Ingo Brohl "Es gibt heftige Kritik an der Kanzlerin"

Moers · 34 CDU-Politiker haben Bundeskanzlerin Angela Merkel vorgeworfen, mit ihrer Flüchtlingspolitik gegen geltendes Recht zu verstoßen. CDU-Fraktionsvorsitzender Ingo Brohl beschreibt im Interview, wie die Stimmung an der Basis in Moers ist.

Herr Brohl, in ihrer Bundespartei scheint momentan viel Unruhe über die Flüchtlings- und Asylpolitik zu sein. Merken Sie dies auch lokal und teilen Sie die Kritik an der Bundeskanzlerin?

Brohl Ja, auch hier gibt es Kritik aus der Mitgliedschaft. Persönlich bin ich der Meinung, dass die Kanzlerin in der prekären humanitären Notlage Anfang September richtig gehandelt hat, indem sie Menschenleben an erste Stelle gesetzt hat. Dies war ein christlicher Akt. Ich erinnere nur an die unhaltbaren Zustände in den europäischen Erstaufnahmeländern. Die Menschen waren ja bereits da. Auch die grundsätzliche Zielvorgabe der Bundeskanzlerin 'Wir schaffen das!' war und ist richtig.

Wie schätzen denn die CDU-Mitglieder in Moers die Lage ein?

Brohl Wir haben unterschiedliche Reaktionen, auch heftige Kritik, aber insgesamt ist die Lage in Moers vergleichsweise gut. Die Leistung der Fachverwaltung um Beigeordnete zum Kolk und der vielen Ehrenamtlichen ist gigantisch. Perspektivisch werden wir auch in Moers an Grenzen stoßen, ich fürchte sogar eine zeitweise Überforderung. Eben deshalb müssen, um denen helfen zu können, die tatsächlich unsere Hilfe brauchen, dort, wo Asylanträge rechtskräftig abgelehnt wurden, endlich schnelle und zeitnahe Rückführungen, sprich Abschiebungen durchgeführt werden.

Die SPD hat sich in Moers sehr früh in die Flüchtlingsdebatte mit eigenen Aktionen und Veranstaltungen eingeschaltet. Was hat die CDU vor Ort unternommen?

Brohl Wir haben sehr bewusst die euphorische Phase der Willkommenskultur nicht medial mitgemacht, waren aber dennoch sehr aktiv im Kleinen. Beispielsweise hat Ute-Maria Schmitz erfolgreich um Akzeptanz im Bereich des Naturfreundehauses geworben, Claudia van Dyck ebenso in Utfort. Und auch in Hochstraß sehe ich uns als Kritikkatalysator. Viele unserer Mitglieder bringen sich ehrenamtlich ein. Die CDU hat auch dafür gesorgt, dass in der Ratsresolution von November ein Schwerpunkt auf den Umgang mit den Sorgen der heimischen Bevölkerung gelegt worden ist. In Rheinkamp und Kapellen bringen sich die Ortsverbände stark in die im Aufbau befindlichen Strukturen mit ein. Im Übrigen erinnere ich mich noch gut, an die aufgebrachte SPD als es um neue Containerstandorte in Moers ging. Schon damals hatte die CDU einen weitaus realistischeren, unaufgeregteren und vielleicht auch weniger romantischen Blick auf die kommenden Herausforderungen.

Was bedeutet die Situation für den finanziellen Spielraum der Kommune? Der Kämmerer hat für 2016 lediglich eine Mehrbelastung von einer Million Euro eingeplant. Kommen wir damit aus?

Brohl Ich befürchte nein. Für diese Herkulesaufgabe werden wir dauerhaft auf Landes- aber auch weitere Bundesmittel angewiesen sein. Es darf nicht durch Flüchtlingskosten zu der Situation kommen, dass wir in Moers Steuern erhöhen oder Einrichtungen schließen müssen. Daneben müssen wir natürlich endlich anfangen unseren Kernhaushalt durch Sparen in den Griff zu bekommen. Die Überschuldung von Moers hat ja bekanntlich nichts mit dem neuen Thema Flüchtlingen zu tun.

In welchen Punkten sind die Befürchtungen überzogen, wo haben die Merkel-Kritiker Recht?

Brohl Nicht teilen, da sachlich auch vollkommen falsch, kann ich jede Kritik, die unterstellt, dass die Bundeskanzlerin die Situation der Flüchtlingswelle verursacht hat, nachvollziehen kann ich jede Kritik daran, dass Deutschland und Europa nicht auf diese Flüchtlingswelle vorbereitet waren, teilen kann ich jede Kritik, die sachorientiert auf eine Lösung der akuten Herausforderungen zielt. Aber hier erlebe ich jeden Tag, dass versucht wird, auf allen staatlichen Ebenen Entscheidungen und Verbesserungen zu erzielen.

Wo verläuft die Grenzlinie zwischen berechtigter Kritik an der Flüchtlingspolitik und Anbiederung an den Rechtspopulismus von Pegida & Co?

Brohl Beim christlichen, mitfühlenden Menschenbild, bei der Anwendung des Grundgesetzes, beim unaufgeregten Umgang mit der Meinungsfreiheit und bei der Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit gegenüber jedermann ohne Rücksicht auf Person, Herkunft, Ansehen, Hautfarbe, Geschlecht oder Religion. Daher sehe ich die CDU hier auch überhaupt nicht gefährdet.

DAS INTERVIEW MIT INGO BROHL FÜHRTE JÜRGEN STOCK

(RP)
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