Moerser In Berlin Als die Jugend um die "alte Schule" kämpfte

Moers · Martin Düspohl zog 1977 nach Berlin. Dort machte er sich als Museumsmacher einen Namen. Heute ist er einer der Kuratoren im Humboldt Forum. In seiner Schulzeit demonstrierte er mit anderen gegen den Abriss des Jugendzentrums "Kastell" in der alten Schule am Schlosspark.

 Martin Düspohl auf dem Moped demonstrierte für den Erhalt des Jugendzentrums Kastell.

Martin Düspohl auf dem Moped demonstrierte für den Erhalt des Jugendzentrums Kastell.

Foto: Düspohl

Moers Die Achse Moers - Berlin war in den 1970er Jahren stark befahren. Daran erinnert sich Martin Düspohl noch sehr gut. Eine ganze Reihe seiner Freunde machte sich nach dem Abitur auf den Weg in die damals geteilte Stadt - um dort zu studieren oder auch nur der "kleinbürgerlichen Enge" der Grafenstadt zu entfliehen. Düspohl folgte den Freunden zunächst nicht, sondern arbeitete in einem Heim für Körperbehinderte in England. Dort lernte der am Adolfinum altsprachlich ausgebildete Abiturient nicht nur Englisch, sondern leistete auch einen Teil seines Zivildienstes ab. "Diesen habe ich später in West-Berlin beendet", sagt er und fügt hinzu: "Da war ich wohl damals der Einzige." Wer in Berlin lebte, musste keinen Wehr- oder Zivildienst ableisten.

Martin Düspohl, der seit Februar diesen Jahres einer der Kuratoren der künftigen Berlin-Ausstellung im Humboldt-Forum ist, dem rekonstruierten ehemaligen Stadtschloss, erinnert sich gerne an seine Kindheit und Jugend in Moers. Mit seinen Eltern lebte er in Trompet. "Ein Nachbarsjunge fuhr mit der Eisenbahn zur Schule nach Moers. Das wollte ich auch unbedingt."

Und so kam es, dass Düspohl nach der Grundschule das Adolfinum besuchte. In späteren Jahren nahm er den Bus, die Linie 21. "Dort traf man morgens seine Clique und plante den Tag." Für Martin Düspohl waren die Zeit zwischen 1970 und 1976 prägend. "Wir haben damals noch nicht so unter Druck gestanden wie Jugendliche in Ausbildung heute, haben unsere Freiräume genutzt und uns selbst organisiert", sagt der 60-Jährige. Wichtige Orte seiner Kindheit und Jugend seien der Königliche Hof und das Eiscafé Adria gewesen. "Man traf dort immer jemanden, den man kannte." Ein anderer wichtiger Treffpunkt war die "Alte Schule" am Kastellplatz gewesen, das Jugendzentrum, "das wir mehr oder weniger legal selbst verwalteten", erzählt Düspohl. Als das Gebäude zum Abriss stand, verbündete sich die Jugend. Es gab größere Demonstrationen. Die jungen Leute konnten einen Kompromiss durchsetzen. Der lautete: Südring. Gerne erinnert er sich auch an den Jugendfilmclub. "Der Club war eine Institution. Andere gingen sonntags in die Kirche, wir ins Kino", sagt er. Dort seien Filme von Chabrol und anderen Regisseuren gezeigt worden. Unter den jungen Moerser habe Aufbruchstimmung geherrscht, beeinflusst von den Denkweisen der '68er seien sie wenig gefügig und oft respektlos gewesen. Schüler-Mitwirkung war ein großes Thema. "Wir waren geprägt durch eine starke Konfrontationshaltung und rieben uns an der kleinbürgerlichen Engstirnigkeit."

Vor allem die älteren Lehrer hätten eine Projektionsfläche geboten, die den Schülern die Möglichkeit gab, sich abzugrenzen, erzählt der Wahl-Berliner von seiner Zeit als Adolfiner. "Einer unserer Lehrer verlangte, dass der Klassensprecher über die jüngsten Ereignisse in der Klasse wie im Militär Rapport ablieferte. So nach dem Motto: Keine besonderen Vorkommnisse. Noten kommentierte er auf brutale Art. Und es traf meistens die Arbeiterkinder." Für den jungen Martin Düspohl war die Stadtentwicklung in 1970er Jahren eines der brennenden Themen. "Unter der Uerdinger Straße wurde ein Fußgängertunnel gebaut - für die autogerechte Stadt. Das muss man sich mal vorstellen." Auch die Altstadtsanierung hat ihn sehr bewegt. Damals habe es noch Grafschafter Winkel gegeben, also Häuser mit Garten. "Der Abriss der alten Gebäude hat weh getan. Wir haben das historische, ja morbide Flair in der Stadt genossen." Worüber er sich noch heute ärgert, war der Abriss der Synagoge. "Es hieß immer, die Nazis hätten sie zerstört", sagt er. "Das stimmt auch, im Innern, aber abgerissen wurde sie erst 1975 von den Nachkriegs-Moersern. Jüdische Regionalgeschichte wurde zu unserer Zeit noch tabuisiert. Und wir waren dafür noch nicht sensibilisiert", bedauert er.

Nach seinem England-Aufenthalt zog es Martin Düspohl zum Studium der Erziehungswissenschaften und Soziologie an die Freie Universität nach Berlin. Berliner Kontakte hatte er da schon durch Besuche bei Bekannten, zum Beispiel bei dem Berliner Künstler Eberhard Franke, der sich häufiger in Moers aufhielt. "Er lebte in Schöneberg. Wir durften im Schlafsack in seinem Atelier übernachten. Er war für uns ein wichtiger Impulsgeber."

Die Frage, ob er nach Moers zurückkehrt, hat sich Martin Düspohl nie gestellt. "Warum auch? Nach meinem Studium habe ich im Kulturamt in Kreuzberg sofort einen Job gefunden." Später baute er das Kreuzberg-Museum, heute Friedrichshain-Kreuzberg-Museum, auf, das er ab 1990 25 Jahre lang leitete. Noch immer beschäftigen ihn Themen wie Stadtentwicklung, aber auch die Sozial- und Migrationsgeschichte Berlins. Anfang des Jahres nahm er eine neue Herausforderung an und wechselte zum Humboldt-Forum. "In der ersten Etage entsteht die Ausstellung 'Berlin und die Welt'." In zwei Jahren, Ende 2019, soll die Ausstellung stehen.

(RP)
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