Interview Wir verbinden mit Weihnachten Hoffnung

Mönchengladbach · Der Psychotherapeut Andreas Bachhofen erklärt, warum es in der Weihnachtszeit schnell zu familiären Krisen kommt, und er spricht über die Wertschätzung von Mitarbeitern und die Stigmatisierung psychischer Krankheiten.

 Vor allem das Einkaufen der Geschenke wird für Viele zu einem Stressfaktor in der Vorweihnachtszeit.

Vor allem das Einkaufen der Geschenke wird für Viele zu einem Stressfaktor in der Vorweihnachtszeit.

Foto: Schulz, Bretz, RP-Foto (l.): Isabella Raupold

Für viele Menschen artet die Weihnachtszeit in Stress aus. Gibt es Mittel dagegen?

Bachhofen: Beim Stress ist es wie bei der Angst. Man kann nichts gegen ihn machen, nur mit ihm. Man kann sich bewusst machen, was die Hektik auslöst und dann nicht in den Sog hineinziehen lassen. Lieber einmal langsam gehen, wenn alle anderen rennen. Einen eigenen Rhythmus zu entwickeln ist dann das Entscheidende.

Wie sieht die Weihnachtszeit bei Ihnen aus? Ist das eine besinnliche Zeit?

Bachhofen: Für mich ist Weihnachten eher beschaulich und langsam.

 Andreas Bachhofen kennt die Fallen, die das Weihnachtsfest vielen Familien stellt: Stress, Hektik und der hohe Anspruch, alles perfekt machen zu wollen gehören dazu.

Andreas Bachhofen kennt die Fallen, die das Weihnachtsfest vielen Familien stellt: Stress, Hektik und der hohe Anspruch, alles perfekt machen zu wollen gehören dazu.

Foto: Raupold, Isabella (ikr)

Und beruflich? Ist die Weihnachtszeit für einen Psychotherapeuten nicht besonders stressig? Viele Menschen geraten ja gerade zur Weihnachtszeit in tiefe Krisen.

Bachhofen: Im November und Dezember kommt das Thema Weihnachten tatsächlich in vielen Gesprächen vor. Aber kurzfristige weihnachtsbedingte Termine mit neuen Patienten gibt es eigentlich nicht. Psychotherapie ist immer langfristig. Da denkt man in Monaten und Jahren. Tatsächlich ist Weihnachten aber auch in langfristigen Therapien Kristallisationspunkt für viele Probleme.

Warum ist Weihnachten so stark emotional besetzt? Wieso wirkt Kummer dann umso schwerer?

Bachhofen: Wir verbinden mit Weihnachten Hoffnung. Wenn die Hoffnung fehlt, bekommen wir Schwierigkeiten. Es ist aber sinnvoll, den Mut zu finden, sich den Dingen zuzuwenden. Es funktioniert nicht, Kummer oder Probleme zu Weihnachten einfach wegzupacken.

Weihnachten kann ja auch problematisch sein, weil die Erwartungen so ungeheuer hoch sind. Sollte man nicht einfach die Erwartungen ein bisschen herunterschrauben?

Bachhofen: Wenn das so einfach wäre... Sofern die Erwartungen bewusst sind, geht das natürlich. Man kann die Geschenke ein wenig kleiner halten, weniger Perfektion anstreben. Aber vieles ist unbewusst. Das macht es deutlich schwieriger etwas zu ändern. Eine wichtige Frage, die sich Familien stellen sollten, bei denen es zu Weihnachten immer wieder zu Streit und Problemen kommt, lautet: Wo ist die Stelle, die immer wieder als Auslöser dient?

Was raten Sie Familien, die zu Weihnachten immer wieder in krisenhafte Situationen geraten?

Bachhofen: Man sollte miteinander ins Gespräch kommen. Es gibt Dinge, die jedes Jahr wieder auftauchen und immer wieder zu Ärger führen. Kennen Sie die Portschlüssel in den Harry-Potter-Geschichten? Das sind alltägliche Dinge, die, wenn jemand sie zu einem bestimmten Zeitpunkt berührt, denjenigen an einen völlig anderen Ort versetzen. Solche Portschlüssel stehen zu Weihnachten überall herum und irgendjemand kommt immer dran. Deswegen sollte man versuchen, in diesem Fall Absprachen zu treffen. Eigentlich ist es gar nicht so schwer, Lösungen zu finden, wenn die Probleme thematisiert werden. Aber sie werden eben oft gar nicht erst angesprochen. Es sind viele Ängste da. Wenn aber Familien sich trauen, darüber zu reden, öffnen sich auch viele Möglichkeiten.

In manchen Fällen ist aber sicher auch Psychotherapie erforderlich. Auf einen Termin bei einem Therapeuten muss man allerdings oft ziemlich lange warten. Aber neuerdings wird Psychotherapie auch im Internet angeboten. Was halten Sie davon?

Bachhofen: Psychotherapie funktioniert nur in direkter Beziehung zwischen dem Therapeuten und dem Patienten. Deshalb kann ich mir das online nicht vorstellen. Aber es scheint ein großes Bedürfnis zu geben, Probleme scheinbar schnell zu lösen. Auch Ratgeber gehen ja weg wie geschnitten Brot.

Es gibt zu wenige Psychotherapeuten. Wie lang sind die Wartezeiten?

Bachhofen: Es gab und gibt in der Tat in Mönchengladbach eine Unterversorgung. Das war im Kinder- und Jugendbereich besonders schlimm, da gab es Wartezeiten von bis zu zwei Jahren. Inzwischen ist glücklicherweise in diesem Bereich eine Entlastung eingetreten, aber ein Mangel ist noch da. Was die Wartezeiten angeht, kann das sehr unterschiedlich sein. Sie sind auch von der Flexibilität des Patienten abhängig. Wenn jemand nur nach 17 Uhr Zeit hat, muss derjenige wahrscheinlich länger auf einen Termin warten. Wer sich aber auch während der Arbeitszeit mal Zeit nehmen und einen Termin machen kann, ist deutlich im Vorteil und braucht meist nicht so lange zu warten.

Warum gibt es überhaupt einen Mangel an Psychotherapeuten? Es herrscht doch allgemein ein großes Interesse am Studiengang Psychologie.

Bachhofen: Das ist richtig, viele wollen Psychologie studieren, aber zum Psychotherapeuten gehört ja auch eine Therapeutenausbildung. Sie ist lang und teuer und viele scheuen davor zurück. Zumal letztendlich die Honorare vergleichsweise bescheiden sind. Ärzte verdienen weitaus mehr. Der Beruf fordert die ganze Person und strengt sehr an. Für mich ist es mein Traumjob, aber man muss das mögen.

Wie schafft man es, die Probleme, mit denen man sich beschäftigt, nicht mit nach Hause zu nehmen?

Bachhofen: Man lernt, damit umzugehen. Vieles ist Erfahrung. Aber es ist auch wichtig, dass man nicht allein ist. Die Kollegen unterstützen sich gegenseitig. Es gibt ein Netzwerk, in dem man sich austauschen kann.

Untersuchungen von Krankenkassen belegen, dass die Zahl psychischer Erkrankungen in der heutigen Berufswelt zunimmt. Können Sie sich das erklären?

Bachhofen: Ich kenne natürlich nur kleine Ausschnitte und muss ein wenig spekulieren. Aber ich habe den Eindruck, dass die Führungskräfte oft nicht erkennen, wie wichtig Wertschätzung und Anerkennung für die Mitarbeiter sind. Die Menschen gehen nicht nur fürs Geld arbeiten.

Ist Psychotherapie in der Gesellschaft noch immer ein Stigma? Es soll private Krankenkassen geben, die keine Neukunden aufnehmen, die in therapeutischer Behandlung waren oder auch psychische Vorerkrankungen haben.

Bachhofen: Es ist tatsächlich so, dass manche Privatkassen bei psychotherapeutischer Behandlung eine Aufnahme ablehnen oder einen Risikozuschlag verlangen. Ich halte das für einen Skandal. Ebenso, dass eine psychotherapeutische Behandlung möglicherweise als Ausschlusskriterium für die Verbeamtung gilt. Angehende Lehrer oder Juristen bezahlen ihre Therapie meist privat, damit es niemand merkt. Generell ist es aber so, dass die Stigmatisierung psychischer Krankheiten eher nachlässt. Aber es dauert Generationen, ehe die Haltung ganz verschwindet.

(RP)
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