Moers Büchner im multimedialen Rausch

Moers · Björn Gabriel entzündet mit seiner Inszenierung von Büchners als Lustspiel verkleidete Gesellschaftskritik "Leonce und Lena" eine akustisch-visuelle Bühnenshow. Der Funke springt aber nicht über. Gabriel überfrachtet das Stück.

 Frank Wickermann gibt in der mit Videosequenzen gespickten Inszenierung von Björn Gabriel den Elder Statesman. Er schlüpft aber auch in die Rolle von Rosetta, der von Leonce verschmähten Liebe.

Frank Wickermann gibt in der mit Videosequenzen gespickten Inszenierung von Björn Gabriel den Elder Statesman. Er schlüpft aber auch in die Rolle von Rosetta, der von Leonce verschmähten Liebe.

Foto: Schlosstheater/Jakob Studnar

Zuckende Lichtblitze, surreal wirkende Videosequenzen und eine akustische Untermalung, die von Klassik bis Pop/Rock, von knarzend bis brausend das Spiel auf der Bühne begleitet: Regisseur Björn Gabriel greift für seine Inszenierung von Georg Büchners "Leonce und Lena", die am Samstag Premiere im Schloss feierte, oft und tief in die multimediale Trickkiste. Er schafft ein großes Getöse, das jedoch nicht wirklich funktionieren will. Schnell entsteht der Eindruck, dass Büchners Text nur beliebige Vorlage für eine grelle und überzeichnete Show ist. Dazu hat Björn Gabriel, der sich als Schauspieler und Regisseur an Theatern in der Region einen guten Namen gemacht hat, ein multitalentiertes Team aus seinem Theaterkollektiv "Sir Gabriel Dellmann" nach Moers mitgebracht.

Die Inszenierung, die letzte in der aktuellen Spielzeit, wirkt schrill, ist ein bisschen mit Elementen der Pop-Kultur gewürzt und setzt auf die surreale Verfremdung. Aber Büchner ist drin. Und darauf weist der Regisseur sein Publikum auch gerne deutlich hin, wenn er die Schauspieler zu Beginn erklären lässt, dass es gleich Büchner geben wird mit dem Zusatz "Weltliteratur". Gabriel hat Büchners Text, eine als ein Lustspiel verkleidete böse Politsatire auf gesellschaftliche Stagnation und die Kleinstaaterei seiner Zeit abgespeckt, das Figurenpersonal um die Königskinder, die das Leben als fad, langweilig und ohne Inhalt empfinden, stark reduziert und eine neue Instanz geschaffen.

Es handelt sich um eine Stimme (Anna Marienfeld) aus dem Nichts, die sich donnergrollend einmischt, die Schauspieler auf der Bühne auffordert, ihre "Rollen zu mimen, wie es das Stück verlangt", die Szenen zu spielen, die an der Reihe sind. Im Programmheft wird sie als "Über-Ich" aufgeführt. Zuweilen dringt sie wie aus einem Höllenschlund empor, um dann nur wie ein Abklatsch der verzerrten Stimme aus dem Big-Brother-Container zu klingen.

Frank Wickermann gibt in der Inszenierung den Elder Statesman, der das Geschehen analysiert und Meinung formuliert, am Ende aber lieber nicht mehr öffentlich denkt. Dann muss er auch nicht wie ein Galeerensklave die drehbare Bühne, die Steffi Dellmann mit einem Gerüst ausgestattet hat, unter den Peitschenhieben von Lena und Valeria in Bewegung setzen. Marissa Möller (Lena) und Magdalene Artelt (Valeria) treten in Korsage auf, wirken wie zwei Domina und kommen wie ziemlich fuchtige Weiber rüber.

Die Annäherung zwischen den Frauen (auch bei Leonce und seinem Valerio) scheint für Regisseur Gabriel hier das probate Mittel zu sein, um zu veranschaulichen, wie eine gelangweilte Gesellschaft mehr Lebenswürze zu finden hofft. Leonces Reise nach Italien inszeniert Regisseur Gabriel gleich als einen Trip im wirren, albtraumartigen und mit der Zeit auch enervierenden Drogenrausch. Oder wie Patrick Dollas als Valerio süffisant dem goldbestrumpften Leonce (Matthias Heße) erklärt: "Welcome to the pleasure."

Die Inszenierung räumt dem Medium Video, für das Anna Marienfeld, Björn Nienhuys und Tilmann Oesterreich zuständig sind, viel Aufmerksamkeit ein. Phasenweise gibt es kein frontales Spiel auf der Bühne, sondern nur Gedrehtes auf der weißen Lamellenwand.

Die Inszenierung ist kurz, dauert anderthalb Stunden. Und am Ende darf Marissa Möller in Abwandlung zu Büchner erklären, dass man die "Standhaftigkeit des Publikums auf die Probe gestellt habe": "Sie dürfen jetzt gerne nach Hause gehen." So mancher ist dieser Aufforderung sicher gerne gefolgt.

Nächste Vorstellung: Donnerstag, 14. April, 19.30 Uhr, im Schloss.

(RP)
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