe an ganz konkreten Fragen erklären. Dass ich mit dafür verantwortlich bin, wo Kitas gebaut werden und was es dort zu essen gibt. Richtig begeistert waren die Beiden trotzdem nicht. Das hängt aber mehr damit zusammen, dass in diesem Alter jede Art von Veränderung erst mal doof ist.

Sie werden zur Pendlerin. Nehmen Sie dafür Auto oder Bahn?

Schall Pendlerin bin ich schon lange. Ich wohne seit vielen Jahren in Bonn, habe aber noch nie dort gearbeitet. Hier leben meine Freunde, hier fließt der Rhein, das ist meine Homebase. Ich würde am liebsten in den Zug steigen. Die Verbindung ist aber leider nicht so doll. Darum werde ich wohl das Auto brauchen.

Die besten Sozialstudien kann man bekanntlich in Fußballstadien machen. Wird man Sie im Borussia-Park treffen?

Schall Ganz sicher, aber nicht aus forscherischen Erwägungen, sondern weil ich um die Bedeutung des Fußballs für die Stadt abstrakt weiß und ich das konkret erleben will. Ich bin praktisch gegenüber des Stadions von Waldhof Mannheim aufgewachsen und mit meinem Vater öfter zu Spielen gegangen. Meine älteste Tochter spielt Fußball in der AG ihrer Schule. Ich weiß also, worum es geht. Aber ich war ewig in keinem Stadion mehr. Und bin kein Fan eines Vereins. Noch nicht. Da lasse ich mich gerne noch erobern (lacht).

RALF JÜNGERMANN FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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