Moers Dokument eines historischen Finanzskandals

Moers · Die Sparkasse am Niederrhein hat ihr Archiv an den Ostring verlegt. Dabei tauchte ein Dokument auf, das eine Tragödie dokumentiert.

 Der Auszug aus dem Urteil (rechts) lagerte im Archiv des alten Sparkassengebäudes (links), bevor die Sparkasse an den Ostring umzog.

Der Auszug aus dem Urteil (rechts) lagerte im Archiv des alten Sparkassengebäudes (links), bevor die Sparkasse an den Ostring umzog.

Foto: Stadtarchiv

Abraham Lipken war, nach allem was von ihm überliefert ist, ein gottesfürchtiger Mann. Das kann wohl nicht ausbleiben, wenn man im Jahre des Herren 1805 im pietistischen Elberfeld zwei Tage vor Weihnachten das Licht der Welt erblickt. Und dass es so einen, der gut protestantisch erzogen wurde nach Moers verschlug, nimmt auch nicht weiter wunder. Schließlich war die ehemalige Grafenstadt samt den zur ehemaligen Grafschaft zählenden Gemeinden eine der wenigen evangelischen Enklaven am ansonsten durchgehend katholischen Niederrhein.

Als Lipken nach Moers zog, fand er dort ein verschlafenes Provinzkaff vor, kaum halb so groß wie das heutige Rheurdt. Die Gegend war arm, geprägt von Landwirtschaft und der vor allem von Krefeld aus sich verbreitenden Hausweberei. Wie im gesamten übrigen Preußen wurden damals auch am Rhein Sparkassen gegründet, die vor allem den ärmeren Bevölkerungsschichten die Möglichkeit bieten sollten, verzinstes Geld für Notzeiten zurückzulegen Und so wurde am 18. März 1845 die Sparkasse Moers eröffnet.

Erster Kunde war Pastor Gerhard Franz Drießen, Pfarrer in der katholischen St.-Josef-Gemeinde, der die stolze Summe von 40 Talern einzahlte. Den ersten Kredit in Höhe von 30 Talern erhielt Gottfried Heckes aus Uettelsheim. Erst gut zwei Wochen später hatte die Sparkasse ihren ersten Rendanten (Kassenführer), eben jenen Abraham Lipken, der zu jener Zeit wohl schon einige Jahre in Moers gelebt haben muss. 1841 war Lipken ein Sohn, Peter Heinrich Engelbert, geboren worden, zwei Jahre später hatte ihn die Versicherungsgesellschaft "Colonia" zu ihrem Vertreter in Moers ernannt. Und laut Chroniken war er zum Zeitpunkt seiner Amtseinführung als Rendant Mitglied des Gemeinderats.

Sein erstes Gehalt betrug 50 Taler. was damals durchaus auskömmlich war. Ohne den aus Kaufleuten und Gutsbesitzern bestehenden Vorstand konnte Lipken nicht einmal eine Eintragung ins Sparkassenbuch vornehmen.

Dazu bedurfte es vier Unterschriften und eines Siegelabdrucks. Ende 1845 hatte die Sparkasse 2512 Taler an Einlagen in den Büchern stehen. 15 Jahre später hatte sich die Einlagensumme verzehnfacht. Zu den treuen Sparkassenkunden gehörten insbesondere Handwerker und Kleinunternehmer. Abraham Lipkens Gehalt stieg auf insgesamt 125 Taler.

1860 aber ging ein Schreiben des Beigeordneten der Stadt beim Königlichen Landgerichts-Präsidenten ein. Der Vertreter der Stadt Moers sprach von "groben Unregelmäßigkeiten" und "schlimmen Befürchtungen" und forderte eine "extraordinaire" Revision. Eine vorläufige Prüfung der Bücher habe einen "Defekt von 1177 Talern und 10 Silbergroschen" ergeben. Die Untersuchung lief an und brachte einen Finanzskandal bislang nicht dagewesenen Ausmaßes ans Tageslicht: Der Rendant Abraham Lipken hatte nicht weniger als 12.500 Taler unterschlagen. Am 26. Januar 1860 wurde Abraham Lipken verhaftet. Noch im selben Jahr wurde ihm der Prozess gemacht. Abschriften der Prozessakten befinden sich im Archiv der Stadt.

In einer Zeugenaussage heißt es: "Lipken hat bisher einen guten Ruf genossen, und hat ihn niemand solcher Schlechtigkeit für fähig gehalten, was auch schon daraus erhellt, daß er bis in die neueste Zeit Ältester im evangelischen Kirchenrat und seit Jahren Mitglied der Stadtverordnetenversammlung war. Jetzt erfährt man jedoch immer mehr, daß er seit längere Zeit sich dem Übergenuß geistiger Getränke ergeben hatte. Seine Vermögensverhältnisse stellen sich natürlich als schlecht heraus. Er ist Witwer, hat fünf Kinder, von denen drei noch zu Hause sind." Der Prozess offenbarte ein gravierendes Versagen aller Kontrollorgane. Zeitweise wurden sogar Forderungen laut, die Sparkasse zu schließen. Angesichts der zahlreichen Betroffenen wollte man sich dazu doch nicht durchringen.

Am 13. Juni verurteilte das Landgericht in Cleve Abraham Lipken zu drei Jahren Haft. Zur Begleichung des Schadens wurden seine Angehörige, die Verwaltung der Sparkasse und die Stadt Moers herangezogen. Dennoch blieb ein Fehlbetrag.

Doch auch der wurde beglichen. Neun Jahre nach dem Prozess ging bei der Moerser Stadtverwaltung ein Schreiben des inzwischen 28-jährigen Peter Heinrich Engelbert Lipken ein. Aufgegeben war das Schreiben am anderen Ende der Welt: in Tamaya, Chile. Dort hatte es Lipken junior in den Kupferminen zu Wohlstand gebracht- Er teilte der Stadtverwaltung mit, dass er mit gleicher Post die noch ausstehende Summe überweise, so dass alle Gläubiger befriedigt werden konnten.

Später kehrte der Lipken-Sohn nach Deutschland zurück. Er starb im Alter von nur 42 Jahren in Mülheim an der Ruhr. Was aus seinem Vater wurde, ist nicht bekannt. Aus der Moerser Stadtsparkasse wurde nach vielen Zwischenstationen und Zusammenschlüssen eines der größten Kreditinstitute am Niederrhein.

(RP)
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