Kirche schickte HIV-infizierten Jungen zurück "Für das Kind ist das einfach furchtbar"

Moers · Der Fall des zehn Jahre alten Jungen aus Moers, der wegen seiner HIV-Infektion ein Ferienlager verlassen musste, wühlt viele Menschen auf. Mediziner sprechen von nicht akzeptablem Verhalten. Der Pfarrer stellt sich vor die Betreuer.

 Wegen seiner HIV-Erkrankung wurde ein Zehnjähriger aus Moers von einer Kinderfreizeit auf Ameland nach Hause geschickt. (Symbolbild)

Wegen seiner HIV-Erkrankung wurde ein Zehnjähriger aus Moers von einer Kinderfreizeit auf Ameland nach Hause geschickt. (Symbolbild)

Foto: dpa, pla

Betreuer der katholischen Kirchengemeinde St. Martinus in Moers hatten den Zehnjährigen am zweiten Tag einer Ferienfreizeit auf der Nordseeinsel Ameland nach Hause geschickt. Sie hatten bei ihm hochwirksame Medikamente entdeckt und wussten offenbar nicht, wie und wann der Junge diese Mittel exakt einnehmen soll. Dabei hatte die Mutter, so sagt sie selbst, bei der Anmeldung für die Fahrt angegeben, dass ihr Sohn an der schweren Immunschwächekrankheit leide und deshalb Medikamente nehmen müsse. Zudem gab sie ihrem Sohn eine Unbedenklichkeitserklärung des behandelnden Arztes mit.

Pfarrer stellt sich vor die Betreuer

Diese, so schrieb der Pfarrer in einer E-Mail, habe aber nicht ausgereicht, um alle Fragen über die Medikamente zu klären. Nachdem man den Arzt nicht telefonisch erreichen konnte, brachte man den Jungen mit seinem jüngeren Bruder, der gesund ist, nach Moers zurück. Sowohl die betroffene Kirchengemeinde als auch das zuständige Bistum äußerten sich bislang nicht konkret zu dem Vorfall. Die Betreuer hätten vor Ort, so schrieb der Pfarrer in einer E-Mail, alles unternommen, um zu einer verantwortbaren Entscheidung zu kommen - auch im Hinblick auf die anderen jungen Teilnehmer des Ferienlagers.

Doch die Sorge, dass der Junge andere hätte anstecken können, sei völlig unbegründet gewesen, sagen Mediziner. Auch die Mutter habe mehrfach darauf hingewiesen. Eine tatsächliche Ansteckungsgefahr hat für die Mitreisenden des kleinen Marcels (Name geändert) wohl nie bestanden, erklärt auch Stefan Esser, Oberarzt in der HIV-Ambulanz des Essener Universitäts-Klinikums.

 Svenja T. im Gespräch mit Dietmar Heyde von der Aids-Hilfe Duisburg/Kreis Wesel.

Svenja T. im Gespräch mit Dietmar Heyde von der Aids-Hilfe Duisburg/Kreis Wesel.

Foto: Christoph Reichwein

Übertragung nahezu ausgeschlossen

Bei einer medikamentösen Behandlung von Menschen, die HIV-positiv sind, werde die Zahl der HI-Viren im Blut unter die sogenannte Nachweisgrenze gesenkt. Dies bedeute zwar nicht, dass die betroffenen Patienten geheilt seien - eine Übertragung der Viren sei aber im normalen Umgang miteinander nahezu ausgeschlossen. "Selbst bei einer Rauferei oder sexuellen Handlungen besteht quasi kein Risiko", so Esser. Zu einer tatsächlichen Ansteckungsgefahr komme es - eine medikamentöse Behandlung vorausgesetzt - erst bei schweren Körperverletzungen mit großen Wunden und intensivem Blut-zu-Blut-Kontakt.

Beim Essener Mediziner, selbst Vorstandsmitglied in der Deutschen Aids-Gesellschaft, sorgt das Verhalten der Kirchengemeinde für Unverständnis. Er spricht von "nicht akzeptablem Verhalten" seitens der Verantwortlichen. "Dieses Vorgehen führt zu Stigmatisierung und Ausgrenzung. Für das Kind ist das einfach furchtbar."

Nicht immer sind Eltern ehrlich

Die Angst, ihre Kinder könnten von Freizeit-Fahrten ausgeschlossen werden, sorgt jedoch mitunter dafür, dass Eltern etwaige Erkrankungen ihres Nachwuchses verschweigen. Dieses Problem kennt auch Michael Guthoff, Geschäftsführer des Katholischen Ferienwerks Oberhausen, das bis vor Kurzem Jugendreisen organisierte - auch nach Ameland, von wo Marcel nach Hause geschickt wurde. Eltern mussten dem Ferienwerk gegenüber in Fragebögen Auskunft über den Gesundheitszustand ihrer Kinder geben. Nicht immer seien sie dabei ehrlich gewesen.

"Es gab aber letztlich nie Probleme", sagt Guthoff. Ab wann eine Krankheit so problematisch sei, dass ein Kind nicht an Aktivitäten teilnehmen kann, sei immer Entscheidung der jeweiligen Verantwortlichen. Eine ärztliche Unbedenklichkeitserklärung wie in diesem Fall hätte Guthoff als Reise-Erlaubnis genügt. "In diesem Fall hätten wir keine Bedenken gehabt und das Kind nicht nach Hause geschickt."

(RP)
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