Mönchengladbach Wo junge Flüchtlinge ein Zuhause finden

Mönchengladbach · Elf Jugendliche aus sieben Nationen leben im "Fluchtpunkt", einer Einrichtung der Evangelischen Jugend- und Familienhilfe in Odenkirchen. Rund um die Uhr sind Mitarbeiterinnen vor Ort, die durch den Alltag helfen.

 v. l.n.r. Alina Leuchtenberg, Ali, Hekmat, Azeden, Abdivizak und Simone Wagner-Breuer im gemeinsamen Wohnzimmer der Einrichtung Fluchtpunkt.

v. l.n.r. Alina Leuchtenberg, Ali, Hekmat, Azeden, Abdivizak und Simone Wagner-Breuer im gemeinsamen Wohnzimmer der Einrichtung Fluchtpunkt.

Foto: Detlef Ilgner

"Pünktlich heißt pünktlich", sagt Ali auf die Frage, was ihm in Deutschland die meisten Schwierigkeiten bereitet hat. "Pünktlich heißt pünktlich, und es funktioniert." Der Siebzehnjährige lacht. In seinem vom Bürgerkrieg geschüttelten Heimatland Libyen wird wie im ganzen arabischen Raum eine lockerere Form von Pünktlichkeit gepflegt, auf eine halbe Stunde kommt es meist nicht an. In Deutschland aber schon, das hat Ali gelernt. Auch wenn es ein bisschen gedauert hat. Überhaupt die vielen Regeln in Deutschland - daran müssen sich alle geflüchteten Jugendlichen, die im Fluchtpunkt Mönchengladbach, einer Einrichtung der Evangelischen Jugend- und Familienhilfe, leben, erst einmal gewöhnen.

Zwölf Plätze bietet der Fluchtpunkt an. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge werden hier untergebracht. Hier werden die ersten Behördengänge und Arztbesuche erledigt, hier bekommen sie den ersten Deutschunterricht, hier lernen sie das Leben in Deutschland kennen. Jeder übernimmt einen Dienst: saubermachen, einkaufen, Tisch decken. Nicht alle Aufgaben sind beliebt, aber sie müssen erledigt werden. Untergebracht sind die jungen Männer aus Afghanistan, Syrien, Libyen, Somalia, Guinea, Marokko und von der Elfenbeinküste in Zweierzimmern. Außerdem haben sie ein gemeinschaftliches Wohnzimmer, in dem jetzt ein Weihnachtsbaum leuchtet, eine Küche und ein Esszimmer, das nach dem Essen ordentlich aufgeräumt und gefegt werden muss. Rund um die Uhr sind Mitarbeiterinnen als Ansprechpartnerinnen vor Ort. Und als Begleitung, denn die jungen Flüchtlinge können ja kein Deutsch, wenn sie ankommen.

"Wir begleiten sie zu den Eingangsuntersuchungen, zum Zahnarzt oder auch bei akuten gesundheitlichen Problemen", erklärt Alina Leuchtenberg. Nicht immer ist leicht zu erkennen, woran die jungen Leute leiden. "Viele zeigen psychosomatische Symptome wie Bauchschmerzen oder Kopfschmerzen", sagt die Gruppenleiterin. Es sei oft sehr schwer einzuschätzen, was dahinter stecke. Schließlich haben sie eine zum Teil jahrelange Flucht mit oft traumatischen Erlebnissen hinter sich. "Ein Junge war sieben, als er den Senegal verließ", berichtet Simone Wagner-Breuer, Koordinatorin bei der Jugend- und Familienhilfe. "Er war 16, als er in Deutschland ankam." Neun Jahre lang hat er sich allein durch Afrika und Europa geschlagen.

Oft dauert es lange, bis sich die Jugendlichen öffnen und von ihren Erfahrungen berichten. Eine Psychologin steht zur Betreuung bereit. "Viele haben Schreckliches erlebt", sagt Wagner-Breuer. "Sie haben gesehen, wie andere geschlagen und gefoltert oder vom Lkw gestoßen wurden. Sie haben Menschen sterben sehen und ihre Familie oder Freunde auf der Flucht verloren." Verloren haben sie im Allgemeinen aber auch das Vertrauen. Immer wieder mussten sie sich Unbekannten anvertrauen, sind betrogen oder schlecht behandelt worden. "Sie sind in einem Grunderregungszustand, wenn sie hier ankommen", weiß die Koordinatorin. "Sie sind immer bereit, sich zu verteidigen. Wir bringen ihnen bei, dass sie das hier nicht müssen."

Für die Mitarbeiterinnen heißt das, sich die Geschichte der jungen Flüchtlinge immer wieder bewusstzumachen, um richtig zu reagieren. "Das Misstrauen kommt schon immer wieder hoch, gerade, wenn man ihnen eine Freude gemacht hat", sagt Alina Leuchtenberg. "Das ist für uns eine Herausforderung, mit der wir aber umgehen können." Die Jugendlichen haben natürlich keine Vorstellung von der deutschen Jugendhilfe und sie kennen auch die deutsche Erziehung nicht. "Da ist jemand nett zu ihnen und sie wissen eigentlich nicht, warum", beschreibt Alina Leuchtenberg die Probleme. "Da erklärt ein Erwachsener Regeln, aber er verprügelt sie nicht." Das müssen etliche erst einmal begreifen. Aber es funktioniert. Das Zusammenleben ist so reibungslos, die Stimmung so gelöst, wie man es bei elf Fünfzehn- bis Siebzehnjährigen erwarten kann. Auch bei der Freizeitgestaltung gibt es Unterstützung seitens der Mitarbeiterinnen. Sie machen Angebote und vermitteln in Vereine. "Einer hat gerade angefangen, im Verein Fußball zu spielen", sagt die Gruppenleiterin. "Die Mannschaft hat ihn richtig gut aufgenommen und er wird immer abgeholt." Auch Ali hat sich an das Leben in Deutschland gewöhnt. Es sei super, findet er und lächelt. Vor allem jetzt, wo er verstanden hat, was Pünktlichkeit bedeutet. Er besucht das Berufskolleg und möchte am liebsten Automechaniker werden. Dass das hier Kfz-Mechatroniker heißt, wird er schon noch lernen.

(RP)
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