Serie Grafschafter Museum und Rheinische Post präsentieren die Schätze im Schloss Eine Liebesgeschichte in Stein gemeißelt

Moers · Die Inschrift eines Grabsteins im Grafschafter Museums erzählt von einer ganz großen Liebe im römischen Grenzlager Asciburgium um das Jahr 20 nach Christus. Dort lebte die Künstlerin Polla Matidia. Ihr Herz gehörte Lucius Iulius.

 Unsere Gastautorin Diana Finkele, Leiterin des Grafschafter Museums, zeigt den Grabstein der Polla Matidia.

Unsere Gastautorin Diana Finkele, Leiterin des Grafschafter Museums, zeigt den Grabstein der Polla Matidia.

Foto: Klaus Dieker

Als der Amtsgerichtsrat und Heimatforscher Hermann Boschheidgen am 19. April 1906 nach Asberg gerufen wurde, war es fast schon zu spät: Kinder hatten mit einer Spitzhacke den Stein bereits zerschlagen. Quasi in letzter Minute hatte der Asberger Bürger Johann Liesen die Kinder gestoppt und sie auf den Wert des Steines aufmerksam gemacht. Damit rettete Johann Liesen nicht nur einen fast zwei Jahrtausende alten Grabstein.

Er bewahrte auch eine traurige Liebesgeschichte vor dem Vergessen: Um das Jahr 20 n. Chr. lebte die Künstlerin Polla Matidia in dem römischen Grenzlager Asciburgium. Sie trug den Künstlernamen Olymphia und war Schauspielerin, Sängerin oder Tänzerin. Ihr Herz gehörte dem Legionsveteran Lucius Iulius. Er war um die 50 Jahre alt und stammte aus Italien. In Asciburgium verbrachte er seinen Ruhestand mit seiner Polla, der er vermutlicher hierher gefolgt war.

Doch ihr Glück dauerte nicht lange. Um das Jahr 25 n. Christus verstarb die junge Frau im Alter von 30 Jahren. Was brachte die beiden vor rund 2000 Jahren in die entlegene Gegend am Niederrhein? Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. waren die Römer unter Julius Caesar auf ihren Eroberungszügen an den Niederrhein vorgedrungen. Sie unterwarfen, verdrängten oder vernichteten die dort ansässige Bevölkerung, sofern sich die Leute nicht dem römischen Lebensstil anpassen wollten.

Um die Grenze zwischen dem Römischen Reich im Westen und den verschiedenen, später als "Germanen" bezeichneten Stämmen, zu bewachen, errichteten die Römer um das Jahr 16 v. Chr. an einem Altarm des Rheins ein Militärlager im heutigen Moers-Asberg: Asciburgium. Außerhalb der befestigten Mauern des Kastells entwickelte sich bald ein Lagerdorf. Hier gab es Tavernen, in denen die Soldaten bei Wein, Würfelspiel und weiblicher Gesellschaft ihre Freizeit verbrachten.

Ebenso lebten hier Handwerker und Händler und Veteranen mit ihren Familien. Das war der Ort, an dem auch Polla mit ihrem Lucius Iulius lebte. Sie tanzte oder sang für die Soldaten. Beide hatten ein gutes Auskommen, denn nach seiner 25-jährigen Dienstzeit in der römischen Armee hatte der Veteran eine beachtliche Geldsumme oder ein Landstück erhalten. Zum Gedenken an seine Polla ließ Lucius Iulius einen teuren und aufwendigen Grabstein herstellen.

Er zeigt die Künstlerin mit Sola und Palla, ein mantelartiges Tuch, das sie über den Kopf gezogen hat. Neben ihr liegt ihr Hund, der ein Halsband trägt. Da der Veteran und Polla nicht verheiratet waren, wäre er nicht verpflichtet gewesen, für das Begräbnis zu sorgen. Dennoch finanzierte er den aufwendigen Grabstein - aus Zuneigung. Und so wissen wir um die Geschichte der beiden. Denn die übersetzte Inschrift verrät sie: Polla Matidia, genannt Olymphia, 30 Jahre alt, liegt hier begraben.

Lucius Iulius, Sohn des Lucius, aus dem Stimmbezirk Falerna, Veteran der 2. Legion (mit dem Beinamen) Augusta, hat mit seinem Geld besorgt, was zu machen war. Hermann Boschheidgen ließ die Bruchstücke des Steins zusammensetzen. Als 1908 das Grafschafter Museum im Moerser Schloss eröffnet wurde, war der Grabstein eines der Prunkstücke. Seit mehr als 100 Jahren steht er im Museum und erzählt die traurige Liebesgeschichte von Polla Matidia und Lucius Iulius.

(RP)
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