Moers 70 Freiwillige, neun Stunden, 2400 Strophen - eine Lesung

Moers · In einer Marathonlesung haben Bürger und Schauspieler gestern das Nibelungenlied im Schlosstheater vorgetragen.

 Auch die Lehrer Wolfgang Fabricius und Kathleen Page übernahmen einen Lesepart.

Auch die Lehrer Wolfgang Fabricius und Kathleen Page übernahmen einen Lesepart.

Foto: Klaus Dieker

Etwa 70 Freiwillige setzten sich für je sieben Minuten ans Mikrofon. Von 10 Uhr bis nach 19 Uhr wurden die fast 2400 Strophen des Nibelungenlieds vor wechselndem Publikum im Schlosstheater vorgetragen. Es ging um Abenteuer, Helden und mythische Orte, Teile der Texte kannten viele noch aus der Schule. "Eine Dame hatte sogar eine Fassung von 1924 dabei", sagte Intendant Ulrich Greb.

Wer wollte, konnte den um 1200 entstandenen Text in Mittelhochdeutsch vorlesen. Die anderen nahmen die Version von 1827. Die Leser ließen sich viel einfallen: Zwei kamen in mittelalterlichen Gewändern zum Vortrag. Andere ließen sich musikalisch begleiten, unter anderem von Josefine Bode.

Jörg Zimmer las im Wechsel mit Marthe Herchert ein Stück aus dem Originaltext. Als Mediävist ließ er es sich nicht nehmen, den mittelhochdeutschen Text zu lesen: "Selbst wenn man nicht jedes einzelne Wort versteht, kann man doch folgen."

Die Geschichte um den Drachentöter Siegfried, um Kriemhild und alle anderen sei damals ja auch nicht zum Lesen, sondern zum Vortragen gewesen. Man könne schon verstehen, was der Text vermitteln will, "weil er eben so eingängig ist". Die Zuhörer jedenfalls verstanden trotz der ungewohnten Sprache, dass Brunhilde ihren Ehemann von der Hochzeitsnacht abhielt, indem sie ihn fesselte und an einem Nagel aufhängte. "Ich glaube generell, dass wir der Poesie zu wenig Platz einräumen. Das gilt vom Niebelungelied bis heute", sagte Jörg Zimmer. Deshalb nahm er die Einladung, an der Lesung teilzunehmen, gerne wahr.

Carmen Truyen aus Mühlheim hat aus der Zeitung von der Aktion erfahren und sich sofort angemeldet." Genau das war eines der ersten Bücher, die ich als Kind gelesen habe, weil ich Siegfried so toll fand", verriet sie. Beruflich habe sie auch schon mal Weihnachtslesungen gemacht. "Wir sind ja in so einem Eventzeitalter. Da finde ich das Vorlesen eines alten Textes nostalgisch gut." Sie beschrieb das Schlosstheater und die Räumlichkeiten als Gegenpol zu digitalen Welt.

Fast 2400 Strophen und damit knapp 10.000 Zeilen wurden laut Ulrich Greb vorgetragen, die jüngsten Leser waren 13 Jahre alt. Die Gestaltung des Raumes habe man von der letzten Lesung - 1001 Nacht - übernommen. Sessel, altmodische Lampen und ein roter Teppich schufen eine gemütliche Wohnzimmeratmosphäre. Es gab sogar Liegestühle. Theaterpädagoge Holger Runge sagte, dass eigentlich nur knapp 50 Vorleser benötigt wurden. Das Interesse sei aber so groß gewesen, dass die Lesezeit verkürzt werden musste, damit alle mitmachen konnten. Wegen des Gemetzels im Text habe man zwei Szenen gekürzt.

In Kooperation mit dem Institut für Germanistik der Universität Duisburg/Essen wird es im Herbst dieses Jahres Vorträge zum Thema geben.

(bil)
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