Serie Die Schätze im Schloss (Ende) Ein Blick in das 20. Jahrhundert

Moers · Zum Abschluss der Serie schaut die Leiterin des Grafschafter Museums, Diana Finkele, in das Moers des vergangenen Jahrhunderts. Es war gekennzeichnet durch Kriege, Neuanfänge, das Wirtschaftswunder und kulturelle Errungenschaften.

 Die Gemälderestauratorin Ingrid Jansing-Perret nimmt letzte Arbeiten am Kaiser-Wilhelm-Bild vor.

Die Gemälderestauratorin Ingrid Jansing-Perret nimmt letzte Arbeiten am Kaiser-Wilhelm-Bild vor.

Foto: Klaus Dieker

Moers Mit soldatischem Blick schaut Kaiser Wilhelm II. in die Zukunft des 20. Jahrhunderts: ein Jahrhundert der Weltkriege. Sein Fall machte den Weg für die Demokratie frei - auch wenn sie zunächst nicht lange hielt. Das Kaiserbild befand sich einst im alten Kreishaus am Kastell. Als man dort keine Verwendung mehr für das Gemälde - und den Kaiser - hatte, kam es in das Grafschafter Museum.

Mit Kaiser Wilhelm II. kam der 1. Weltkrieg. Die Hoffnungen auf einen schnellen Sieg verflogen rasch. Die Lebensmittel wurden knapp, im Steckrübenwinter 1916/17 wurde die Steckrübe zum Kartoffelersatz, jede Ratsversammlung in Moers begann bald mit dem Gedenken an die gefallenen Moerser Bürger.

In Berlin musste Kaiser Wilhelm II. abdanken, in Moers akzeptierte Bürgermeister Fritz Eckert den hiesigen Arbeiter- und Soldatenrat nur widerwillig. Im Zuge des verlorenen Krieges und der Rheinlandbesetzung kamen die Belgier nach Moers und blieben bis 1926.

Nur sieben Jahre später bahnte sich die nächste Katastrophe an: Am 30. Januar 1933 ernannte Reichspräsident von Hindenburg den Führer der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei Adolf Hitler zum Reichskanzler. Die folgenden zwölf Jahre Naziherrschaft brachten Krieg und Terror über ganz Europa.

Zwar war Moers mehrheitlich national-konservativ, doch durch seine Zechensiedlungen hatte Moers eine vergleichsweise starke kommunistische Bewegung, auch die Sozialdemokratie hatte insbesondere unter der Arbeiterschaft große Anhängerschaft. In den 1920er- und beginnenden 1930er-Jahren erstarkte auch in Moers der Nationalsozialismus und dominierte bald.

Schon 1933 wurden Mitglieder der KPD und führende Sozialdemokraten in "Schutzhaft" genommen. Bis 1945 wurden im Moerser Stadtgebiet 151 KPD-Mitglieder verhaftet, 13 von ihnen starben in Konzentrationslagern und Zuchthäusern. 51 SPD-Angehörige wurden interniert, drei von ihnen wurden im Gefängnis ermordet. Auch Zentrumspolitiker wie beispielsweise Ernst Holla wurden von den Nationalsozialisten verfolgt. Die Deportation der jüdischen Moerser begann am 10. Dezember 1941 vor der Gastwirtschaft "Steinschen" in der Hülsdonker Straße. Aus dem Synagogenbezirk Moers wurden bis Kriegsende rund 180 Männer und Frauen ermordet.

Ob Nazi, Mitläufer oder Gegner: Auch der alliierte Bombenkrieg prägte den Alltag der Menschen in Moers. Zunächst vereinzelte Bombenangriffe gipfelten in mehr als 500 Bombenalarmen im Jahr 1944. Bittere Ironie der Geschichte: Gerade der Stadtteil von Moers, in dem es den meisten Widerstand gegen das NS-Regime gegeben hatte, hatte am meisten unter dem Bombenkrieg zu leiden: Die "Arbeiterkolonie" Meerbeck. Am 2. März starben bei einem Angriff auf das Treibstoffwerk 78 Menschen - zwei Tage bevor der Krieg in Moers mit dem Einmarsch der Alliierten beendet war. Spätestens jetzt kam das gesamte Ausmaß der nationalsozialistischen Verbrechen ans Licht: Die Menschen standen vor den Trümmern ihrer Häuser und ihrer Vergangenheit.

Die Währungsreform 1948 und die Einführung der Marktwirtschaft legten Anfang der 1950er-Jahre die Grundlage für das ab 1952 einsetzende "Wirtschaftswunder". Für Freizeit und Kultur war wieder Raum: Märchenumzüge und Parkfest erfreuten die Menschen in Moers. Ein Träger der Moerser Kultur war die 1949 gegründete Moerser Kulturgemeinde. Die Stadt unterstützte den Verein finanziell. So hoffte man, "mit den billigsten Mitteln kulturelle Leistungen" zu erzielen. Das Kalkül ging in den frühen 1950er-Jahren durchaus auf.

Doch nicht alle Moerser fanden sich in diesen Kulturangeboten wieder. Bereits 1945 hatte sich eine lockere Vereinigung aller schwarzen Schafe aus Moers zum Studio 45 zusammengefunden. Sie spielten Theater, veranstalteten Lyrikabende. Zwei der "schwarzen Schafe" waren Hanns Dieter Hüsch und sein Freund Theo van Alst. Den meisten Moersern war der Club allerdings suspekt. Hanns Dieter Hüsch verließ Moers, andere Kulturaktivisten blieben.

Die Sozialistischen Bildungsgemeinschaft Moers und die Sozialistische Jugend Die Falken versuchten, frischen Wind in die Kulturszene in Moers zu bringen. Besonders rührig war der Falken-Sekretär Werner Röhrich (später Landrat im Kreis Wesel). Um ihn scharte sich die "Moerser Avantgarde", zu der auch der theaterbegeisterte Holk Freytag gehörte. Unter seiner Leitung lud das Schultheater am 14. Oktober 1969 mit Brechts Furcht und Elend des Dritten Reiches zur ersten Premiere in das Gemeindehaus an der Bankstraße. Auf der Schauspielbühne begann, womit sich die Stadtgesellschaft lange schwer tat: die Aufarbeitung der Vergangenheit.

Das Schultheater mauserte sich zum Schlosstheater. Die Bereitschaft, öffentliche Gelder in Kultur zu investieren, war in den 1970er-Jahren groß. "Nach der Kanalisation kam die Kultur", pointierte später der Kölner Stadt-Anzeiger.

Jazz-Enthusiasten um Burkhard Hennen bevölkerten ab 1972 den Moerser Schlosshof - das Moerser Jazz-Festival war geboren. Nackte Bacchantinnen auf der Schlosstheaterbühne, langhaarige Jazzfreaks im Schlosshof - der kulturelle Aufbruch der 1960er- und 1970er-Jahre hätte Kaiser Wilhelm sicherlich schwindelig gemacht. Doch zu dieser Zeit setzte sein Gemälde in den Depots bereits kräftig Staub an: Bis 1965 lagerte es auf dem Dachboden des Moerser Schlosses, später in einem Kellerdepot. 2014 konnte der Grafschafter Museums- und Geschichtsverein gewonnen werden, die Kosten für die Restaurierung zu übernehmen. Nun strahlt Wilhelm wieder und wartet darauf, über Geschichte und Katastrophen des 20. Jahrhunderts zu berichten.

MIT DIESEM AUSBLICK ENDET UNSERE SERIE. DOCH NICHT NUR WILHELM HÄTTE NOCH EINIGES ZU ERZÄHLEN.

(RP)
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