Moers Erinnerungen an den "Erlöser" Dutschke

Moers · "Hörsturz" in der Röhre: Schlosstheater-Schauspieler Patrick Dollas beleuchtete zum 50. Jahrestag des Attentats auf Rudi Dutschke das Leben des 68er-Studentenführers.

 Patrick Dollas und Lea Entezami in "Rudi Dutschke - Erlöser". Die szenische Lesung in der "Röhre" fand genau 50 Jahre nach dem Attentat auf den Studentenführer Dutschke (links,) statt. RP-Foto: Klaus Dieker

Patrick Dollas und Lea Entezami in "Rudi Dutschke - Erlöser". Die szenische Lesung in der "Röhre" fand genau 50 Jahre nach dem Attentat auf den Studentenführer Dutschke (links,) statt. RP-Foto: Klaus Dieker

Foto: Ullstein-Bild/Mehner

"Rudi Dutschke - Erlöser" hatte Patrick Dollas seine szenische Lesung im Rahmen der Reihe "Hörsturz" in der Szenekneipe "Röhre" betitelt. Dabei ließ der Schauspieler des Schlosstheaters Moers offen, ob er den Gedankenstrich verbindend oder trennend gelesen haben wollte. Oder beides? Der Schauspieler arbeitete ironisch "Parallelen" zwischen dem Leben des des sozialistischen 68er-Studentenführers und des Erlösers Jesus Christus heraus - genau 50 Jahre und zwei Stunden nach dem Attentat auf Rudi Dutschke am 11. April 1968.

Beide seien in ländlichen Städten aufgewachsen, Jesus Christus in Nazareth, Dutschke in Luckenwalde südlich von Berlin. Beide hätten mit gut 30 Jahren in Großstädten eine Anhängerschaft um sich versammelt, der eine in Jerusalem, der andere in Berlin. Beide seien Revolutionäre gewesen, die gleichzeitig gefeiert und angefeindet gewesen seien.

So verteilte Patrick Dollas als Rudi Dutschke Palmzweige an die 60 Besucher, die zum 50. Jahrestag des Attentats von Rolf Bachmann in die "Röhre" gekommen waren, um umjubelt einziehen zu können, wie vor fast zwei Jahrtausenden Jesus von Nazareth eine Woche vor dem Paschafest in Jerusalem.

Der 39-jährige Schauspieler, der im thüringischen Suhl geboren und in der DDR sozialisiert wurde (wie Rudi Dutschke), wagte einen religiösen Blick hinter die "Ikone der Revolte", die Heiligabend 1979 elf Jahre nach dem Attentat an dessen Folgen starb. "Ein Gespenst geht um im Feuilleton", spielte er an das kommunistische Manifest von Karl Marx und Friedrich Engels von 1848 an. Er hauchte dieser Ikone Leben ein, diesem Abbild, dessen Inhalt mittlerweile entleert sei, wie das Abbild des lateinamerikanischen Revolutionärs Che Guevera, das überall auf T-Shirts zu finden sei.

Rudi Dutschke habe im Sozialismus des kalten Krieges die menschliche Wärme vermisst, die Nächstenliebe. So habe er den Sozialismus mit dem Christentum verbinden wollen. Der Schauspieler arbeitete heraus, wie Gretchen Klotz, Theologiestudentin in Berlin aus dem US-Bundesstaat Illinois, die am Dienstagabend in einigen Ausschnitten von Schauspielerin Lena Entezami dargestellt wurde, dieses Christentum verkörpert habe. Ebenso habe sie für die Gleichbehandlung von Mann und Frau gestanden, die es bei Versammlungen des sozialistischen deutschen Studentenbundes (SDS) nicht gegeben habe.

Rudi Dutschke habe an Gott geglaubt, zeigte Dollas anhand von Texten des sozialistischen Studentenführer und der Biografie "Wir hatten ein barbarisches, schönes Leben" von Gretchen Dutschke-Klotz auf, die Dollas mit Auszügen aus den Evangelien und eigenen Gedanken verband.

Diesen Glauben habe er verloren, als er am Ostersonntag, dem 11. April 1968, von Rolf Bachmann in Berlin angeschossen worden sei, mit drei Schüssen in die Wange, das Gehirn und die Schulter. Als er diese Szene nachstellte, spritzte auch etwas Theaterblut auf einige Zuhörer und Zuschauer, die am Dienstagabend gebannt die Lebensgeschichte des Revolutionärs verfolgten. "Wir sind alle Tote auf Urlaub", habe dieser gerne in Gästebücher eingetragen, angelehnt an den Kommunisten Eugene Leviné, der 1919 in den Unruhen der Münchener Räterepublik erschossen wurde.

(got)
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