Mönchengladbach Zwischen Schuld und Gerechtigkeit

Mönchengladbach · Im Rahmen des Angebots JobAct erarbeitete Theaterpädagogin Theresa Sokolowski mit arbeitslosen Jugendlichen das Schauspiel "Der Besuch der alten Dame" von Dürrenmatt. Zwei Aufführungen gab es im Konzertsaal des Theaters.

 Die Güllener warten auf die Bahn, in der ihre reichgewordene Mitbürgerin Claire erwartet wird.

Die Güllener warten auf die Bahn, in der ihre reichgewordene Mitbürgerin Claire erwartet wird.

Foto: Detlef Ilgner

Für Geld töten? Für viel Geld töten? Ist dieses Angebot noch eine Gewissensfrage oder heute einfach nur absurd? Alfred Ill sieht sich diesem Dilemma ausgesetzt. Werden die Güllener Bürger ihn töten, um ihr in die Armut gestürztes Städtchen und sich selbst zu retten? Sie werden, denn der Ausgang des Schauspiels "Der Besuch der alten Dame" von Friedrich Dürrenmatt ist bekannt.

Nach fünf Monaten intensiver Projekt- und Probenarbeit mit Theaterpädagogin Theresa Sokolowski bringen 17 junge Langzeitarbeitslose, die sich im Rahmen des Angebots JobAct mit dem Medium Theater auseinandergesetzt haben, das zweistündige Stück auf die Bühne des Konzertsaals im Theater. Die Projektleiterin Judith Freise-de Matteis, Bärbel Jungbluth, Teamleiterin U 25 des Jugendjobcenters, und Hans-Wilhelm Klomp, Vorsitzender des Jugendförderungswerks, erklären das Ziel des Projekts, das zum dritten Mal als Kooperation stattfindet: "Wir wünschen uns, dass sich die Entwicklung von Engagement, Teamgeist und Selbstwertgefühl des Theaterspielens positiv auf eine Ausbildungsplatz- und Jobsuche auswirkt."

Unter den Bürgern des Städtchens Güllen herrscht geschäftige Aufregung, denn ganz hoher Besuch hat sich angesagt: die Milliardärin Claire Zachanassian, geborene Klara Wäscher und ehemalige Bewohnerin der Kleinstadt. Die Bürger hoffen auf die Wohltätigkeit der alten Dame (gespielt von Sarah Hill) und schicken Alfred Ill (Dominik Broicher), ihren ehemaligen Liebhaber, vor, der Claire um den kleinen Finger wickeln soll. Sie soll ein paar Millionen rausrücken. Doch die Dame spielt ein perfides Spiel. Für eine Milliarde fordert sie Alfreds Tod. Sie nennt es Gerechtigkeit, denn Alfred Ill hat sie seinerzeit schwanger sitzenlassen und verraten.

Auf einer mit sparsamen Requisiten ausgestatteten Bühne bewegen sich die Spielenden sehr gekonnt, jeder hat seinen Platz. Sie sprechen mit klarer Diktion und haben Mut zu Pausen, was von einer souveränen Spielweise zeugt. Dass alle ihre Rollen und die Intention des Stücks verinnerlicht haben, beweisen sie mit großer Textsicherheit, besonders viel zu sprechen haben Claire und Ill sowie die Lehrerin (Viona Pegels) und der Bürgermeister (Marco Li Pira). Spielfreude und Leidenschaft prägen ihre Auftritte.

Die Kostüme spiegeln von der schmuddeligen Arbeitshose Ills bis zum feuerroten Kleid und seidigen Negligé der Claire Zachanassian soziale Stellung und emotionale Überlegenheit wider. Dass plötzlich alle Bürger gelbe Schuhe tragen, ist kein Zufall: Die Falschheit (Gelb als symbolische Farbe dafür) hält Einzug. Noch gaukeln sie Ill ihren Beistand vor, doch längst haben sie sich kaufen lassen und investieren in Luxusgüter. Das Ende ist absehbar: Sie werden Alfred Ill töten — für die Milliarde. Untermalt wird die hervorragende Aufführung von Livemusik auf Euphonium und Saxhorn von Nicolao Valiensi. Tosender Applaus.

(apo)
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