Mönchengladbach Zahl der Zwangseinweisungen nimmt zu

Mönchengladbach · Täglich werden in der Stadt zwei Menschen gegen ihren Willen in eine geschlossene Abteilung eingewiesen, weil sie sich oder andere gefährden. Oft sind Suizid-Ankündigungen per SMS, über Whatsapp oder Instagram der Grund.

 Wenn die Polizei von Suizid-Absichten Kenntnis bekommt, muss sie schon von Amts wegen eingreifen. Sehen hinzugerufene Fachleute eine akute Selbstgefährdung, wird ein Antrag auf Einweisung in eine psychiatrische Klinik gestellt.

Wenn die Polizei von Suizid-Absichten Kenntnis bekommt, muss sie schon von Amts wegen eingreifen. Sehen hinzugerufene Fachleute eine akute Selbstgefährdung, wird ein Antrag auf Einweisung in eine psychiatrische Klinik gestellt.

Foto: Lukr

Rund 270-mal ist es in diesem Jahr bis Ende Juni schon geschehen: Menschen wurden gegen ihren Willen in eine geschlossene Abteilung der Psychiatrie eingewiesen. Manche zu ihrer eigenen Sicherheit, andere, um nicht weitere Menschen zu gefährden.

Nicht nur in Mönchengladbach nimmt die Zahl der Unterbringungen nach dem Psychisch-Kranken-Gesetz, kurz: PsychKG, zu. Auch in anderen Großstädten werden Steigerungen gemeldet. Verzeichnete das Mönchengladbacher Ordnungsamt im Jahr 2013 noch 412 Einweisungen nach dem PsychKG, waren es 2014 schon 447 und im vergangenen Jahr 520. Und das sind nur die Fälle, in denen eine Einweisung gegen den Willen des Patienten erfolgte. Hinzu kommen noch die Einsätze, bei denen der Patient von einer freiwilligen Aufnahme in eine psychiatrische Fachklinik überzeugt werden konnte, und die Fälle, in denen andere Hilfen griffen.

Eine ältere Frau schreit in ihrer Wohnung um Hilfe, lässt aber niemanden herein. Als die alarmierte Polizei schließlich die Tür aufbricht, schlägt die Frau um sich, ist wie von Sinnen und nicht mehr zu beruhigen. Ein Mann läuft mitten auf einer viel befahrenen Straße. Auf Zurufe reagiert der geistig abwesend wirkende Fußgänger nicht. Das sind zwei Fälle von vielen verschiedenen, in denen die Mönchengladbacher Polizei den Notdienst des Ordnungsamtes anrief, das dann eine Unterbringung beantragte.

"Gestiegene Sorgfalt" und "geringere Integration" nennt Dr. Stephan Rinckens, Chefarzt und ärztlicher Direktor in der LVR-Klinik Mönchengladbach, als Gründe für die steigenden Zahlen bei den Einweisungen nach dem PsychKG. "Wer in einem sozialen Netz eingebunden ist, erfährt in der Regel früher Hilfe, wenn er in einer schwierigen Lebenssituation steckt", sagt er. Wer in seiner Not alleine ist, sei viel gefährdeter. "Und wir leben in einer Zeit mit einer höheren Vereinzelung." Eine Kölner Studie habe gezeigt, dass höheres Alter, Alleinsein und Migrationshintergrund bei psychischen Erkrankungen wie Depressionen eine entscheidende Rolle spielen. Auch in der LVR-Klinik wurden gerade soziodemografische Daten von Patienten erfasst, die nun ausgewertet werden, um zu ergründen, welche Risikofaktoren es bei psychischen Erkrankungen gibt.

Einweisungen nach PsychKG werden nur in Notfällen beantragt, wenn eine akute Gefährdung vorliegt. Nicht selten sind es jedoch Selbstmordankündigungen, die Ordnungsamt und Arzt bewegen, einen Antrag auf Unterbringung zu stellen. Der Satz "Mein Freund hat Schluss gemacht. Das Leben hat für mich keinen Sinn mehr" per Whatsapp verteilt oder das Bild von Bahngleisen auf Instagram mit dem Wort "Ende" können durchaus in einer geschlossenen Abteilung enden, wenn die Fachleute von einer akuten Selbstgefährdung ausgehen und der Patient rigoros eine freiwillige Behandlung ablehnt. "Den klassischen Abschiedsbrief gibt es heute nicht mehr", sagt Wolfgang Speen, Leiter der städtischen Pressestelle. Auch Dr. Stephan Rinckens kennt die oftmals leichtfertig dramatisch verfassten Äußerungen in den "unpersönlichen persönlichen Netzwerken".

Bekommt die Polizei von Suizid-Androhungen Kenntnis, muss sie schon von Amts wegen reagieren. Die eingeschalteten Ordnungsamtsmitarbeiter und Ärzte müssen dann oft schnell entscheiden, ob eine krankheitsbedingte Selbstgefährdung vorliegt. Laut Rinckens ist die Sorgfaltspflicht gestiegen. Den Menschen einer Behandlung und damit Hilfen zuzuführen, bedeute auch eine klare Absicherung. Das Freiheitsrecht sei aber ein hohes Gut. Rinckens: "Da sind wir sehr sensibel. Bleibt ein Patient nicht freiwillig in Behandlung, wird immer ein Richter ihn anhören und dann entscheiden, ob er gehen kann."

(RP)
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