Moers/Tönisvorst/Krefeld Erschütternde Aussage der Pflegetochter

Moers/Tönisvorst/Krefeld · Im Berufungsverfahren gegen die Pflegemutter Mathilde T. aus Tönisvorst wurde gestern die ältere Schwester der beiden Pflegekinder als Zeugin vernommen. Mit dabei war eine Gutachterin, die ihre Glaubwürdigkeit beurteilen soll.

Die angeklagte Pflegemutter Mathilde T. und ihr früheres Pflegekind Aziza L. im Zeugenstand sitzen im Saal 70 des Krefelder Landgerichts nur wenige Meter voneinander entfernt. Aziza und ihre Schwester Dunja aus Moers waren damals fünf und neun Jahre, als sie nach dem Tod ihrer Mutter 1998 aus der "Kinderheimat" in Neukirchen-Vluyn zu ihrer Pflegemutter zuerst nach Straelen und danach nach Vorst umzogen. Die heute 63-jährige Pflegemutter lässt sich nichts anmerken. Mit versteinerter Miene verfolgt sie die Aussage ihrer ehemaligen Pflegetochter. Die meiste Zeit kritzelt sie mit ihrem Kuli etwas in einen Block vor ihr auf dem Tisch.

Erst als Aziza volljährig war und ihrem damaligen Freund in der Berufsschule von ihren Erlebnissen in der Kindheit erzählt hatte, überzeugte der sie, zur Polizei zu gehen und Anzeige zu erstatten. In einer ersten Hauptverhandlung mit damals nur vier Terminen wurde die Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ihr Anwalt Franz-Georg Josephs legte gegen dieses Urteil Berufung ein.

In der zweiten Instanz geht Richterin Kraft-Efinger nun ganz akribisch vor. Eine besondere Rolle spielte die Frage der Jugendämter der Stadt Moers und später des Kreises Viersen. Warum die Stadt Moers die Angeklagte als Pflegemutter auswählte, konnte bisher nicht zufriedenstellend beantwortet werden. Um das Urteil auf sichere Füße zu stellen, wurde jetzt eine psychologische Gutachterin bestellt, die die Glaubwürdigkeit der Aussagen der Opfer überprüfen soll. Gestern war eine Düsseldorfer Psychologin erstmals als Beobachterin dabei.

Bei der Befragung der Zeugin ging es zwar juristisch routiniert zu, doch dem einfachen Prozessbeobachter bleibt bei den Schilderungen der jungen Frau einfach der Atem weg. Und im Hinterkopf bleibt immer die Frage, hätte diese vierjährige Quälerei, wenn sie sich so wie geschildert zugetragen hat, verhindert werden können, wenn das Moerser Jugendamt anders gearbeitet hätte oder das Umfeld in Heim und Schule sich schneller und stärker eingemischt hätte?

Aziza L. erzählt dem Gericht, dass der erste Eindruck und die Anbahnung für sie sehr positiv gewesen wären. Sie fand es "voll cool", die ungeteilte Aufmerksamkeit zu haben, lange fernsehen zu können. Doch nach etwa ein, zwei Monaten sei alles schlimmer geworden. Nach der ersten Ohrfeige für ihre kleine Schwester Dunja, die nicht einschlafen wollte, hatte sich die Pflegemutter noch entschuldigt. Ihre eigene Backpfeife habe sie erhalten, als sie beim Einkaufen zwei Läden verwechselt hatte und ein Sonderangebot nicht bekommen hatte. Für den falschen Lappen, nicht richtiges Putzen soll es ständig Strafen gegeben haben.

Beim Umzug zur Kuhstraße musste sie Pommes holen, die Mädchen aber sollen nichts abgekommen haben. Für das morgendliche Müsli sei vorgeschrieben worden, wie lange sie essen dürften. Dabei sei nur wenig Milch über das Müsli gegossen worden. Nachnehmen oder selber bedienen in der Küche sei verboten gewesen.

Als die Kinder heimlich mit einem Teelöffel Nutella auf dem Zimmer aßen und der verschmutzte Löffel beim Durchsuchen des Zimmers gefunden wurde, seien beide Mädchen mit dem Löffel verprügelt worden, so Aziza L. in ihrer Aussage. Als Dunja in der Schule aus Hunger ein Pausenbrot klaute und die Schule einen Brief schrieb, gab es wieder Prügel, diesmal mit einem Stuhlbein. Wenn sie nicht für den Kiosk arbeiten mussten oder Hausaufgaben machten, hätten sie auf dem Hof oder der Dachterrasse stundenlang stillstehen müssen, damit die Pflegemutter oder ihr Sohn sie im Auge behalten konnten.

Der Prozess wird am 31. Januar fortgesetzt.

(RP)
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