Moers Ersatzmutter mit 26 Jahren

Moers · Steffi Hönig aus Wesel ist als junge Frau schon für das Leben von zehn Kindern verantwortlich. Zusammen mit anderen kümmert sich die Erzieherin im Evangelischen Kinderheim in Wesel um die Schwächsten unserer Gesellschaft.

 Foto: Ekkehard Malz

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Foto: Malz Ekkehart

Steffi Hönigs ist eine ganz normale junge Frau. Sie achtet auf ihr Äußeres, trägt Bluse, Jeans und an den Ohren mit Svarowski-Steinen besetzte Ohrringe. Ihre Nägel sind mit Klarlack lackiert. Und wenn sie lacht, bilden sich um Mund und Augen kleine Fältchen. Die 26-Jährige ist ein freundlicher Mensch. Sie wirkt wie jemand, der mit sich und der Welt im Reinen ist. Doch Steffi Hönig hat ein Problem - zumindest glauben das einige. Ihren Job. Sie ist Erzieherin im Evangelischen Kinderheim.

Vorurteile gehören für die junge Frau zum Alltag. Asozial, frech, psychisch gestört - das sind nur einige der Begriffe, die ihr täglich begegnen. "Bestenfalls halten solche Leute unsere Kinder für schwer erziehbar", sagt sie. Sie werde ständig gefragt, wie sie so einen Job überhaupt machen kann. Wie sie das aushalte. "Wenn ich so etwas zu hören bekomme, ärgere ich mich", sagt sie. "Die Menschen haben kein Bild davon, wie es bei uns wirklich zugeht." Aber sauer zu werden, bringe nichts. In solchen Fällen helfe nur Offenheit. Sie erkläre den Menschen dann, wie es im Kinderheim tatsächlich ist. Dass die Kinder völlig normal seien und was es für junge Menschen bedeute, von ihren Familien getrennt aufzuwachsen.

Steffi Hönig hat sich bewusst für die Arbeit mit Heimkindern entschieden. Nach ihrem Abitur am AVG ging sie zunächst für ein Jahr als Au-pair in die Vereinigten Staaten, bevor sie in Deutschland ihre Ausbildung zur Erzieherin begann. "Ich wusste damals schon, dass ich gerne mit Kindern arbeiten will", sagt die junge Frau. Ihre Familie habe sie dabei immer unterstützt. Sicherlich habe es auch mahnende Stimmen gegeben, vor allem von der entfernteren Verwandtschaft. "Ich bin häufiger gefragt worden, ob ich nicht lieber studieren will", erinnert sich Hönig. "Aber ich war damals zum Glück schon selbstbewusst genug, um an meinem Weg festzuhalten." Während ihrer Ausbildung machte sie dann Station im Kinderheim am Sophienweg. "Mir hat gefallen, wie nah sich die Leute hier alle sind. Wir vertraut und eng Betreuer und Kinder miteinander umgehen." Deshalb sei ihr die Entscheidung, nach dem Ende ihrer Ausbildung Heimbetreuerin zu werden, leicht gefallen. Im Evangelischen Kinderheim Wesel leben derzeit rund 40 Kinder, verteilt auf vier Gruppen. "Das hört sich jetzt erst einmal viel an", sagt Hönig. Im Alltag stellt sich das Ganze aber bei weitem nicht so drastisch dar." Die Kinder leben in Einzel- oder Doppelzimmern. "Sie haben also genug Raum, um sich zurückzuziehen. Darüber hinaus gibt es Gemeinschaftsräume, in denen alle zusammenkommen können."

Die Geschichten ihrer Schützlinge sind unterschiedlich. Einige kommen als Vollwaisen ins Heim, andere auf Anweisung des Jugendamtes. Die Mitarbeiter bekommen es immer wieder mit Geschichten von Verlust, Verwahrlosung und Gewalt zu tun.

Um den Kindern in ihrer schwierigen Situation ein möglichst normales Leben zu ermöglichen, setzen die Betreuer auf familiennahe Strukturen. "Das heißt: Es wird gemeinsam gefrühstückt, gelernt, gekocht, geputzt und gespielt", erläutert Hönig. "Es gibt feste Tagesabläufe und jedem Kind ist ein Betreuer als Bezugsperson zugeordnet. Auch wenn wir wissen, dass wir die echten Eltern niemals ersetzen können, soll sich das Heim für die Kleinen wenigstens anfühlen wie ein Zuhause." Nach der Schule und dem gemeinsamen Lernen haben die Kinder Freizeit. Und wie sie die gestalten, bleibt ihnen überlassen. "Manche gehen zum Reiten, andere wollen lieber Fußball spielen", sagt Hönig. "Und wir unterstützen sie dabei, soweit das möglich ist."

Es gibt natürlich auch schwere Zeiten. Neuaufnahmen sind besonders heikel. "Wenn Kinder aus den Familien genommen werden und bei uns ankommen, geht es ihnen oft erstmal sehr schlecht", weiß Hönig. "Wir hören uns ihre Probleme und Geschichten an und versuchen zu trösten." Das seien Erlebnisse, die man auch mit nach Hause nimmt. "Damit muss man leben können. Wer so etwas nicht abkann, für den ist der Job nichts." Zur Arbeit der Erzieher gehören auch administrative Aufgaben. Die Betreuer schreiben Berichte und besprechen sich mit den Eltern, denen zwar das Aufenthaltsbestimmungsrecht, nicht aber das Sorgerecht entzogen wurde.

Steffi Hönig hält ihren Job für wichtig. Es müsse Menschen geben, die sich um die Schwächsten der Gesellschaft kümmern, sagt sie. "Ich mache diesen Job unglaublich gerne". Ab schönsten sei für sie die ehrliche Dankbarkeit der Kinder. "Wenn sie dich in den Arm nehmen und drücken, weißt du einfach, dass du einen guten Job machst." Einen anderen Beruf kann sich die junge Frau nicht vorstellen. "Um nichts in der Welt." Sie hofft, dass sich das öffentliche Bild vom Kinderheim in Zukunft bessert. "Das wäre toll. Vor allem für unsere Erzieher." Denn die seien vieles, aber ganz bestimmt keine schlechten Menschen.

(th)
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