Nicole Füngerlings "Der Tod, mein Kollege im Leben"

Moers · Nicole Füngerlings aus Geldern ist Sterbeamme. Sie begleitet Kinder und Jugendliche, deren Eltern oder Geschwister gestorben sind. Sie setzt auf Ehrlichkeit und klare Worte. Aktuell begleitet sie ein Projekt an der Sekundarschule Straelen.

 Der Tod ist ein guter Bekannter für Nicole Füngerlings: Sie beschäftigt sich tagtäglich mit ihm. Und sie kann dabei noch lachen.

Der Tod ist ein guter Bekannter für Nicole Füngerlings: Sie beschäftigt sich tagtäglich mit ihm. Und sie kann dabei noch lachen.

Foto: Markus van Offern

Werden Kinder und Jugendliche überhaupt mit dem Tod konfrontiert? Wenn es gut geht, dann doch höchstens mit dem Tod der Großeltern, oder?

Nicole Füngerlings Ja, wenn es gut geht, dann ist es so. Ich begleite vor allem die erschwerte Trauer. Davon spricht man, wenn Geschwisterkinder sterben oder ein Elternteil verstirbt, durch Krankheit, Mord, Suizid oder wenn ein Kind bei der Geburt verstirbt.

Warum heißt das "erschwerte Trauer"?

Füngerlings Weil dieser Tod schwieriger / anders zu verarbeiten ist. Wenn man von einer Reihenfolge ausgeht, die die meisten Menschen im Kopf haben, dann sind die Großeltern aufgrund ihres Alters dem Tod am nächsten. Wenn Oma und Opa sterben, dann gibt es innerlich eine andere Akzeptanz, ein Verständnis. Die Angehörigen sind selbstverständlich auch sehr traurig! Doch ich beobachte, dass sich dieser Verlust, anders und selbstverständlicher in das neue Leben ohne den Verstorbenen einreiht. Wenn aber Geschwister oder Eltern sterben, dann stehen viele Warum-Fragen im Raum, viel Angst, Zorn und Wut und eine unglaublich große Sehnsucht zum Verstorbenen, sowie auch existenzielle Sorgen.

Trauern Kinder und Jugendliche anders als Erwachsene?

Füngerlings Es kommt immer auf das Alter an. Grundschulkinder sind da sehr pragmatisch. Sie stellen Fragen, wollen wissen, wann man tot ist und wo man hinkommt. Wenn Kinder älter werden, verändert sich das. Schon Elf-, Zwölfjährige kommen der Erwachsenentrauer unglaublich nah.

Das bedeutet?

Füngerlings Es gibt die ganze Palette von Reden-wollen und Nicht-reden-wollen, sich total in die Schule reinknien - Erwachsenen stürzen sich dann in die Arbeit, oder dass Drogen ganz aktuell werden können - Erwachsene greifen in solchen Fällen dann manchmal zu Schlaftabletten oder Stimmungsaufhellern. Und dann ist da noch Wut, vor allem auf Gott. Er wird dafür verantwortlich gemacht und der ganze Lebenssinn in Frage gestellt.

Was hilft?

Füngerlings Im Prinzip gibt es kein Patentrezept, das ist das Erste. Ich muss gucken, wo kommt der andere her, wie ist er vorher mit Krisen umgegangen. Was Kindern und Jugendlichen gut tut, ist, sie bei den Stärken packen und eine direkte, klare Sprache sprechen. Ich darf die Dinge beim Namen nennen: "Ja, da ist eine Riesen-Scheiße passiert, und nun wollen wir mal schauen, ob wir daraus etwas Heilsames entstehen lassen können." Ich plädiere immer für Ehrlichkeit. Es hilft alles wie bei Erwachsenen: zuhören und einfach auch mal nichts sagen. Nichts überstülpen, sondern die Kinder und Jugendliche in ihrem Tempo begleiten, Angebote machen. Zugreifen dürfen sie selbst.

Welche Schritte können Jugendliche gehen?

Füngerlings Was hilft, ist der Austausch mit Experten oder Menschen, die von außen auf die Situation schauen, also nicht auch in der Trauer mit drin stecken. Es ist gut, mit Menschen zu sprechen, die auch schon eine Krise gemeistert haben oder auch mit Jugendlichen, die ähnliches erlebt haben. Mit denen kann man Dinge besprechen, etwa, wie sie jetzt Weihnachten feiern, wie sie den Alltag verbringen, weil Mama vielleicht nach dem Tod des Vaters mehr arbeiten gehen muss. Plötzlich ist alles anders, der Alltag, das Festefeiern. Die Jugendlichen können sich untereinander Hilfestellungen geben. Aus diesem Grund, starte ich im April auch die Trauergruppen.

Gibt es einen Unterschied zwischen Jungen und Mädchen?

Füngerlings Ja, Mädchen reden tendenziell mehr. Gute Gespräche sind wichtig.

Was wäre ein guter Einstieg für ein Jungengespräch?

Füngerlings Gut ist zum Beispiel, wenn man zusammen zum Fußballplatz geht. Voraussetzung ist, dass der Junge gerne Fußball spielt. Erst einmal eine Runde kicken, ohne mit der Tür ins Haus zu fallen und ihn direkt auf den Verlust anzusprechen. Das wäre kein guter Einstieg. Auf Youtube gibt es Kurzfilme von Sarah Benz, die richtig gut erklären, was zum Beispiel ein Hospiz ist oder wie eine schöne Trauerfeier aussehen kann. Sarggeschichten heißen die und sind sehr empfehlenswert.

Gibt es praktische Dinge, die beim Trauern helfen?

Füngerlings Es hilft, die Trauer "materiell" werden zu lassen. Das, was im Kopf herumschwirrt, also in den Ausdruck zu bringen. Nicht über Worte, sondern über das Tun. Manchmal ist es gut, einen Brief an den Verstorbenen zu schreiben, wenn Sachen noch geklärt werden müssen. Eine gute Tradition ist das Seelenbrett. Noch im 18. Jahrhundert wurden die Toten in Süddeutschland auf einem Brett zum Friedhof getragen. Das Brett wurde zur Erinnerung zu Hause aufgestellt, und die Familie erinnerte sich auf diese Weise an den Verstorbenen. Auf so einem Brett kann ich zum Beispiel malen, was dem Verstorbenen wichtig war, und so eine Verbindung herstellen, und während des Malens komme ich sehr gut mit den Jugendlichen in den Austausch. Manche schaffen das schon während sie noch leben, diese Verbindung herzustellen, eine Tröstung schon im Leben zu geben. Bereits vor dem Tod kann schon darüber gesprochen werden, wie es einmal sein wird, wenn die Mutter oder der Vater verstorben ist. Voraussetzung ist wieder, dass alle bereit dazu sind, solche Gedanken zuzulassen.

Sollte generell mehr über den Tod in der Familie gesprochen werden?

Füngerlings Ja, bitte unbedingt! Nicht nur in Familien, sondern auch in Kindergärten und Schulen, dann bekommt das Thema Tod vielleicht die Normalität zurück, das es mal hatte. Ich starte dazu, zusammen mit einer Kollegin, ein siebenwöchiges Projekt an der Sekundarschule Straelen mit dem Thema "Der Tod- Mein Kollege im Leben".

Ist der Tod denn normal?

Füngerlings Ich finde den genauso normal wie das Geboren-Sein. Der Tod ist das einzig Sichere im Leben. Was vom ersten Atemzug bis zum Schluss passiert, das wissen wir nicht, aber der Tod kommt, bestimmt. Und somit haben wir alle eine "Diagnose", auch wenn viele Menschen so leben, als wenn das nicht so wäre.

DIE FRAGEN STELLTE BIANCA MOKWA.

(RP)
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