Serie Moerser In Berlin "Bettenkamp war wirklich ein Meer"

Moers · Moers / Berlin Für unsere Serie "Moerser in Berlin" haben wir unseren Berliner Gesprächspartnern freigestellt, ob sie uns ihreBeziehung zu ihrer Heimatstadt in einem Interview schildern oder selbst beschreiben wollen. Helmut M. Bien, ehemals selbst als freier Mitarbeiter einer Moerser Lokalzeitung unterwegs, hat uns einen Beitrag geschickt., den wir im Folgenden abdrucken.

Moers / Berlin Für unsere Serie "Moerser in Berlin" haben wir unseren Berliner Gesprächspartnern freigestellt, ob sie uns ihreBeziehung zu ihrer Heimatstadt in einem Interview schildern oder selbst beschreiben wollen. Helmut M. Bien, ehemals selbst als freier Mitarbeiter einer Moerser Lokalzeitung unterwegs, hat uns einen Beitrag geschickt., den wir im Folgenden abdrucken.

"Das Naturbad "Bettenkamper Meer" ist der Ort, an dem aus Menschen waschechte Moerser werden. Jedenfalls für mich. Jedes Jahr versuche ich mindestens einmal diese Taufe zu erneuern. Oft mit Gänsehaut und blauen Lippen. Die Moerse ist eben kein Solimare. Und der Bodycheck mit der Heimat hat seinen Preis: Nur um die 20 Grad, Enni sei dank.

In meinen Kinderaugen war Bettenkamp wirklich ein Meer. Dort schwammen Karpfen im Schlamm, tolle Hechte nicht nur auf der Liegewiese - und Wasserpflanzen griffen nach den Beinen. Mit der Rutschbahn landete man im Unbestimmten, ebenso der "Köpper" vom Sprungturm - ein Tauchgang ins Ungefähre. Mit zunehmendem Alter stellte sich heraus, dass die Bezeichnung "Meer" wohl doch eine dieser Übertreibungen von Hanns Dieter Hüsch gewesen sein dürfte. Seine bekannteste: "Der Niederrheiner hat von nichts eine Ahnung, kann aber alles erklären." Eine freiwillige Selbstbezichtigung des Moersers, die immer zuverlässig entwaffnend wirkt und den Übergang zum gemütlichen Teil erleichtert.

Die notorische Unernsthaftigkeit im Umgang mit sich selbst ist vielleicht das Beste, was man in Moers, der kleinsten Großstadt Deutschlands, lernen kann. Das Große wird klein und das Kleine ist größer als gedacht. So sind Moerserinnen und Moerser bestens auf den Sprung, sagen wir mal nach Berlin, vorbereitet. Vieles, was in Berlin groß erscheint, ist dann, wenn man erst mal da ist und hinter die Kulissen schaut, viel kleinlicher. Auch die Kapitale teilt sich in einer Ansammlung von Dörfern, in Berlin Kieze genannt. Ein Kiez kann schnell engstirniger sein als Hülsdonk oder ebenso aufregend wie Schwafheim. Moers mit Burkhard Hennen's Jazz-Festival, dem kleinsten Stadttheater Deutschlands mit flamboyanten Heroen wie Holk Freytag oder Gudrun Landgrebe, dem gepflegten Schlosspark und seinen liederlichen Kifferwiesen, der undergroundigen Röhre oder dem frühen Hipster-Café des Art, hat den Moersern einen Kompass in die Hand gegeben. So schnell kann einen Moerser nichts bange machen. Er hat schon einiges gesehen jenseits von Oermter Berg und Bislicher Insel.

Wer in Moers seine Kinder- und Schulzeit ausgekostet hat, hat im Kleinen das Große studieren können. Auf Trümmergrundstücken in Bunker geklettert, am Gerüst der Gasanstalt rumgeturnt, mit Freunden auf dem Schrottplatz am Bahnhof Autorennen nachgestellt, in Bäckereien mit Tortenpappen gegen Wespen gekämpft, die sich auf die Blechkuchen zur Moerser Kirmes stürzten, mit dem Kinderrad fast nach Krefeld gefahren, später gleich vom Konfirmandengottesdienst in den Jugendfilmclub, kurzzeitig den Schlüssel zum Pulverhäuschen neben dem Schloss in der Tasche gehabt, anschließend wenigstens großes Latinum und Graecum.

Politisch habe ich mich für das selbstverwaltete Jugendzentrum in der Kastellschule eingesetzt, war sachkundiger Bürger des Stadtrats und bin mit Moerser Stadtverordneten ins Amsterdamer Paradiso gefahren auf der Suche nach Vorbildern für Moers. Das muss man sich mal vorstellen! Alles war möglich damals im Moers-Programm der 70er Jahre. Sogar ein Ferien-Volontariat bei dem legendären Moerser-Lokalzeitungschef Georg Häckel.

In jenen Jahren begann der Pendelverkehr zwischen Moers und Berlin, der bis heute anhält und auch die Moerser in Berlin verbindet. Die landsmenschliche Verbindung des "Hö,ma" und "Sach ma" schafft eine Nähe und Vertrautheit, die sich jederzeit abrufen lässt und dafür sorgt, dass du bei nächsten Klassentreffen genau neben dem Menschen zu sitzen kommst, mit dem du auch auf der Schule schon die Bank geteilt hast. Das Gespräch setzt an dem Punkt ein, an dem es vor Jahren leer gelaufen war.

Die Bonner haben in Berlin eine eigene Botschaft, die Schwaben sind berüchtigt für ihren Hang zu Immobilien. Der Prenzlauer Berg steht kurz vor Einführung der Kehrwoche. Die Moerser wirken da eher im Hintergrund. Wir haben den Schlüssel zu Albert Einsteins Ferienhaus in Caputh oder die Taz mitgegründet oder können den Nahen Osten erklären, eben so Sachen, für die der liebe Gott den Moerser erschaffen hat."

Bien legte 1976 am Adolfinum das Abitur ab. Er studierte Philosophie und Pädogik in Berlin, arbeitete als Reporter beim Rundfunk und Ausstellungsmacher bei den Berliner Festspielen. Heute besitzt er seine Firma, die Ausstellungen und Festivals organisiert. Auch wieder im Rheinland, zuletzt eine vielbeachtete Licht-Installation in der Silvesternacht auf der Kölner Domplatte.

(RP)
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