Die neuen Alten "Auch mit 75 möchte ich noch arbeiten"

Moers · Hubert Theuss (66) musste mit 63 in Rente gehen. Seitdem repariert der Ingenieur ehrenamtlich alte Radios.

Noch keine vier Jahre ist es her, da war Hubert Theuss plötzlich zu alt. "Man hat mich hinauskomplimentiert", sagt der Ingenieur. Sein Betrieb passte den Personalstand an; Nachrichtentechniker Theuss wurde mit einer Abfindung in den Ruhestand verabschiedet. Theuss erzählt von seinem Abschied aus dem bezahlten Erwerbsleben ohne Groll. Er sitzt in Sonsbeck auf einer Holzbank im Schatten eines großen Ahorns und genießt die Frühstückspause.

Ein- bis dreimal in der Woche macht Theuss sich von seinem Wohnort Moers aus auf den Weg zu den Emmaus-Brüdern nach Sonsbeck. Die international organisierte Gemeinschaft betreibt dort in den Produktionshallen einer ehemaligen Stuhlfabrik einen Flohmarkt. Viele in der Region wissen, dass es hier für kleines Geld Möbel, Kleidung, CDs und Elektrogeräte gibt. Theuss überprüft die Ware auf Funktionsfähigkeit und repariert sie notfalls. Gerade vorhin hatte er noch ein altes Loewe-Opta-Röhrenradio auf dem Prüfstand, eines von der Sorte, wie es sie gab, als Theuss vor dem Studium seine Ausbildung zum Radio- und Fernsehtechniker machte. 45 Euro soll das Teil kosten. "Das geht mit Sicherheit weg", sagt der Experte. "Für solche Teile gibt es genügend Sammler.

Das gilt auch für den Receiver von Braun, der ganz offensichtlich nach dem Vorbild damaliger Radio-Mischpulte designt wurde. Vielleicht fühlt Theuss sich deshalb hier so wohl, weil es in dieser Umgebung möglich ist, Zeitreisen in die Vergangenheit zu unternehmen. Doch vor allem möchte der 66-Jährige nicht auf die regelmäßigen Arbeitstage verzichten, die seiner Woche Struktur geben.

Der gebürtige Duisburger ist seit einigen Jahren Witwer; sein Sohn lebt im fernen Ulm. Finanziell geht es Theuss nicht schlecht. Trotzdem zog er von Duisburg nach Moers in eine kleinere Wohnung um. Als er die hergerichtet hatte, stellte sich die Frage: "Was tun?". Dem Frührentner war klar, dass ihm ohne eine regelmäßige Beschäftigung zu Hause die Decke auf den Kopf fallen würde.

So wandte er sich an den Senior Expert Service in Bonn. Die Organisation ist darauf spezialisiert, Fach- und Führungskräfte im Ruhestand weltweit zu vermitteln. Auch für Theuss hatten sie ein Projekt: Am Duisburger Dell-Platz gibt es eine Hauptschule mit hohem Migrantenanteil. Theuss ist der Mann, der einmal in der Woche den Jugendlichen beim Umgang mit den beiden Schul-Laptops hilft. Dort ist nicht nur sein technisches Know-How gefragt. "Manchmal geht es auch nur um das richtige deutsche Wort für eine Suchfrage bei Google", berichtet der Moerser.

Da ihn der Job als Hilfslehrer nicht auslastete, fragte er auch noch bei der Freiwilligen-Zentrale in Moers an. Dort wurde ihm die Stelle bei den Emmaus-Brüdern vermittelt. Theuss freut sich, dass er in Sonsbeck Menschen, die es im Leben nicht immer leicht hatten, etwas beibringen kann. Er merkt, dass er gebraucht wird. Trotz der Wertschätzung, die er bei den Emmaus-Brüdern erfährt, findet er, dass ehrenamtliche Arbeiten wie seine gesellschaftlich nicht genügend anerkannt werden. "Wer mit dem Auto zur Arbeit fährt, kann die Kosten dafür steuerlich geltend machen", sagt Theuss. "Wenn ein Ehrenamtler das tut, bleibt er auf den Kosten sitzen."

Trotzdem käme Theuss nie auf die Idee, die Emmaus-Holzbank mit dem Lehnstuhl daheim zu tauschen: "Wenn ich gesundheitlich fit bleibe, möchte ich den Job hier auch mit 75 noch machen. "

(RP)
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